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(picture alliance) Thomas Oppermann will lieber ein Ministerium als den Fraktionsvorsitz

Thomas Oppermann - Der Obama der SPD

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kam in die Politik wie Barack Obama – als Student unterstützte er in den USA Mieter und Landarbeiter beim Kampf gegen Mietwucher und Ausbeutung. In einem rot-grünen Kabinett wäre ihm ein Platz sicher.

Es gibt Dinge im Leben, von denen man erst hinterher weiß, wie wichtig es war, dass sie passierten – Wende­punkte eben. Bei Thomas Oppermann waren es ein Brief, den er 1976 bekam, und 28 Jahre später eine Meldung, die er 2004 im Autoradio hörte. Ohne den Brief wäre er nicht Politiker geworden, und ohne die Radiomeldung wäre er es vermutlich nicht geblieben. So aber wurde er Erster Parlamentarischer Geschäfts­führer der SPD-Bundestagsfraktion und ist heute einer ihrer Einflussreichen.

Der Brief, mit dem alles begann, kam von der „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ (ASF). Er könne, so las er, für zwei Jahre nach Amerika gehen und sich dort als „community organizer“ nützlich machen. Oppermann, damals 22 Jahre alt, Germanistikstudent und anerkannter Wehrdienstverweigerer, überlegte nicht lange und flog los.

In Washington lernte er, was man inzwischen „Graswurzelarbeit“ nennt: in die ärmeren Wohnquartiere gehen, Netzwerke knüpfen, den Leuten beim Kampf gegen Behörden und Hausbesitzer ­helfen, Papierkriege führen, Formulare ausfüllen, Proteste gegen ungerechtfertigte Mieterhöhungen organisieren, Hilfe zur Selbsthilfe – Demokratie von unten. Dann ging es nach New York. Dort beteiligte sich Oppermann zusammen mit amerikanischen ASF-Freunden unter Anleitung eines Pastors an Boykottmaßnahmen gegen einen ausbeuterischen Agrarkonzern, der sich geweigert hatte, seinen Arbeitern Tariflöhne zu zahlen. Der Konzern gab schließlich nach, weil seine Produkte nicht mehr gekauft wurden. Die Erfahrung, gemeinsam mit anderen etwas bewegen und verändern zu können, hat Oppermann politisiert: „Ich hatte gelernt, dass sich soziale Gerechtigkeit nicht von selbst einstellt, sondern immer das Ergebnis politischer Einmischung ist.“ Jahre später fand auf dem gleichen Weg ein junger Schwarzer namens Barack Obama den Weg in die Politik – aber das ist eine andere Geschichte.

Zurück in Deutschland, hing Oppermann das Germanistikstudium an den Nagel und sattelte auf Jura um. Lehrer wollte er nicht mehr werden, die Welt verändern schon. Bald mischte er an der Uni Göttingen im Studentenparlament mit, deren Präsident damals Jürgen Trittin von den K-Gruppen war. Um sich gegen die Etablierten durchzusetzen, hatte Oppermann einfach eine neue Fraktion, die „Basisgruppe Demokratischer Juristen“, gegründet und damit den Ring Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) aus dem Feld geschlagen. Die praktische Arbeit in den USA habe ihn „zwar nicht davor geschützt, mich wie die meisten Studierenden in Deutschland jahrelang im Gestrüpp theoretischer und ideologischer Debatten zu verheddern“, sagt Oppermann heute. Wohl aber habe sie geholfen, „dort beizeiten wieder herauszufinden“.

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Seit 1980 SPD-Mitglied in Niedersachsen, seit 1990 Landtagsabgeordneter in Hannover, war er einer derjenigen, die früh auf den jungen Aufsteiger Gerhard Schröder setzten. „Wer den Spiegel hinter sich hat und die Bild-Zeitung an seiner Seite“, verkündete er bereits 1993, als sich Schröder nach dem Abgang Björn Engholms um den Parteivorsitz bewarb, „der ist kaum zu schlagen.“ Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Vorsitzender wurde Rudolf Scharping. Aber Schröder merkte sich den Satz.

Bevor Schröder 1998 Kanzler wurde und nach Bonn ging, hatte er Oppermann als Wissenschaftsminister in sein drittes Kabinett berufen. Und bald schon zeigte der einstige „community organizer“ pragmatische Härte. Während seine Landesvorsitzende Edelgard Bulmahn in Berlin für die Abschaffung der Studiengebühren warb, forderte er deren Einführung. Der Konflikt machte ihn bundesweit bekannt. Aber nachdem Sigmar Gabriel als Ministerpräsident dem Christdemokraten Christian Wulff weichen musste, war Schluss mit Regieren. Oppermann, der 2003 erfolgreich die Umwandlung aller niedersächsischen Universitäten und Hochschulen in Stiftungsuniversitäten und Stiftungshochschulen betrieben hatte, saß plötzlich auf der Oppositionsbank, langweilte sich und wollte raus aus der Politik. Man hatte ihm angeboten, Präsident der Reformuniversität Witten/Herdecke zu werden – 250 000 Euro jährlich. Der Vertrag lag unterschriftsreif auf seinem Schreibtisch.

Da hörte er auf dem Weg ins Fitnessstudio im Autoradio, die SPD plane auf Bundesebene ein Programm zur Förderung von Eliteuniversitäten, also genau das, was er als Wissenschaftsminister fünf Jahre in Niedersachsen gemacht hatte und nun als Uni-Präsident fortsetzen wollte. „Da dachte ich bei mir: Die drehen jetzt ein großes Rad. Da will ich lieber mitdrehen, als gedreht zu werden.“

Lieber drehen, als gedreht zu werden – das blieb sein Lebensmotto. 2005 zog er als Direktkandidat in den Bundestag ein, den Wahlkreis hatte er von der langjährigen SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier übernommen. Bald darauf machte er als scharfzüngiger Berichterstatter der SPD im Untersuchungsausschuss von sich reden, der die angebliche Bespitzelung von Journalisten durch den BND untersuchte. Als Franz Müntefering im November 2007 seine Ämter niederlegte und Olaf Scholz Minister wurde, holte Peter Struck Oppermann als neuen Fraktionsgeschäftsführer an seine Seite. Im Schattenkabinett von Frank-Walter Steinmeier war er als Innenminister gesetzt. Würde er denn die Fraktion führen wollen, wenn die SPD wieder an die Regierung käme? Die Antwort kommt schnell und ehrlich: „Nein“, sagt Thomas Oppermann, „lieber ein Ministerium.“

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