Der NRW-Staatspreis und die Zukunft der CDU - Wüst umgarnt die Merkel-Wähler

Mit der Verleihung des NRW-Staatspreises an Angela Merkel will Ministerpräsident und CDU-Vize Hendrik Wüst jene CDU-Wähler binden, die in den vergangenen Jahren seine Partei wegen Merkel gewählt haben. Der Kampf um die Zukunft der CDU hat begonnen. 

Die frühere Kanzlerin und der künftige Kanzler? Merkel und Wüst in der Flora in Köln /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Es geht gar nicht um Merkel. Vielleicht hat sie das selbst nicht einmal gemerkt. So richtig gut hat sie sich in ihrer Partei zuletzt ja nicht mehr ausgekannt. Die Verleihung des NRW-Staatspreises an die frühere Bundeskanzlerin durch den Ministerpräsidenten Hendrik Wüst hat verschiedene Bedeutungen und Botschaften, die unwichtigste ist die Wertschätzung für Angela Merkel. Deswegen ist die Aufregung und Aufrechnung darüber auch relativ müßig, ob nun ihre Verdienste für eine derartige Auszeichnung hinreichend oder ihre Versäumnisse ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft erdrückend sein mögen. Darum ging es gar nicht. Oder nur vordergründig.

Aus der Ehrung soll anderer Nutzen erwachsen. Naheliegend wäre die Vermutung, dass ähnlich wie bei der Merkel-Ehrung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Glanz auf den Ehrenden abfallen soll. Bei Steinmeier war gemutmaßt worden, durch die Ordensvergabe würde eine verfehlte Russlandpolitik im Nachhinein geadelt. Sei’s drum.

Kanzlerin ehren und Kanzler werden

Bei Hendrik Wüst liegen die Dinge anders. Auf den ersten Blick mag sogar die zumindest publizistische Kritik an der Zeremonie ausgerechnet im bunten Botanischen Garten zu Köln größer sein, als die Bilder mit der Kanzlerin ihm im Gegenzug Größe und Glamour verleihen. Doch ist die ikonische Botschaft auch nicht völlig unplausibel: Wer eine CDU-Kanzlerin ehrt, der wird potentiell auch der nächste CDU-Kanzler. Das ist zumindest eine mögliche Deutungsebene, welche die Ambitionen des CDU Landesvorsitzenden in Düsseldorf veranschaulicht. Doch es ist auch keineswegs die wichtigste. 

Friedrich Merz, der amtierende CDU-Vorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hatte der ehemaligen Kanzlerin die Würdigung verwehrt, als unhöflich gar wurde von einigen seine Verweigerung eines Glückwunsches nach der Bellevue-Veranstaltung angesehen. Nach dieser Logik zählt trotz aller Kritik die Traditionslinie mehr als der Bruch, so katholisch ist die CDU noch. Ein CDU-Chef hat seine Vorgängerin zu ehren – egal, wie er sie findet. Und Merz wird nicht Kanzler, wenn er derart unentspannt mit der selbstverständlich immer und nur glorreichen Geschichte der eigenen Partei umgeht. So könnte man mutmaßen. 

 

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Ob diese Lesart bei der Merkel’schen Apotheose nun wirklich greift, ist noch nicht klar. Zumal Merkel selbst dereinst aus dem Straucheln ihres Vorgängers, des Kanzlers der Einheit, ihren Aufstieg gebar. Sie hat die Emanzipation ihrer Partei von Helmut Kohl 1999 gefordert. Und beim „Erwachsenwerden“ half sie, wurde unerwartet Vorsitzende und noch viel unerwarteter Kanzlerin und blieb dies von den meisten damals für völlig unmöglich gehaltene 16 Jahre lang. Und sie blieb die Kanzlerin in Abgrenzung zu Kohl. Also, Brüche gab es schon mal, sie mussten mühsam überdeckt werden. Wollen Wüst und die Seinen nun aus diesen Fehlern lernen? Merz schied im Groll aus der Politik aus, weil er den Übergang zu Merkel nicht mitmachen wollte. Am Ende der Ära Merkel sollen nun nicht ähnliche Blessuren entstehen. 

Mutti aller Krisen?

Ob es aber wirklich sinnvoll wäre, nun eine kommende CDU-Kanzlerschaft in die unbedingte Tradition der Kanzlerin zu stellen, darf stark bezweifelt werden. Wer aber aus den Turbulenzen mit Kohl gelernt hat, weiß vielleicht auch, dass es nicht ganz klug sein kann, die Zukunft der CDU nur aus der gänzlichen Ablehnung und Abgrenzung zur CDU-Kanzlerin (!) Angela Merkel zu entwickeln. Dazu ist eben die CDU zu Teilen längst Merkel-CDU geworden, dazu ist auch die Kanzlerin nach wie vor zu beliebt, allen wutschnaubenden und Galle speienden Kritikern zum Trotz. Man würde gegen Teile der eigenen Mannschaft kämpfen, würde man sich vollends von Merkel lösen. 

Angela Merkel mag noch so viele Fehler gemacht haben, noch so viele Krisen, die jetzt zu bewältigen sind, mitverursacht haben, wie manche meinen. Wer will, soll sie die Mutti aller Krisen nennen. Ihre vielen Wähler aber, und um die geht es eigentlich, wollen nicht ständig gesagt bekommen, dass sie sich geirrt haben. Sie wollen nicht den Spiegel vorgehalten bekommen: Ihr habt auf die Falsche gesetzt. Das ist der tiefere Grund für die Ehrung, die Wüst gestern in Köln vorgenommen hat. Er ehrt nicht die Kanzlerin, er ehrt schon gar nicht alle Facetten ihrer Politik, er bedankt sich bei den vielen Wählerinnen und Wählern, die die CDU mit Merkel gewählt haben. Darum geht es. Wir sind euch nicht böse! Bleibt bei uns! Wir halten auch diese Merkel-Zeit, eure Zeit, in Ehren, wenn ihr uns nur weiter folgt. So lautet die Devise.

Lagerkämpfe brechen sich Bahn

Die Merkel-Ehrung dient, aus der Sicht ihrer Akteure, dem innerparteilichen Friedensprozess, der erst am Anfang steht und dem noch einige Niederlagen bevorstehen. Friedrich Merz hat in den zurückliegenden anderthalb Jahren die CDU gut beisammen gehalten, aber umso näher die nächste Bundestagswahl rückt, umso schwächer die Ampel dasteht und vor allem umso wahrscheinlicher eine erneute CDU-Kanzlerschaft 2025 wird, umso mehr setzen die alten Fliehkräfte wieder ein. Man kann sagen, dass die CDU im Untergrund noch immer von starken Lagerkämpfen beherrscht ist. Zugleich gilt aber auch, dass diese inhaltliche Bandbreite wichtig ist und immer die Stärke der Partei war. Unter Merkel war diese ja gerade verkümmert. Also bleibt die wachsende Unruhe in der CDU zwiespältig.

Hendrik Wüst aber stellt sich als Parteiführer, als Versöhner und tatsächlich als jemand vor, der auch für Größeres zu haben wäre. Das bleibt mit den Bildern von Köln gewiss auch verbunden. Sein Staatsminister Nathanael Liminski twittert nach der Veranstaltung: „Ein Hoch auf eine politische Kultur geprägt von Kompromiss und Konsens statt Keilerei und Kampf“. Das klingt doch etwas säuselnd und Merkelianisch – vielleicht sogar diskursskeptisch. Ob tatsächlich so die Partei zu führen ist, die Wahlen zu gewinnen und das Land zu regieren wäre, darf man sich nach 16 Jahren Merkel und bald zwei Jahren Scholz nicht sicher sein. Es gibt auch die Merz-CDU, die sich so die politische Zukunft nicht vorstellen will. 

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