
- Sagenhaft modern
Auch 925 Jahre nach der Geburt Hildegards von Bingen herrscht noch ein großer Kult um die mittelalterliche Äbtissin. In der Januar-Ausgabe von Cicero haben wir uns auf ihre Spuren begeben. Lesen Sie, warum die Universalgelehrte moderner war als viele unserer Zeitgenossen.
Warum sollte diese Frau überhaupt noch Thema sein für ein politisches Magazin? Wer sich je ein bisschen mit dem Leben Hildegards von Bingen, die vor 925 Jahren geboren wurde, beschäftigt hat, weiß um die anhaltende Faszination der mittelalterlichen Äbtissin. Je nach Perspektive dient sie heute als Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Sehnsüchte und Weltanschauungen: Die einen erblicken in ihr die Mystikerin, andere bewundern ihren herausragenden Intellekt, manche verklären sie zur feministischen Ikone – und dann gibt es natürlich noch die etwas profanere Hildegard-Rezeption als einer Vorreiterin der Naturheilkunde. Unter dem „Hildegard“-Label werden Kräutertees denn auch genauso gewinnbringend vermarktet wie Liköre oder Instantsuppen.
Jeder kann sich seine liebste Facette aus dem Leben und Wirken der Heiligen herauspicken, um daraus Erkenntnis fürs eigene Dasein zu schöpfen oder zumindest ein wohliges Gefühl des Geheimnisvollen. Dabei eignet sich die große deutsche Mystikerin gerade nicht für schablonenhafte Zuschreibungen. „Sie war vielleicht die Letzte, die Gott, Welt und Mensch, die Glaube und Leben noch zusammengesehen hat.“ So erklärt Schwester Philippa Rath, eine von gut 40 Ordensfrauen, die heute noch im Rüdesheimer Konvent von Sankt Hildegard leben, das Vermächtnis der im Wortsinn legendären Benediktinerin.
Ralf Hanselle und Volker Resing haben sich für diese Ausgabe auf die Spuren Hildegards begeben – und je näher sie ihr dabei kamen, als desto schwieriger erwies es sich, der Sagenhaften mit Worten gerecht zu werden. Denn „hinter jedem Attribut scheint nur ein weiteres aufzuleuchten – und jedes Bild weiß um ein zweites“, wie es in ihrem Beitrag heißt. Er trägt den Titel „Die Unverfügbare“ und will explizit keine „letzten Wahrheiten“ verkünden, weil genau das bei Hildegard von Bingen unmöglich ist.
Einen unverklärten Blick auf sie werfen meine Kollegen aber durchaus – wobei deutlich wird, warum die Universalgelehrte vom Rhein auch 925 Jahre nach ihrer Geburt moderner ist als viele unserer Zeitgenossen. Was übrigens auch daran liegt, dass unsere Gegenwart stärker mit dem Mittelalter verwoben ist, als es manche wahrhaben wollen.
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