Correctiv-Recherche - Aktionismus für die Gesellschaft?

Ein Journalist der Rechercheplattform Correctiv gibt zu, er würde „Geschichten erfinden“ und „in das politische Geschehen intervenieren“. Besonders brisant: Man findet seinen Namen im Zusammenhang mit der AfD-Recherche, aber auch bei Ibizagate. Wie aktivistisch ist der investigative Journalismus?

Ist das noch Wirklichkeit oder schon Kunst? / dpa
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Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Es ist der 17. Mai 2019. In Europa zieht ein Wiedergänger seine Runden; ein Gespenst, hinter dem viele nichts Geringeres als die Rückkehr von Faschismus und Menschenfeindlichkeit befürchten: Noch sind es sechs Tage, bis in den ersten EU-Mitgliedstaaten die Urnengänge zu den Europawahlen beginnen. Und die Angst vor einem Siegeszug rechtspopulistischer Parteien scheint längst den halben Kontinent in Schockstarre versetzt zu haben. Besonders Österreich ist es, auf das die Medien von Dublin bis Athen wie gebannt starren: Seit eineinhalb Jahren regiert an der blauen Donau die sogenannte türkis-blaue Koalition. Am Wiener Ballhausplatz ist der so smarte wie gewiss nicht unumstrittene Bundeskanzler Sebastian Kurz eingezogen und bedroht mit seinem rechts-konservativen Bündnis aus ÖVP und FPÖ die linke Lufthoheit in Westeuropa.

Es müsste schon ein Wunder geschehen, um den Fluch des Populismus jetzt noch einmal in seine Schranken zu weisen. Und siehe da: Das Wunder geschieht! An diesem 17. Mai nämlich erscheint auf den Online-Plattformen von Süddeutscher Zeitung und Spiegel ein zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre altes Video, das nach seiner Veröffentlichung nicht nur die Alpenrepublik bis in die Grundfesten erschüttert. Eine „B’soffene G‘schicht“, wie Österreichs damaliger Vizekanzler und FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache wenige Tage später gegenüber der Presse eingestehen wird. Er ist der Protagonist dieses unter dubiosen Umständen zustande gekommenen Filmchens, in dem es um Korruption, Oligarchen-Nichten, Männerphantasien und jede Menge Alkohol geht.

Unter dem Titel „Ibiza-Affäre“ wird die Angelegenheit kurz darauf in den Medien rauf und runter gespielt. Lediglich noch 21,8 Prozent werden hernach bei den EU-Wahlen rechte Parteien wählen – immer noch viel, und doch weit weniger, als in Brüssel zu diesem Zeitpunkt befürchtet. Elf Tage später wird Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen sogar das Ende der türkis-blauen Zusammenarbeit verkünden. Ein Gespenst konnte noch einmal gestoppt werden. Bis auf weiteres. Und in wirklich allerletzter Minute.

Das Gespenst kehrt zurück

Jetzt jedoch ist dieses Gespenst wieder da. In Österreich, aber auch in Deutschland. Es ist der 10. Januar 2024. In Berlin steht man am Beginn eines turbulenten Wahljahres. Manche Prognosen sehen die rechtspopulistische AfD bereits bei 23 Prozent der Wählerstimmen, und bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg droht die Partei sogar die Mehrheit der Wähler auf sich vereinen zu können. Und dann sind auch bald schon wieder Europawahlen.

Laut aktuellen Umfragen wird die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer zusammen mit der Fraktion Identität und Demokratie auf ebenso viele Stimmen kommen wie die Europäischen Volksparteien. Derweil kommt in Deutschland die Ampelregierung nicht aus ihrem Formtief heraus, und bundesweit bekunden Landwirte, Handwerker und Mittelständler auf großen Kundgebungen lauthals ihr Missfallen mit der gegenwärtigen Politik. Nur ein Wunder könnte das rot-grün-gelbe Bündnis jetzt noch retten.

Und wieder scheint eine irgendwie geartete Schicksalsmacht ein Einsehen zu haben. Wieder geschieht das Wunder unter Zuhilfenahme von Journalisten und wieder mit Material, das bereits seit längerem in den Redaktionen herumliegt. An diesem 10. Januar nämlich erscheint auf der Internetseite der Rechercheplattform Correctiv ein Text mit zahlreichen Zeichnungen und Bildern, der bei aufmerksamen Zeitgenossen zunächst ein Schaudern, dann aber auch merkwürdige Erinnerungen wachruft: Wieder handelt es sich um eine Recherche, die unter äußerst fragwürdigen Bedingungen zustande gekommen ist; wieder scheint die Frage nach dem „Wie“ weit mehr Aufmerksamkeit auf sich zu vereinen als die Frage nach dem tatsächlichen Geschehen und seinen realen Hintergründen. 

Weite Teile des Landes jedenfalls sind empört – nicht so sehr darüber, dass Journalisten, wie schon einst bei Ibizagate, zu geheimdienstlichen Recherchemethoden greifen und sich in selbsterteilter Absolution mehr Freiheiten rausnehmen, als es die einstmals so sensibel geführten Debatten um den 2005 eingeführten „Großen Lauschangriff“ je hätten vermuten lassen.

Nein, nicht das journalistische Selbstverständnis der Aufklärer um Correctiv, Greenpeace und zahlreiche weitere Medien steht in der Kritik; die öffentliche Erregung bezieht sich einzig auf die bis heute noch kaum bekannten Worte, die in einem Hotel, „acht Kilometer entfernt vom Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten“ (so ein mittlerweile bekanntes Zitat aus dem Originaltext), gefallen sein sollen. 

Merkwürdige Parallelen

Die Rede ist von der Correctiv- und Greenpeace-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“. Wie ehedem das geheimnisumwitterte und stark zusammengeschnittene Ibiza-Video hat diese gewiss als journalistischer Scoop zu bezeichnende Veröffentlichung eine Republik erschüttert. Wieder kursieren unscharfe Fotos, wieder wurde mit Undercover-Methoden gearbeitet, und wieder zirkulieren Urteile und Vorurteile weit schneller als Fakten, Dokumente, Zusammenhänge oder wirklich belastbare Zitate. Den Rest erledigt ein geistiger Weißraum. Seit dem 10. Januar saugt der die Assoziationen des sensationshungrigen Lesers auf wie hungriges Löschpapier die Tinte. 

Die Ähnlichkeiten also sind zumindest vordergründig frappierend. Zumal auch er wieder mit dabei ist – der Mann, der schon bei Ibiza eine wichtige Rolle im Hintergrund gespielt hat: Jean Peters, ein heute 40-jähriger Correctiv-Journalist, ehemaliger Aktionskünstler und selbsternannter Aktivist.

Zusammen mit vier weiteren Correctiv-Journalisten wird er aktuell unter der brisanten Recherche im Umfeld der AfD als Autor genannt. 2019 bereits, so belegen es heute zahlreiche Dokumente und Selbstauskünfte, soll Peters mit daran beteiligt gewesen sein, das heikle Ibiza-Video um den damaligen österreichischen Vizekanzler H.C. Strache in deutschen Medien zu lancieren.

Er hatte, so wird sich Jean Peters später erinnern, den Urheber des Videos, den österreichischen Privatdetektiv Julian Hessenthaler, ein Jahr zuvor in Wien kennengelernt – in einem China-Restaurant auf der Donauinsel. Damals hätte Hessenthaler ihm auch das belastende Video gezeigt; Material, das zu diesem Zeitpunkt keine Redaktion hatte kaufen und kein Fernsehsender hatte senden wollen.

Also soll Peters den Privatdetektiv Hessenthaler mit Jan Böhmermann bekannt gemacht haben. Für dessen Fernsehshow hatte der bis dato als Künstler und Aktivist tätige Peters zuvor als Autor angeheuert. Der Rest ist Geschichte: Zwar soll auch Böhmermann die heiße Ware zunächst abgelehnt haben, dafür aber hatte er kurze Zeit später, während der Romyverleihung 2019, Andeutungen über dessen brisanten Inhalt gemacht: „Ich hänge gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rum.“ Von da bis zum Ende der türkis-blauen Koalition waren es nur noch wenige Tage.  

Eine Biografie im Nebel

Wer also ist dieser Jean Peters, der anscheinend überall dort auftaucht, wo dieser Tage noch Wunder geschehen? In der Selbstdarstellung, veröffentlicht auf seiner eigenen Website, beschreibt sich der Aktivist und Autor, der gelegentlich auch unter Pseudonymen wie Paul von Ribbeck oder Gil Schneider in Erscheinung tritt, wie folgt: „Ich habe als Aktionskünstler gearbeitet, war Autor für Zeitungs- und Fernsehformate und man kann mich als Redner bei Konferenzen oder Seminarleiter an Universitäten finden.“ Und weiter: „Ich habe das Peng Kollektiv und die Seebrücken-Bewegung mitbegründet, bei Oxfam die Kampagnen geleitet und beim ZDF Magazin Royale als Autor gearbeitet.“

Jean Peters also, ein typischer Tausendsassa irgendwo auf der verschwommenen Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus? Einer, wie es ihn seit der Krise der klassischen Medien vermutlich tausendfach gibt? Laut der Internetseite der Rechercheplattform Correctiv, für die Peters seit 2022 tätig ist, ist er „im Prinzip ein bisschen alles, was mit sozial-ökologischer Gerechtigkeit zu tun hat“. Einer eben, wie Correctiv selbst: „ein Investigativer“.

Doch was wie ein Bob Woodward für das 21. Jahrhundert daherkommt, löst sich beim näheren Heranzoomen immer mehr im Nebel auf. So war etwa noch bis gestern auf Peters eigener Website folgendes über ihn zu lesen: „Ich entwickele Aktionen und erfinde Geschichten, mit denen ich in das politische und ökonomische Geschehen interveniere. Besonders wichtig dabei: Mit der passenden Medienstrategie Aufmerksamkeit erregen.“ Ist Peters also wirklich der Investigative, der immer dann zur Stelle ist, wenn Politik und Wirtschaft große Dinger drehen? Oder dreht er am Ende vielleicht selbst ein Stück am ganz großen Rad?

Seine Selbstdarstellung passt jedenfalls nicht ganz in das investigative Image vom objektiven Journalismus, das die Essener Rechercheplattform um den einstigen WAZ-Journalisten David Schraven sonst so gerne von sich vermarktet. Das scheint auch Jean Peters mittlerweile verstanden zu haben. Seit gestern ist der heikle Satz auf seiner Website nicht mehr zu finden. Gelöscht, so wie einige Tage zuvor bereits unhaltbare Passagen auf der Seite von Correctiv selbst gelöscht wurden.

Im Windschatten der Kunstfreiheit

Dass es Peters vermutlich nie bloß um ausgewogene Nüchternheit gegangen ist, das bestätigen ehemalige Kollegen aus seinem 2013 gegründetem Künstlerkollektiv „Peng!“. Mitstreiter, mit denen zusammen er im Windschatten der Kunstfreiheit vor wenigen Jahren noch zu subversiven „Klingelstreichen beim Kapitalismus“ aufgerufen hatte, scheinen heute nicht mehr die beste Meinung von ihm zu haben.

Laut einer vor zwei Jahren ausgestrahlten Sendung auf Deutschlandfunk Kultur, bei der nebenher auch die Auflösung des linken Kollektivs bekannt gegeben wurde, werfen sie Peters „Chauvinismus, Sexismus und toxisches Verhalten“ vor. Zudem kritisieren sie, dass sich Peters in seinem Buch „Wenn die Hoffnung stirbt, geht’s trotzdem weiter“ als „Gründer, Genie und Anführer“ von „Peng!“ darstelle.* Einer Gruppierung übrigens, mit der er einst ein „Starterkit zur Fluchthilfe“ angeboten und unter der Überschrift „Deutschland geht klauen“ zum Diebstahl in Supermärkten aufgerufen hatte.

Unterstützt wurden die frühen „Peng!“-Aktionen in den ersten Jahren immer wieder vom Schauspiel Dortmund. Dessen damaliger Intendant scheint noch heute ein treuer Begleiter auf Peters künstlerischem wie publizistischem Weg zu sein. Es ist nämlich niemand geringeres als Kay Voges, heutiger Intendant am Wiener Volkstheater. Damals in Dortmund, da hielt Voges es noch für eine künstlerische Intervention, wenn Peters mal Pressemeldungen von Vattenfall fälschte (Vattenfake, 2015) oder stolz davon berichtete, dass ehemalige Geheimdienstmitarbeiter auf seine Kunstaktion „Intelexit“ (2016) hereingefallen seien, eine Intervention, mit der er Agenten zum Ausstieg aus BND und NSA aufgefordert hatte. Der unendliche Spaß aber ist vorbei. Und mit ihm sind auch die Tage der harmlosen Hanswurstiaden gezählt. Die Stoffe sind mittlerweile staatstragend und gewichtiger, die Bühnen sind weit größer geworden.

Im Frühjahr 2023 war Jean Peters zusammen mit Julian Hessenthaler auf der Bühne von Voges Wiener Volkstheater zu sehen. Der Stoff: Ibiza und was daraus wurde. Und nun, am 18. Januar 2024, gerade mal eine Woche nach der Correctiv-Recherche im Umfeld der AfD, brachte selbiger Kay Voges den „Geheimplan gegen Deutschland“ auf die Bühne des Berliner Ensembles. Eine weitere wunderbare Kooperation im Zusammenspiel von Kunst, Aktivismus und der scheinbaren Objektivität der Medien: „Ich entwickele Aktionen und erfinde Geschichten, mit denen ich in das politische und ökonomische Geschehen interveniere“, so hatte es Jean Peters auf seiner Homepage geschrieben. Gonzo is back! Man kann nur hoffen, dass es sich bei diesen Worten um eine künstlerische Ästhetik, nicht aber um eine journalistische Poetik handelt. Andernfalls wackelte nicht nur die Wahrheit, es wackelte wohl tatsächlich die Republik.

 

*In einer vorherigen Version des Textes, die auf dieser Seite bis zum 7.Februar abrufbar war, war zu lesen, dass sich Jean Peters selbst als „Gründer, Genie und Anführer“ von Peng bezeichnet habe. Dies entspricht nicht den Tatsachen.

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