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Ein politischer Nachruf

Sein Niedergang begann 2003. Damals wählten über 60 Prozent der Bayern Edmund Stoiber. Von nun an verfiel er dem Hochmut und wurde herrisch. So begründet sein Berater im Bundestagswahlkampf 2002 den tiefen Fall von Edmund Stoiber

Demut ist laut Duden die „Gesinnung des Dienenden“, Demut ist „ehrfurchtsvolle Selbstbescheidung“. Hochmut zeigt derjenige, der den eigenen Wert höher einschätzt, als er wirklich ist, dessen Selbstbewusstsein sich zum allgemeinen Überlegenheitsgefühl gesteigert hat. Demut und Hochmut – ohne diese beiden Schlüsselbegriffe ist der Niedergang Edmund Stoibers nicht zu erklären –, der Abstieg vom 2002 bundesweit respektierten Kanzlerkandidaten zum 2007 selbst in Bayern nur noch geduldeten Ministerpräsidenten. Eine Entwicklung, die sich an zwei Daten festmachen lässt. Am 11. Januar 2002 wurde Edmund Stoiber beim Frühstück mit Angela Merkel in Wolfratshausen Kanzlerkandidat der CDU/CSU. Er war nach Franz Josef Strauß 1980 erst der zweite CSU-Politiker, der sich um die Kanzlerschaft bewerben durfte. Stoiber hatte bis dahin eine bemerkenswerte Karriere hinter sich: von den Ämtern des CSU-Generalsekretärs und bayerischen Innenministers, wo er sich den Ruf des Scharfmachers und „blonden Fallbeils“ erwarb, bis zum allseits geachteten Ministerpräsidenten. Als Regierungschef bewegte sich Stoiber seit 1993 politisch zur Mitte und wurde wegen der sozialen Ausrichtung seiner Politik sogar vom bayerischen DGB gelobt. Im kleinen Kreis stellte er seine Meinungen mit großer Offenheit zur Diskussion, konnte zuhören und änderte seine Position, wenn ihn die Argumente überzeugten. In Bayern war er zu dieser Zeit unangefochten auf dem Höhepunkt seiner Macht, außerhalb von Bayern aber litt er noch unter dem alten Stoiber-Klischee. Er fühlte sich deshalb in München sicherer als in Berlin, die Spielregeln der Berliner Politik und die härtere Medienlandschaft waren ihm eher fremd. Deshalb zierte er sich lange, bevor er zur Kanzlerkandidatur bereit war. Er zeigte hohen Respekt vor dieser Aufgabe und auch eine Portion Unsicherheit. Er stellte sich dieser Herausforderung mit „ehrfurchtsvoller Selbstbescheidung“, mit Demut eben. Er stellte die eigene Person hinter die Sache, war für Rat offen und dankbar. Und er zeigte sich offen für Lebenswelten, die ihm bisher fremd geblieben waren. Stoiber äußerte erstmals öffentlich Respekt vor „gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften“ und machte eine unverheiratete Mutter zur Kandidatin für das Amt des Familienministers. Er zeigte so viel Demut vor der Aufgabe, dass ihm CDU-Scharfmacher vorwarfen, „weichgespült“ zu sein. Dieser Stoiber verlor zwar die Wahl (die Flut und der drohende Irakkrieg kamen dazwischen), errang aber mit 38,5 Prozent genauso viele Stimmen wie Gerhard Schröder, 3,4 Prozent mehr als Helmut Kohl 1998 und 3,3 Prozent mehr als Angela Merkel 2005 – und den allgemeinen Respekt weit über seine Wählerschaft hinaus. Stoiber selbst konnte die Niederlage nur schwer verkraften und zog sich wieder in seine bayerische Bastion zurück. Hier fühlte er sich sicher, hier kannte er „die Leut“. Stoibers Niedergang begann am 21.September 2003. An diesem Tag errang er bei der bayerischen Landtagswahl über 60 Prozent der Stimmen und zwei Drittel der Mandate. Das hatte es selbst in Bayern noch nicht gegeben. Und genau das wurde sein Verhängnis: Ab diesem Zeitpunkt verfielen er, die CSU-Spitze und seine Umgebung dem kollektiven Hochmut, eine Haltung, die Stoiber von Franz Josef Strauß kannte, der alle Politiker der Union außer sich selbst für „Pygmäen“ hielt. Stoiber wurde immer weniger für Kritik zugänglich (wenn sich überhaupt jemand traute), glaubte immer fester daran, dass am Beispiel Bayerns Deutschland genesen müsse, und fiel in alte, herrische Verhaltensweisen zurück. Das machte sich besonders im Bundestagswahlkampf 2005 bemerkbar. Stoiber lehnte es ab, sich definitiv für einen Wechsel nach Berlin zu entscheiden, nörgelte öffentlich an der Wahlkampfstrategie herum, legte die Latte fürs merkelsche Wahlergebnis auf unerreichbare 45 Prozent und beschimpfte zu allem Überfluss noch die Wähler im Osten. Und er glaubte wohl, dass es nach der Wahl noch eine Hintertür für seine Kanzlerschaft geben könnte. So löste es in Berlin wenig Begeisterung aus, als er sich doch noch für den Wechsel in Merkels Kabinett entschied. Als er merkte, dass Angela Merkel schon beim Ressortzuschnitt und den Kompetenzen versuchte, ihn auf Normalmaß zurechtzustutzen, ergriff er die Flucht – auch aus Angst, nach wenigen Monaten Merkels Lafontaine zu werden. Jetzt aber zeigte sich, dass er auch die „eigenen Leut“ nicht mehr richtig einschätzen konnte. Sie wollten diesen Stoiber gar nicht zurückhaben, der von ihm erhoffte Jubel über seine Rückkehr blieb aus. Die CSU und die bayerischen Wähler hatten sich längst auf einen bescheidenen, freundlichen Anti-Typen als Nachfolger eingestellt, auf Innenminister Günther Beckstein. So nahm die CSU ihren inzwischen ungeliebten Stoiber nur zähneknirschend zurück. Und für Stoiber rächte sich jetzt, dass er in seinem Hochmut sogar die Ämter des Bundespräsidenten und des EU-Ratspräsidenten ausgeschlagen hatte. Seitdem ist Stoiber nur noch deshalb Ministerpräsident, weil sich die möglichen Nachfolger nicht trauen anzutreten, sich gegenseitig blockieren oder ihnen der Kampf um die Spitzenkandidatur zu früh kommt. Ein Kartell der Mutlosen. Das ist die politische Basis, auf der Stoiber seitdem arbeitet. Das ist wenig und eigentlich traurig für einen einst zu Recht stolzen und selbstbewussten Politiker. Michael Spreng war Berater von Edmund Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002. Der langjährige Chefredakteur ist unter anderem Kolumnist des Hamburger Abendblatts

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