Bundestag ändert Verfassungsschutzgesetz - „Immer noch verfassungswidrig“

Der deutsche Inlandsgeheimdienst wollte personenbezogen Daten künftig nicht nur an öffentliche, sondern auch an private Stellen übermitteln. Ganz so schlimm, wie ursprünglich beabsichtigt, ist es nun nicht gekommen. Experten beurteilen die geschaffenen Regelungen dennoch als „verfassungswidrig“.

Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Köln / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Eigentlich hatte der Verfassungsschutz vor, sich weitreichende gesetzliche Kompetenzen zu verschaffen. Künftig sollte es ihm möglich sein, tatsächliche oder vermeintliche Extremisten ohne große Hürden bei Arbeitgebern, Schulleitern oder Vermietern anzuschwärzen. Ganz so schlimm ist es nun nicht gekommen. Experten beurteilen die geschaffenen Regelungen dennoch als „verfassungswidrig“.

Erforderlich geworden war bloß eine rechtliche Klarstellung. Dass Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber mit einer Entscheidung zum Bayerischen Verfassungsschutz auch mit Wirkung für das Bundesverfassungsschutzgesetz aufgegeben, die Übermittlung von Erkenntnissen der Geheimdienste an andere Stellen rechtsstaatlich sauber zu regeln. Aber der deutsche Inlandsgeheimdienst wollte die Gunst der Stunde nutzen, um seine Kompetenzen drastisch auszuweiten.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf sah nicht nur vor, zur Minderung der „Verwundbarkeit“ und Stärkung der „Resilienz“ der Verfassungsordnung personenbezogene Daten an öffentliche Stellen übermitteln zu dürfen, sondern ausdrücklich auch an private. Das wäre sogar „für sonstige erhebliche Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder für sonstige erhebliche Interessen des Empfängers“ möglich gewesen. Also für ziemlich unbestimmte und daher dem Missbrauch leicht zugängliche Sachverhalte.

Dystopische Szenarien

Was das hätte konkret bedeuten können, führte Ralf Poscher in einer Anhörung vor. Er ist Direktor der Abteilung Öffentliches Recht des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht: 

„Die Nachrichtendienste können dann Schulleiter über die Bestrebungen ihrer Schülerinnen und Schüler, Universitäten über die ihrer Studierenden, Arbeitgeber über ihre Beschäftigten etc. informieren, auch wenn von ihnen keinerlei konkrete oder auch nur konkretisierte Gefahr ausgeht.“

Es sei leicht vorstellbar, was das für die „Betroffenen bedeuten“ könnte. Regelrecht „dystopische“ Szenarien wären aus Sicht Poschers denkbar gewesen. Der Jurist erklärte den entsprechenden Paragrafen des Gesetzesentwurfes daher auch für nicht mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vereinbar und mahnte Änderungen an. Und er hat auch eine Erklärung zur Hand, wie es überhaupt zu dieser Gesetzesvorlage kommen konnte.

Zwei sich ausschließende Logiken

Es stünden sich einfach zwei verschiedene Logiken gegenüber. Das Verfassungsgericht verteidige strikt die Verfassung: 

„Und die sieht aus historischer Erfahrung und gutem Grund vor, dass der Verfassungsschutz lediglich eine Stelle ‚zur Sammlung von Unterlagen‘ ist und zum Beispiel im Unterschied zur Polizei keine operativ tätige Behörde.“

Der Verfassungsschutz wiederum gehe verständlicherweise aus ganz anderer Perspektive an seine Aufgabe heran. Er wolle, wenn er Erkenntnisse habe, mit diesen auch eine Wirkung erzielen. Das andauernde Drängen der Behörde, seinen Informationsauftrag als eine Art Kompensationshandlung beständig auszuweiten, könnte darin seinen Grund finden.

Weniger schlimm als befürchtet

Die in dieser Woche nach nur 26-minütiger Debatte beschlossene Gesetzesänderung sieht nicht mehr ganz so schlimm aus wie der ursprüngliche Entwurf. Der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann sprach trotzdem von einem „guten Tag für die Nachrichtendienste des Bundes“. Auch Ralf Poscher konzediert, dass die beschlossene Regelung nicht mehr so bedenklich sei wie noch der Entwurf: „Aber sie ist immer noch verfassungswidrig.“

 

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Für wahrscheinlich gerade noch zulässig hält Poscher dabei die Übermittlung von Informationen in den Fällen Parteiverbot, Vereinsverbot oder Aberkennung von Grundrechten: 

„Das liegt in der Natur der Sache. Die Verfassung sieht hier selbst Eingriffsmöglichkeiten weit vor einer konkretisierten Gefahr vor. Daher scheint es mir überlegenswert, die Übermittlung von Erkenntnissen zuzulassen, die diesem Verfassungsauftrag noch entsprechen.“

Poscher betont aber, dass das Grundgesetz keine Pflicht kenne, lediglich verfassungstreue Überzeugungen zu vertreten – außer bei Beamten. Auch ist es nun doch offiziell gestattet, personenbezogene Daten an Kindergärten, Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zu übermitteln – wenn auch unter weit strengeren Kriterien als ursprünglich geplant, nämlich wenn der Inlandsgeheimdienst zumindest Anhaltspunkte für den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung für gegeben hält. Aber auch dies hält Poscher letztlich für verfassungsrechtlich nicht haltbar.

Tür für VS-Leaks hat sich geöffnet

Auf ein anderes Problem macht der Verfassungsschutzrechtler Dietrich Murswiek aufmerksam. Das Bundesverfassungsschutzgesetz lasse es nun ausdrücklich zu, dass der Inlandsgeheimdienst personenbezogene Erkenntnisse „zur wissenschaftlichen Erforschung und Bewertung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen und Tätigkeiten“ an nicht-öffentliche Stellen übermittelt.

Murswiek hält das für nicht erforderlich und zugleich eine Gefahr für die Demokratie: 

„Ich sehe nicht, dass zu Zwecken der wissenschaftlichen Erforschung und Bewertung verfassungsfeindlicher Bestrebung die Übermittlung personenbezogener Daten erforderlich ist. Wissenschaft ist kein Gericht, das im Einzelfall entscheidet, sondern Wissenschaft beschäftigt sich mit allgemeinen Erkenntnissen. Dafür reichen anonymisierte Daten und Statistiken.“ 

Vielmehr bestehe hierdurch die Gefahr, dass sich so „eine Tür für Leaks seitens des Verfassungsschutzes öffnet, die andernfalls strafbarer Geheimnisverrat wären“. Und schließlich bietet das Verfassungsschutzgesetz nun auch die Möglichkeit, personenbezogene Daten an nicht-öffentliche Stellen zu übermitteln, wenn dies zur Erfüllung „der Aufgaben der empfangenden Stelle“ erforderlich ist. Murswiek: 

„Damit kann sich der VS zum Lieferanten von Informationen an NGOs oder an die Medien machen, denen er Recherchearbeit abnimmt, ohne dass erkennbar ist, was das mit den gesetzlichen Aufgaben des VS zu tun hat.“

Am Ende ist es zwar nicht ganz so schlimm gekommen wie befürchtet, aber dennoch wurde die Tür zur Denunziantenrepublik einen Spalt weit aufgestoßen. Und wahrscheinlich ist das alles außerdem verfassungswidrig. Der Verfassungsschutz kann auf dieser Grundlage trotzdem vorerst arbeiten. Bis vielleicht Karlsruhe irgendwann wieder einmal ein Urteil fällt.

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