Verfassungswidriger Haushalt - Die Ampel verweigert ihr eigenes Ende

Die Bundesregierung verweigert die politische Akzeptanz des vernichtenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu ihrem Versuch, Schulden für die Coronakrisenhilfe in einen Klimafonds umzuwandeln. Nach früheren Maßstäben wäre ihr geschlossener Rücktritt fällig.

Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesfinanzminister Christian Lindner / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Die Reaktion der Ampel-Regierung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch kann man nicht anders als stur bezeichnen. Man glaubt, die Klatsche, die man gerade empfangen hat, einfach wegstecken, nur als kleine Verzögerung interpretieren und nach einer gewissen parlamentarischen Strafarbeit einfach so weitermachen zu können. 

Auf das Aufnehmen und vor allem Ausgeben von 60 Milliarden Schulden-Euros zu verzichten, die der Bundestag 2021 zum Kampf gegen Corona abseits des eigentlichen Haushalts bewilligte und dann von der Ampel zur Klimaschutz-Transformation der deutschen Wirtschaft umgewidmet hatte, kommt für die Ampel offensichtlich nicht in Frage. Es wäre schließlich das gigantische Scheitern des vor allem von den Grünen forcierten zentralen Projekts dieser Regierung. 

Letztlich geht es bei den Operationen der Ampel-Parteien im Bundestag, die noch bis kommenden Donnerstag laufen sollen, um nichts anderes als um die Suche nach formal verfassungsmäßigen parlamentarisch-haushalterischen Kniffen, um eine gerade als verfassungswidrig verurteilte gigantische Finanzierungsaktion so umzuformen, dass keine tatsächlichen, materiellen Auswirkungen folgen. Formal akzeptiert man das Urteil, aber effektiv eigentlich nicht.  

 

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Würde die Ampel das Urteil wirklich ernst nehmen, müsste nun ein fundamentaler Reflexionsprozess einsetzen. Und zwar über zweierlei: nämlich erstens über die vernebelte Staatsverschuldungsmethode der sogenannten Sondervermögen im Speziellen und zweitens über die Finanzierung des zentralen Vorhabens der Transformation der Wirtschaft mittels Schulden im Allgemeinen. Die Frage der Fragen würde dann lauten: Muss Nachhaltigkeit nicht ebenso ökonomisch wie ökologisch konzipiert werden?  

Dass die oppositionelle Union, die gegen die Umwidmung des euphemistisch „Sondervermögen“ genannten Neben-Haushalts aus zusätzlichen Schulden vom Anti-Corona-Kampf zur Klima-Transformation in Karlsruhe geklagt hatte, nun bei dieser parlamentarischen Kniff-Suche der Ampel nicht mitmachen will, ist selbstverständlich. 

Die Pseudo-Empörung der Ampel-Haushalter darüber, dass die Union keine eigenen Änderungsvorschläge einbrachte (also sich der Teilhabe an der Trickserei verweigert), ist eine der ältesten Taktiken der politischen Kommunikation: statt vom eigenen Versagen zu sprechen und um von der eigenen Verantwortung dafür abzulenken, beklagt man die angebliche Verantwortungslosigkeit der anderen. 

Früher wäre dies das Ende einer Regierung

Peinlicher kann eine Regierung kaum scheitern. Eigentlich – nach den im bürgerlichen Zeitalter gültigen Maßstäben, an die sich ältere Beobachter vielleicht sogar noch aus eigenem Erleben erinnern – müsste eine Regierung, die ein derartiges Urteil kassiert und damit nicht nur ihre politische Perspektive, sondern ihr „Gesicht“ oder ihre Ehre oder Würde oder wie man das in jenen verflossenen Zeiten auch nannte, verlor, geschlossen zurücktreten. Kaum vorstellbar, dass ein Kabinett unter Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt oder auch noch Kohl einfach weiterregiert hätte, wenn der eigene (Nachtrags-)Haushalt als verfassungswidrig erklärt worden wäre. 

Allerdings wäre natürlich schon der Versuch eines riesigen Nachtragshaushalts aus Schulden, die man dann einfach „Sondervermögen“ nennt, unter einem Finanzminister Fritz Schäffer (1949-57) völlig unvorstellbar gewesen. Er schaffte es in jenen noch mageren Zeiten, eine Finanzreserve („Juliusturm“) anzulegen. Unter anderem auf solcher Stabilitätspolitik und nicht auf einem (Wirtschafts-)Wunder basierte der Wiederaufstieg Deutschlands nach dem Krieg und unser bis heute (noch) anhaltender Wohlstand.

Ein Finanzminister ohne politischen Kredit

Der aktuelle Finanzminister Christian Lindner tat nun am Donnerstag im Bundestag so, als wolle er in die Fußstapfen solcher längst vergangenen Stabilitätspolitik treten und erklärte: „Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt.“ Das ist natürlich richtig. Aber diese Worte kommen von einem Mann, der sich zwar als Kämpfer für die Schuldenbremse inszeniert, aber diese selbst zuvor „stumpf umgangen“ hat, wie CDU-Haushaltspolitiker Mathias Middelberg formuliert.   

Lindner hat seine Zustimmung zu dem Taschenspielertrick des umgewidmeten „Sondervermögens“ gegeben, also dazu, quasi Staatsschulden auf Vorrat zu machen, um sie dann, wenn das Geld ausgegeben wird, nicht mehr auf die Schuldenquote anrechnen zu müssen und die Schuldenbremse scheinbar einhalten zu können. Diese Blendung hat das Verfassungsgericht nun verboten. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist, wie Middelberg sagt, sehr klar: Staatsschulden sind in dem Jahr zu verbuchen, in dem das Geld ausgegeben wird. Das muss auch nachträglich gelten. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, dass auch im laufenden Jahr, anders als Lindner behauptet, die Schuldenbremse nicht eingehalten wird.

Lindner kann also nun wahrlich nicht mehr erwarten, dass das Volk ausgerechnet ihm eine „wirksamere Politik mit weniger Geld“ zutraut. Die Chance darauf hat Lindner mit den Sondervermögen und seiner grundsätzlichen Zustimmung zur schuldenfinanzierten Grünen Transformation verspielt. Damit hat er seinen 2017 noch glaubwürdigen Leitsatz „Besser nicht regieren, als schlecht regieren“ ins Gegenteil verkehrt. Womöglich hat er damit auch den Untergang der FDP besiegelt, die er selbst nach 2013 aus dem bundespolitischen Orkus erhoben hatte. 

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