Sabotage gegen die Deutsche Bahn - „Angriffe auf die kritische Infrastruktur können Volkswirtschaften lahmlegen“

Der Angriff auf die Deutsche Bahn am vergangenen Wochenende legte die Verwundbarkeit unserer kritischen Infrastruktur schmerzhaft offen. Über Jahre hinweg versäumte es die Politik, robuste Schutzmechanismen zu entwickeln. Mit dem Militärexperten Oberst Ralph Thiele sprach Cicero über die hybride Kriegsführung Putins und die gefährliche Naivität Deutschlands.

Die Fernzüge der Deutschen Bahn fielen vergangenen Samstag lange Zeit aus / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Ralph Thiele ist ehemaliger Oberst der Bundeswehr und Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft in Berlin. Er diente unter anderem im Planungsstab des Verteidi­gungsministers, im Private Office des Nato-Oberbefehlshabers sowie als Direktor an der Führungsakademie der Bundeswehr. Thiele ist Herausgeber des Buches „Hybrid Warfare“ (2021).

Herr Thiele, vergangenen Samstag kam es zu einem Ausfall der Fernzüge in Norddeutschland. Gibt es bereits gesicherte Informationen, wer hinter diesem Akt der Sabotage steckt?

Derzeit gibt es im Grunde nur Spekulationen. Der Staatsschutz nimmt die Sabotage jedoch sehr ernst und geht von einer politisch motivierten Tat aus. Aber generell fischen die Behörden noch im Trüben.

Braucht es für die Vorbereitung einer solchen Sabotage ein großes Know-how?

Am wichtigsten ist es, ein detailliertes Wissen über das Ziel des Angriffes zu haben. Das können Sie von Insidern und durch Cyberangriffe erhalten. Insider sind oftmals unzufriedene Mitarbeiter, die sich über Mängel austauschen möchten. Das Wissen können Sie aber im Grunde auch ganz profan über öffentlich zugängliche Daten beziehen. Im Internet lassen sich über kritische Infrastrukturen ganze Organisations- und Aufbaustrukturen finden. Es gibt wirklich ein ganz breites Portfolio, wie Saboteure an ein solches Wissen herankommen können. Nicht nur für Geheimdienste, sondern auch für Kriminelle und ganz normale Menschen ist es daher ein Kinderspiel.

Was denken Sie, wer dahinter stecken könnte? Waren es russische Geheimdienste oder doch Klimaaktivisten?

Oberst Ralph Thiele / ISPSW

Das ist das mögliche Spektrum. Und es könnten natürlich auch Linskradikale sein, die unsere Bundesregierung als Bedrohung notorisch unterschätzt. Doch um die Saborteure und ihre Hintergründe identifizieren zu können, müssen wir das Wesen der hybriden Kriegsführung verstehen. Hybride Angreifer nutzen in ihren Operationen gerne Stellvertreter, um von sich abzulenken. Das macht die große Attraktivität hybrider Operationen aus. Leider gibt es in unseren staatlichen Strukturen noch immer ein großes Defizit an Wissen über hybride Kriegsführung. Deswegen ist der Gedanke naiv, dass jetzt sofort eine heiße Spur nach Moskau gelelegt werden könne.

Was spricht für einen russischen Akt der Sabotage?

Ich habe schon lange mit der horizontalen Ausweitung russischer Angriffe gerechnet. Bereits seit einem Jahrzehnt geht der Kreml gezielt mit hybriden Operationen gegen die Staaten des Baltikums und des ehemaligen Warschauer Paktes vor. Das geschieht zumeist über Cyberangriffe und die Durchführung von Desinformationskampagnen. Auch der Angriff auf die kritische Infrastruktur eines anderen Landes ist ein wirksames Instrument der hybriden Kriegsführung. Die Unterstützung der Ukraine durch die deutsche Bundesregierung macht uns aus russischer Sicht zu einem Angriffsziel.

Welche Absicht könnten die Auftraggeber an einem Sabotageakt gegen die Deutsche Bahn gehabt haben?

Es ist ein Zeichen der Verwundbarkeit. Im Grunde warnt uns Russland davor, dass auch wir als Beteiligte in die ukrainische Auseinandersetzung hineingezogen werden können. Das könnte der Gedanke sein. Wir haben aber eine Vielzahl denkbarer Akteure mit einer Fülle unterschiedlicher Motive, die im Grunde neue Technologien oder ganz schnöde Sabotage und Gewaltakte nutzen, um aus der Grauzone heraus anzugreifen. Auch die wirtschaftlichen Interessen von privaten Akteuren sollten wir bei Angriffen auf die kritische Infrastruktur generell nicht aus den Augen verlieren.

Wie groß ist die Bedrohungslage zurzeit durch mögliche Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur?

Ich glaube, wir sind jetzt ganz am Anfang einer zunehmden Eskalation. Die Sabotage gegen die Deutsche Bahn ist dabei lediglich ein erstes Puzzleteil. Die Bedrohung wird sehr real und alltäglich werden. Ganze Bereiche unserer alltäglichen Versorgung sind potenziell gefährdet. Wir haben Kenntnis davon, dass Russlands Nachrichtendienste besonderen Schwerpunkt darauf legen, unsere Energieinfrastruktur auszukundschaften, auch über Menschen, die dort arbeiten. Ein Angriff auf unsere Energieinfrastruktur hätte verheerende Folgen für Deutschland.

Nennen Sie weitere Szenarien, wie uns Angriffe auf die kritische Infrastruktur hart treffen könnten.

Ein sehr realistischer und folgenreicher Angriff könnte sich auch gegen unsere Stromversorgung richten. In früheren Jahrzehnten gab es beispielsweise an Tankstellen Stromgeneratoren für den Notfall. Doch das ist mittlerweile nicht mehr der Fall. Das hätte für unsere mobile Gesellschaft gravierende Folgen. Auch die Notstromversorgung in Krankenhäusern ist begrenzt. Stellen Sie sich mal vor, was ein kompletter Ausfall des Stroms für Intensivpatienten bedeuten würde. Das ganze Finanzsystem ist ebenfalls abhängig von einer verlässlichen Stromversorgung. Geldautomaten und digitale Dienstleistungen funktionieren nicht ohne sie. Stromausfälle haben das verheerende Potenzial, ganze Volkswirtschaften lahmzulegen.

Wie gut sind wir darauf vorbereitet?

Den Angriff auf die Deutsche Bahn sollten wir als Wachmacher verstehen. Wir müssen ganz ehrlich feststellen, dass der Schutz unserer kritischen Infrastruktur in den letzten Jahren massiv vernachlässigt wurde. Die Robustheit unserer kritischen Infrastruktur ist ungenügend und wird der Bedrohungslage nicht gerecht. Deutschland kann eine gewisse Resistenz vorweisen, wenn einzelne Systeme isoliert angegriffen werden. Jedoch wurde ein gleichzeitiger Angriff gegen mehrere Systeme in Deutschland noch nie getestet, was ein großes Versäumnis darstellt. Wir sind zurzeit sehr verwundbar durch gezielte Akte der Sabotage.

 

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Waren wir in Deutschland lange Zeit zu naiv?

Wir waren und sind noch immer zu naiv. Es gab in Deutschland lange Zeit überhaupt kein Bewusstsein für die Bedrohung durch Angriffe auf unsere kritische Infrastruktur. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich Anfang der 90er-Jahre an einer Befragung der Ford Foundation teilnahm, bei der sich Amerikaner für die Verletzlichkeit unserer kritischen Infrastruktur interessiert haben. Ich kann mich nicht erinnern, dass das in irgendeiner Form von einer deutschen staatlichen Instanz jemals durchgeführt wurde. Darüber hinaus gab es viel zu lange keinerlei Sicherheitskooperationen zwischen privaten Unternehmen, Geheimdiensten und deutschen Sicherheitsbehörden. Da immerhin stolze 80 Prozent der kritischen Infrastruktur durch private Anbeiter betrieben werden, ist dies jedoch dringend notwendig. Dafür bedarf es aber auch eines grundsätzlichen Mentalitätswandels. Schauen Sie: Wie beispielsweise soll die Bundeswehr zur Verteidigung unserer kritischen Infrastruktur beitragen, wenn Sie dafür jahrelang kaum finanzielle Ressourcen bereitgestellt bekam?

Woher kommt diese spezifisch deutsche Naivität im Vergleich beispielsweise zu unseren Verbündeten USA, Großbritannien oder Israel?

Das ist unser Geschäftsmodell nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir haben unseren Alliierten über Jahrzehnte hinweg die Verteidigung unseres Landes überlassen. Das hat eben immer gute und schlechte Seiten. Die Alliierten nach der Niederschlagung des Dritten Reiches waren ja im Grunde sehr froh, dass Deutschland sich aktiv sicherheitspolitisch nicht mehr sehr engagierte. Deutschland wollte auch das Image des Polizeistaates loswerden, und unser Wirtschaftsmodell florierte im Grunde durch sicherheitspolitische Schwarzfahrerei. Inzwischen hat sich jedoch eine regelrechte deutsche Attitüde durchgesetzt, dass wir uns mit schmutzigen Themen nicht mehr befassen möchten. Und so haben wir uns in eine Naivität und Blase hineinmanövriert, die lange gutging, vor allem wirtschaftlich. Erst der Krieg in der Ukraine hat uns die Augen geöffnet, und wir haben angesichts des Schocks gemerkt, dass Deutschland endlich wehrhafter werden muss.

Welchen Handlungsbedarf gibt es in der Politik, um die kritische Infrastruktur in Deutschland robuster zu machen?

Es braucht eine Veränderung unseres gesamtes System der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf die Verteidigung kritischer Strukturen. Wir haben viele kluge Leute. Das sollte man in Deutschland nie unterschätzen. Doch diese müssten sich endlich an einen Tisch setzen und gemeinsam überlegen, wie unsere kritische Infrastruktur systemisch besser geschützt und resilienter gemacht werden kann. Dabei geht es ganz konkret um den Schutz unserer Verkehrs-, Informations-, Gesundheits- und Finanzsysteme. Resilienz heißt in diesem Zusammenhang, gegen Schocks und Stress zukünftig wehrhafter zu sein. Auch müssen wir unsere Nachrichtendienste dringend verbessern und modernisieren. Insbesondere im Bereich neuer Technologien müssen wir uns neu aufstellen, damit wir zukünftig auf ein effizienteres Frühwarnsystem zurückgreifen können.

Wie optimistisch sind Sie, dass das gelingen wird?

Wir brauchen in Deutschland leider immer erst schlimme Ereignisse, damit es überhaupt zu Veränderungen kommt. Sie können das an der Flutkatastrophe im Ahrtal sehen. Das ist jetzt schon ein Jahr vorbei. Aber was hat sich im Katastrophenschutz der Bundesrepublik Deutschland verändert? Immerhin verloren 133 Menschen ihr Leben. Doch anscheinend war das Ereignis für Politiker noch nicht tragisch genug, um bahnbrechende Schritte auf den Weg zu bringen. Also sehen Sie, Sie brauchen in Deutschland große Katastrophen, große Zusammenbrüche, damit etwas passiert. Hoffen kann man natürlich immer, dass auch Einsicht zu Verbesserungen führt. Aber darauf können wir leider nicht setzen.

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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