Christian Lindner verplappert sich bei Maischberger - Wir werden von einer Laienschauspieltruppe regiert

Das angebliche Machtwort des Bundeskanzlers im Atomstreit war gar keines, sondern ein Schauspiel. Das hat FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner in einem Fernsehinterview aus Versehen zugegeben. Erschreckende Erkenntnis seines Auftritts: Diese Bundesregierung hat keinen Plan, wie sie die Energieversorgung der viertgrößten Industrienation aufrechterhalten will.

Erschreckende Ahnungslosigkeit: Christian Lindner zu Gast bei Sandra Maischberger / ARD
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Die Spezialität der ARD-Journalistin Sandra Maischberger ist es, ihre Gäste durch charmante Blicke abzulenken und dann mit listigen Fragen aufs Glatteis zu locken. Das ist ihr am Mittwochabend mit Christian Lindner gelungen. Der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister war zum Zwiegespräch in ihrer Sendung und sollte die Entscheidung im Koalitionsstreit um längere Laufzeiten der letzten deutschen Kernkraftwerke erklären. Lindner offenbarte dabei, dass das angebliche Machwort von Bundeskanzler Olaf Scholz in Wirklichkeit eine gemeinsame Entscheidung der Ampelspitze war.

Monatelang wurde in Deutschland um eine Verschiebung des 2011 beschlossenen Atomausstiegs gerungen. Erst zögerlich, dann aber entschieden machte sich Lindner die von Fachleuten sehr früh formulierte Forderung zu eigen, dass man in der sich zuspitzenden Energiekrise, die letzten Kernkraftwerke länger am Netz lassen sollte. Seine eigene Partei trieb ihn dabei vor sich sehr. Doch weil die Grünen und Teile der SPD mit einer Laufzeitverlängerung große Probleme haben, einigte man sich innerhalb der Koalition auf eine Minimallösung: Die drei derzeit noch laufenden Atomkraftwerke sollen dreieinhalb Monate länger am Netz bleiben, bis Mitte April 2023 und ohne neue Brennelemente.

Inszeniertes Machtwort 

Dass diese Entscheidung, die am Montag als Machtwort des Kanzlers inszeniert wurde, in Wirklichkeit gar kein Machtwort war, sondern ein zwischen SPD, Grünen und FDP ausgehandelter Kompromiss, machte Lindner bei seinem Fernsehauftritt klar. Wahrscheinlich nicht aus Absicht, denn als Sandra Maischberger ihn zu Beginn des Gesprächs genau danach fragte, verwies er noch auf Vertraulichkeit. „Aus internen Gesprächen im sehr kleinen Kreis will ich öffentlich nichts darlegen“, sagte Lindner da.

 

 

Doch einige Minuten später, nachdem er sich warm geredet und Maischberger ihn mit ihren charmant listigen Blicken aus der Reserve gelockt hatte, verplapperte er sich. Die Journalistin hielt ihm zunächst ein Zitat vor: „Allein um für Eventualitäten gewappnet zu sein, würde ich neue Brennstäbe beschaffen und zumindest bis 2024 Strom aus Kernenergie produzieren. Dann haben wir hoffentlich mehr Kapazität aus anderen Quellen“, hatte Lindner noch Anfang September in einem Zeitungsinterview gesagt.

Parteipolitische Brille

„Für alle Eventualitäten sind wir jetzt mit diesem Beschluss nicht gewappnet, oder?“, fragte ihn Maischberger. Lindners zunächst ausweichende Antwort, mit der er die ganze Misere der Energiepolitik in Deutschland offenbart, war: Er werde diese Einladung, den Streit fortzusetzen und die Grünen durch weitere Forderungen zu quälen, nicht annehmen. Der Parteipolitiker Lindner betrachtet ein grundlegendes Problem, bei dem entscheidende Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt werden, also vor allem durch die parteipolitische Brille. Maischberger ließ aber nicht locker, sondern hakte nach.

Linder holte aus, erklärte, was jetzt alles bis zum Winter 2023/2024 passieren müsse: Flüssiggas an den Weltmärkten aufkaufen, Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen massiv beschleunigen, Kohlekraftwerke reaktivieren und darauf hoffen, dass die Franzosen ihre Atomkraftwerke bald wieder flott bekommen. Die Journalistin blickte skeptisch und fragte nochmal nach: „Können Sie ausschließen, dass Sie im April nochmal vor der selben Frage stehen?“

In die Enge getrieben

Dann fiel der verräterische Satz. „Frau Maischberger, meine Grundüberzeugung hat sich ja nicht verändert durch den Beschluss der Bundesregierung“, antwortete der die Enge getriebene Lindner und merkte selbst, dass er damit die Legende von der Basta-Richtlinienkompetenz-Entscheidung des Bundeskanzlers zerstört hatte. Schnell fügte er an: „des Bundeskabinetts vom heutigen Tag“. Denn das Kabinett hatte am Mittwoch die Gesetzesvorlage zur Mini-Laufzeitverlängerung beschlossen, aber das war im Grunde nur noch eine Formalie. Die eigentliche Entscheidung haben er, Olaf Scholz und der Wirtschaftsminister Robert Habeck zuvor getroffen und dann als Machtwort des Kanzlers verkauft, damit sich Habeck nicht offen gegen den Parteitagsbeschluss seiner Grünen stellen muss.

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Dass es eine gemeinsame Kompromiss-Entscheidung war, machte Linder an späterer Stelle in dem Fernsehinterview noch einmal deutlich: „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, die Kolleginnen und Kollegen im Kabinett genauso, dass wir gut durch diesen und den nächsten Winter kommen“, versprach er und fuhr fort: „auch mit den Bedingungen, die wir uns jetzt vorgegeben haben.“ Wir uns, das klingt auch nicht nach einem Scholz-Machwort.

Kurzfristige Kompromisse

Das ganze Theater wäre an sich nicht weiter schlimm. Dass auf der Bühne etwas ganz anders dargestellt wird, als es hinter den Kulissen verhandelt wurde, gehört zum politischen Geschäft. Es ist in diesem Fall nur so, dass das aufgeführte Stück nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass unser Land energiepolitisch orientierungslos ist. Das kurzfristige Aushandeln taktischer Kompromisse, die mehr vom Terminplan einer Landtagswahl und eines Parteitags abhängig sind als von der Sachlage, mag in einer parlamentarischen Demokratie und Dreiparteienkoalition ganz normal sein. In dieser krisenhaften Lage, während eines Krieges in Europa und eines offensichtlichen Scheiterns der bisherigen Energiepolitik ist es fatal. Es ist nicht die Zeit dafür, von einer Laienschauspieltruppe regiert zu werden.

Abenteuerlicher Plan

Die weitaus erschreckende Erkenntnis des Lindner-Auftritts bei Maischberger war, dass die Bundesregierung offenbar keinen Plan hat, wie sie eine bezahlbare und sichere Energieversorgung Deutschlands erreichen will. Linder offenbarte eine erschreckende Ahnungslosigkeit von den physikalischen Grundlagen, indem er zum wiederholten Mal Leistung mit Energie verwechselte und behauptete, das Kernkraftwerk Emsland würde 1,7 Terawatt ans Netz bringen. Die Nettoleistung liegt in Wirklichkeit bei 1,3 Gigawatt, das sind 0,0013 Terawatt. Zudem klang sein Plan, der er aus Koalitionsräson leider nicht habe umsetzen können, merkwürdig bis abenteuerlich: 

„Wenn ich alleine hätte entscheiden können, dann hätten wir neue Brennstäbe mindestens hingestellt. Und hätten die in der Reserve gehabt. Wenn wir die brauchen würden im nächsten Winter, würden wir sie einsetzen und benutzen. Wenn wir sie nicht brauchen im nächsten Winter, würden wir sie auf dem Weltmarkt dann verkaufen und wären froh, dass wir sie nicht benötigt haben“, fabulierte Lindner. Doch Brennelemente werden für Kernkraftwerke individuell hergestellt. Das dauert Monate. Und kein Betreiber würden diese bestellen, wenn er nicht weiß, ob sie überhaupt zum Einsatz kommen dürfen.

Hören Sie zur aktuellen Energiepolitik der Bundesregierung auch unseren Cicero-Podcast mit der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm: „Wir müssen die Kraftwerke nutzen, die jetzt zur Verfügung stehen“.

 

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