CDU-Annäherung an die Linke - „Als Volkspartei das Ende“

Für die CDU galt bisher: Die AfD scheidet als Koalitionspartner aus, die Linke ebenso. Doch jetzt hat der frühere thüringische CDU-Vorsitzende Mike Mohring eine Diskussion losgetreten, die die Union in ihren Grundfesten erschüttern könnte.

CDU-Politiker Mohring / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Der Berliner Tagesspiegel brach in diesen Tagen geradezu in Jubel aus. „Jetzt geht’s los: Die CDU und die Linke nähern sich an. Zumindest in Thüringen. Und das ist auch bitter nötig“, hieß es in einem Leitartikel. Dem linksliberalen Blatt hatte Mike Mohring, Mitglied des CDU-Bundesvorstands, den Anlass zu diesem begeisterten Ausbruch geliefert.

Der Thüringer CDU-Politiker zeigte sich nämlich offen für Gespräche seiner Partei mit der Linken. Dem Portal The Pioneer sagte Mohring, in der Partei des linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow arbeiteten Leute, die „ihre Sache mit Sinn und Verstand machen“. Nach der Wahl müsse die Union daher im Zweifel auch mit der Linkspartei sprechen. „Die alten Bonner Koalitionsmodelle sind perdu.“

Schwierige Mehrheitsverhältnisse

Es ist freilich nicht das erste Mal, dass der bei der Landtagswahl 2019 als Spitzenkandidat gescheiterte Mohring in Koalitionsfragen anders denkt als die meisten seiner Parteifreunde. Nachdem Rot-Rot-Grün in Erfurt die Mehrheit verloren hatte und die auf 27,1 Prozent abgestürzte CDU ebenfalls keine Mehrheit zustande bringen konnte, dachte Mohring plötzlich um – und schloss eine Zusammenarbeit mit der Linken nicht mehr aus. „Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht“, sagte er nach der Wahl.

Dass Mohring noch vor der Wahl jede Zusammenarbeit mit der Linken ausgeschlossen hatte, war plötzlich vergessen. Die thüringische CDU folgte Mohring bei seinem Flirt mit der Linken jedoch nicht. Er bekam zudem heftigen Gegenwind von der Bundespartei. Nicht einmal der für abweichende Meinungen bekannte schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, der schon 2018 für „ein gutes Stück Normalisierung zwischen CDU und Linken“ plädiert hatte, sprang Mohring bei. 

Günther hatte eine Zusammenarbeit mit der Linken so begründet: „Es wäre gut, auf Scheuklappen zu verzichten.“ Wenn die Wahlergebnisse es nicht anders hergeben würden, müsse die CDU pragmatisch sein. Da hatte selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel, damals noch CDU-Vorsitzende, interveniert: „Ich befürworte keine Zusammenarbeit mit der Linken, und das schon seit vielen Jahren.“

Die schwierigen Mehrheitsverhältnisse in Thüringen führten im Februar 2020 zur Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten – mit Stimmen von CDU, AfD und FDP. Das löste ein politisches Beben aus, das Kemmerich nach fünf Tagen zum Rücktritt zwang. Mohring verlor ebenfalls seine Ämter als CDU-Landespartei- und Fraktionschef. Er ist aber immer noch Landtagsabgeordneter und einer der wenigen Ostdeutschen im CDU-Bundesvorstand.

Die AfD führt in allen Umfragen deutlich

Mohrings neuerlicher Vorstoß hängt eindeutig mit dem Erstarken der AfD zusammen. In Thüringen, Brandenburg und Sachsen, wo im nächsten Jahr gewählt wird, führt die AfD in allen Umfragen deutlich, in Thüringen liegt sie sogar bei 32 Prozent. Da wird es schon rechnerisch schwierig, dass CDU, SPD, Grüne und FDP eine Mehrheit zustande bringen. Alle schließen nämlich eine Koalition mit der AfD kategorisch aus. Doch sind SPD und Grüne jederzeit bereit, sich von der Linken zur Mehrheit verhelfen zu lassen, die CDU dagegen unter keinen Umständen.

Die Linke steckt zurzeit selbst in größten Schwierigkeiten. Ihre Umfragewerte sind schlecht. Zudem muss sie befürchten, dass ihr Noch-Mitglied Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründet und die Linke stark schwächt. Freilich ist offen, ob eine Wagenknecht-Partei nach einem möglichen Probelauf bei der Europawahl im Juni 2024 sich auch an den Landtagswahlen beteiligte oder sich ganz auf die Bundestagswahl 2025 konzentrierte. 

Die Linke hat freilich den Vorteil, dass sie durch das Erstarken der AfD in zunehmendem Maß zu „den Guten“ gezählt wird. Die Linke als Koalitionspartner von SPD und Grünen, das führt kaum noch zu Diskussionen. Die Fortsetzung der SPD/Grüne/Linke-Koalition in Bremen hat, obwohl es auch andere Koalitionsoptionen gegeben hätte, nicht einmal die CDU sonderlich aufgeregt. Für SPD, Grüne und die allermeisten Medien sind Kooperationen und Koalitionen mit der Linken ohnehin längst „business as usual“.

Umgang mit der Linken

In die Diskussion um den Mohring-Vorstoß platzt nun ein interessantes Umfrageergebnis. Laut Politbarometer ist die Hälfte der Unionsanhänger offen für Gespräche der Partei mit den Linken über mögliche Regierungskoalitionen in den Ost-Ländern. Dies fänden 60 Prozent aller Befragten und 50 Prozent der Unionsanhänger gut. Unter den Unionswählern sind 47 Prozent gegen eine solche Annäherung an die Linke, in der gesamten Wählerschaft nur 34 Prozent. 

Offenkundig vertreten die Deutschen, auch im Westen, eine ähnliche Auffassung wie der Linke Ramelow, der kürzlich behauptete, die Linke sei nicht mehr die alte PDS. Mohring sieht das ähnlich: „Bei der AfD sitzen Leute, die wegen Volksverhetzung angeklagt sind. Bei der Linken sitzen solche nicht.“ Folglich hält er nicht viel von dem Beschluss der Bundes-CDU aus dem Jahr 2018, mit dem das Nein zu jeder Zusammenarbeit mit den beiden Parteien am ganz rechten wie am ganz linken Rand bekräftigt wurde.
 

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Nun ist nicht zu übersehen, dass die CDU in den neuen Ländern auf kommunaler Ebene vielfach mit der Linken problemlos zusammenarbeitet, mancherorts übrigens auch mit der AfD. Im Thüringer Landtag toleriert die CDU sogar Ramelows rot-rot-grüne Minderheitsregierung, auch wenn sie das Wort Tolerierung peinlichst meidet. Zudem scheinen sich viele ostdeutsche Wähler an der SED-Vergangenheit der Linken nicht oder nicht mehr zu stören, auch solche, die sie nicht wählen.

Vor diesem Hintergrund hat Mohring vorgeschlagen, es in Zukunft den CDU-Landesverbänden zu überlassen, auf ihren Parteitagen selbst über ihren Umgang mit der Linken zu entscheiden. Auf große Zustimmung ist er damit im Osten bisher noch nicht gestoßen. Doch könnte mancher ostdeutsche CDU-Politiker es sich nach einer Wahl zweimal überlegen, ob es nicht doch besser wäre, mit Unterstützung der Linken zu regieren, statt gar nicht zu regieren. 

Ein gespaltenes Verhältnis zum Parlamentarismus

Ramelow hat Recht: Die Linke ist nicht mehr die alte PDS, die einst möglichst viele Errungenschaften des SED-Staates bewahren wollten. Aus westdeutscher Sicht ist dennoch schwer zu verstehen, dass die Ostdeutschen es der Linken offenbar gerne nachsehen, wenn sie sich unverändert weigert, die DDR als das zu bezeichnen, was sie war, nämlich ein Unrechtsstaat. Da dürfte 33 Jahre nach der Wiedervereinigung auch die nachlassende Kenntnis über die DDR eine Rolle spielen. 

Abgesehen von der DDR-Nostalgie vieler Linker („Es war nicht alles schlecht“) hat die Partei ein gespaltenes Verhältnis zum Parlamentarismus, tut sich bei der Ablehnung von politischer Gewalt schwer, wenn sie als „antifaschistischer Kampf“ deklariert wird, will die soziale Marktwirtschaft faktisch abschaffen und bekennt sich unverdrossen zu „Positionen und Traditionen aus der sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung“. Will die CDU ernsthaft Seit’ an Seit’ mit diesen Genossen Politik machen?

In dieser Frage sind, wie das Politbarometer zeigt, nicht nur die Unionsanhänger gespalten. Experimente mit CDU/Linke/SPD- oder Linke/CDU/SPD-Koalitionen könnte die unverändert westdeutsch geprägte CDU zerreißen. Es könnte vor allem bürgerliche Wähler vor die Frage stellen, warum sie ihr Kreuz noch bei der bereits sozialdemokratisierten, grün imprägnierten und nunmehr nach ganz links offenen CDU machen sollen. 

Als Volkspartei das Ende

Die Zeiten haben sich geändert und die CDU würde nicht mehr wie im Bundestagswalkampf plakatieren „Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau“. Aber es ist auch nicht so, dass die Linke 34 Jahre nach dem Mauerfall uneingeschränkt zum demokratischen Spektrum gehört. In den alten Bundesländern jedenfalls ist in der CDU jede Form der Kooperation mit der Linken, die über den normalen parlamentarischen Umgang hinausgeht, verpönt.  

Falls der neue CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann zu einer Öffnung gegenüber der Partei von Bartsch, Gysi, Mohamed Ali, Bartsch und Wagenknecht gefragt wird, kann er seine Stellungnahme zu Mohrings Plänen von 2019 zitieren: „Meine Partei zeigt zu wenig Haltung, zeigt sehr stark Beliebigkeit. Und mittlerweile habe ich das Gefühl, auch Beliebigkeit in Sachen Konstellation mit anderen Parteien. Da öffnen wir uns einer Koalition mit den Linken. Das wäre wirklich der Anfang vom Ende der CDU. Ich würde sogar sagen, als Volkspartei das Ende, wenn wir da mitmachen würden.“

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