Die Handschrift der FDP - Unter Rot-Grün gäbe es weniger Waffen und mehr Umverteilung

In den letzten Monaten wurde viel auf die FDP eingedroschen. Sie sei wieder einmal lediglich Steigbügelhalter, habe sich den rot-grünen Koalitionspartnern zu sehr angepasst, so der verbreitete Vorwurf. Doch nicht zuletzt ist es der FDP zu verdanken, dass Deutschland vor so manch politischem Experiment verschont geblieben ist.

Christian Lindner auf dem Landesparteitag der FDP in Nordrhein-Westfalen / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Wer sich in der Politik nicht sonderlich auskennt, kann manchmal ins Grübeln kommen: Gehört die Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann eigentlich zur Opposition? Wenn sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „Versagen“ vorwirft oder eine „beschämende Kommunikation“ in der Panzerfrage, dann kann man leicht vergessen, dass diese Klartexterin für die FDP im Bundestag sitzt. Deshalb erreicht sie auch mehr, als wenn sie ihre schneidende Kritik von den Oppositionsbänken aus vorbrächte. Ohne die ständigen Interventionen von  „MAStrackZi“, so ihre Twitter-Kennung, brauchte die SPD noch länger, um der Scholz’schen Rede vom Zeitenwechsel auch Taten folgen zu lassen.

Ja, mitzuregieren kann doch besser sein als nur zu opponieren. Die FDP tut das jetzt seit gut 13 Monaten zusammen mit SPD und Grünen, also in einer Koalition „mit zwei linken Parteien“, wie FDP-Chef Christian Lindner und sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stets hervorheben. Sie sind freilich das kleinste Licht in der Ampel. Weshalb die Freien Demokraten manches Zugeständnis machen  mussten und müssen. Koalition geht halt nie ohne Kompromiss.

Der FDP ist das Mitregieren bisher nicht allzu gut bekommen. Gerade ihre bürgerlichen Wähler, also die Mehrheit ihrer Anhänger, sind enttäuscht, dass die liberale Handschrift nicht deutlicher zu sehen ist. Um den Einfluss der FDP auf das Regierungshandeln zu bewerten, hilft es jedoch wenig, das Parteiprogramm mit dem Koalitionsvertrag zu vergleichen. Sinnvoller ist es, sich einmal vorzustellen, welche Politik seit Dezember 2021 betrieben würde, wenn SPD und Grüne allein regierten. Zweifellos hätte Rot-Grün auf vielen Politikfeldern ganz andere Akzente gesetzt.

FDP hat manches beschleunigt und vieles verhindert

Beispiel Sicherheitspolitik: Dass Berlin sich, wenn auch sehr zögerlich, zu Waffenlieferungen an die Ukraine entschlossen hat, ist nicht zuletzt dem Drängen der FDP zu verdanken - Seite an Seite mit den Grünen. Die SPD hätte es am liebsten noch länger bei ein paar Helmen belassen und über Panzer gar nicht nachgedacht. Aber den Abwieglern um SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich standen eben zwei Parteien mit klarer Position gegenüber - FDP und Grüne.

Beispiel Finanzpolitik: Ja, Finanzminister Christian Lindner hat die Schuldenaufnahme deutlich ausgeweitet. Rot-Grün indes hätte nicht den Weg über Sondervermögen beschritten, sondern einfach die Schuldenbremse faktisch aufgehoben. Dann flössen nicht nur zusätzliche Milliarden in die Verteidigung und in die Klimapolitik. Dann würden auch die Sozialausgaben kräftig ausgeweitet. 

Beispiel Sozialpolitik: Ohne FDP würden die in Bürgergeld umbenannten Hartz-IV-Leistungen noch großzügiger gewährt. Da könnte sich jeder, der das möchte, zwei Jahre lang vom Staat finanzieren lassen, ob er sich um Arbeitsaufnahme bemüht oder nicht. Die FDP hatte allerdings das Glück, dass die CDU/CSU über den Bundesrat den rot-grünen Ausgabendrang abgebremst hat. So hat das Bürgergeld dann doch mehr mit Hartz IV gemein, als Rot-Grün dies jemals zugelassen hätte.

Unter Rot-Grün würden die „Reichen“ kräftig geschröpft

Beispiel Steuern: Wenn SPD und Grüne allein regierten, hätten sie sich ganz schnell darauf geeinigt, die Einkommensteuer für die „Reichen“ deutlich zu erhöhen, ebenso die Erbschaftsteuer. Die „Superreichen“ würden längst mit einer neuen Vermögenssteuer oder Vermögensabgabe bestraft. Wobei „Reichtum“ aus rot-grüner Perspektive ein relativer Begriff ist. Dass höhere Steuern gerade vielen mittelständischen Unternehmen das Leben schwer machten, wäre für SPD und Grüne unerheblich: Umverteilung first, Schadenanalyse second. Und ohne die FDP hätte die Regierung niemals die „kalte Progression“ auch für die sogenannten Besserverdienenden abgebaut.

 

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Beispiel Wohnungsbau: Das unrealistische Wahlversprechen von Olaf Scholz, für jährlich 400.000 neue Wohnungen zur sorgen, hat Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden. Säße die FDP jedoch nicht am Kabinettstisch, hätten SPD und Grüne längst alles getan, um Vermieter zusätzlich zu belasten beziehungsweise die Renditen im privaten Wohnungsbau weiter zu senken. Da ist die FDP der Anwalt der mehr als fünf Millionen Privatleute, denen nahezu zwei Drittel aller Mietwohnungen und -häuser gehören. Ohne sie sähe es auf dem Wohnungsmarkt noch viel schlechter aus.

Beispiel Energiepolitik: Bekanntlich halten SPD und Grüne Kernkraft für Teufelszeug, jedenfalls dann, wenn der so erzeugte Strom nicht aus dem Ausland importiert wird. Auch haben die Grünen monatelang die Gefahr einer Stromknappheit geleugnet. Ohne FDP wären die letzten drei Kernkraftwerke zum Jahreswechsel vom Netz gegangen - mit entsprechenden Folgen. Und nur Dank der FDP ist eine weitere Laufzeitverlängerung nicht völlig ausgeschlossen.

Falsches zu verhindern ist auch gute Politik

Man kann der FDP den Vorwurf machen, sie habe in der Koalition die Rolle des Bremsers übernommen. Bremser klingt nicht so gut wie Gestalter. Aber wer nicht gerade über die absolute Mehrheit verfügt, was bei unserem Wahlsystem kaum möglich ist, kann nie sein eigenes Programm in Regierungshandeln umsetzen.

Die FDP wusste sehr wohl, auf was sie sich nach der Bundestagswahl einließ. Aber sie konnte sich - nach ihrer „Flucht aus Jamaika“ vier Jahre zuvor - nicht abermals einer Regierungsbeteiligung verweigern. Zudem waren sich Lindner & Co. bewusst, dass die eigene Profilierung in einem Dreierbündnis noch schwieriger ist als in einer traditionellen Zweierkoalition. 

Vieles hat die FDP erreicht, indem sie rot-grüne Lieblingsprojekte verhindert hat. Das war gut für das Land, aber nicht unbedingt für die Partei. Von ihren stattlichen 11,5 Prozent bei der Bundestagswahl sind die Freien Demokraten weit entfernt. Bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr wurden sie von den eigenen Wählern abgestraft. Auch in diesem Jahr winken in Berlin, Bremen, Hessen und Bayern keine großen Erfolge. 

Viele Wähler sehen in „ihrer“ FDP eher den Mehrheitsbeschaffer für Rot-Grün und nicht den Verhinderer von „Rot-Grün pur“. Diese Sichtweise zu ändern, ist für Lindner die drängendste parteipolitische Herausforderung. Das ist keine leichte Aufgabe. Doch die Wiederbelebung der 2013 an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten Partei war noch schwerer.  Neu ist das alles nicht: Der Kampf ums eigene Überleben war in der Geschichte der FDP eher die Regel als die Ausnahme, ganz gleich, ob sie regierte oder opponierte, ob sie gestalten konnte oder verhindern musste. Also: Business as usual. 

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