Bundesparteitag der SPD - Fröhliche Kanzler-Feier mit Wünsch-Dir-was-Bescherung

Der SPD ist auf ihrem Parteitag gelungen, was viele für Weihnachten erhoffen: Schöne Stunden und die Krisen vergessen. Doch die Regierung steht noch immer am Abgrund und die Umfragen degradieren die Kanzlerpartei weiterhin bei um die 15 Prozent.

Der SPD-Parteitag bescherte dem Kanzler einen Wohlfühltag. Olaf Scholz nimmt die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil in den Arm. /dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der rote Kaffeebecher mit dem skizzierten Konterfei von Olaf Scholz ist auf dem Parteitag allgegenwärtig. Und obwohl der Kanzler-Kaffee vom konservativen Seeheimer Kreis stammt, findet er sich durch die Bank bei vielen Delegierten auf dem Platz wieder. 

Der zurückliegende Bundeskonvent der SPD war ein überraschendes Versöhnungsfest der Partei mit ihrem Spitzenmann, sie bejubelte nun den jetzigen Kanzler, den sie dereinst nicht als Vorsitzenden wollte. Und Scholz schaffte es sogar, sich als so etwas wie eine sozialdemokratische Wärmepumpe zu geben, als er gegen „Sozialabbau“ wetterte und den Kampf „gegen Rechts“ zum Gründungsmythos der SPD erklärte. „Wir haben eine Geschichte, und wir haben eine Verantwortung für die Demokratie. Und deshalb dürfen wir das nicht geschehen lassen.“

Mit der Faust in der Tasche

Doch der erste Anschein trügt. Die von allen SPD-Spitzenleuten im City Cube Berlin an diesem Wochenende beteuerte Einheit und Geschlossenheit ist nur das Zauberbild eines vorweihnachtlichen sozialdemokratischen Krippenspiels. Eine Idylle, die allerdings Risse bekam, als die Aussprachezeiten länger und der Abend fortgeschrittener war. 

Früher war die SPD für ihre Streitereien auch auf ihren Parteitagen bekannt. Die CDU veranstaltete für ihre Kanzlerin Hochämter, auch wenn viele die Faust in der Tasche hatten. Das gelang nun auch der SPD als Kanzlerpartei: Fröhliche Kanzler-Feier mit Wünsch-Dir-was-Beschlüssen. Doch die prekäre Lage der Partei übertüncht dies nur notdürftig.

Die Realität-Programm-Schere der SPD

Zunächst hatte es aus der Parteispitze geheißen, der Haushaltsstreit müsse vor dem Parteitag gelöst sein, damit die SPD das Wochenende nicht mit Ampel-Krisen-Debatten durchbringen müsse. Nun hat sich das Gegenteil als richtig erwiesen. Da es noch keinen Kompromiss zwischen Scholz und Christian Lindner (FDP) gab, konnte die Partei sich in hehren Forderungen ergehen, ohne diese mit der Realität abchecken zu müssen. 

Die Schuldenbremse, dereinst von Sozialdemokraten mit erdacht, sei nun eine „Wachstumsbremse“, erklärte SPD-Chef Lars Klingbeil. Die Erklärung der Notlage für 2024, um erneut höhere Schulden aufnehmen zu können, sei nun geboten, so beschloss es der Parteitag. Doch viele Redner gingen weiter. Die Schuldenbremse müsse ganz fallen, das erträumen sich die Sozialdemokraten. 
 

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Wenn Scholz alles, was auf dem Parteitag gesagt und beschlossen wurde, ernst nehmen würde, könnte er gleich am Sonntagabend die Koalition mit FDP und Grünen aufkündigen. Doch offenbar stört sich in der SPD kaum einer an dieser Realität-Programm-Schere. Zunächst wollte man sich im sozialdemokratischen Bällebad vergnügen und ganz bei sich sein. 

Der Kanzler hingegen wird in den Ampel-Beratungen sowohl beim Thema „Sozialabbau“ als auch bei der Frage der Schuldenbremse anders auftreten müssen, als er es in der Messehalle vorgesäuselt hat. Am Sonntagabend verhandeln Scholz, Lindner und Robert Habeck von den Grünen wieder, um das 17-Millarden-Loch im noch nicht vorhandenen Etat-Entwurf zu schließen. Dann wird der SPD-Parteitag schon wieder ganz weit weg sein.

Harmoniestörer Klimapolitik

Am Schwierigsten für die SPD war es, in Sachen Migration eine Kompromisslinie zu finden, die sowohl den Realpolitikern zuzumuten ist, als auch die deutlich laustärkeren Idealisten befriedigen kann. 60 Einzelanträge hatte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert zu einem Kompromissantrag zusammengefasst, die Debatte wurde auf den Samstagabend gelegt, an dem die Delegierten sich eigentlich gern zum heiteren Parteiabend versammeln.

Das Ergebnis ist nun eine Beschlusslage, die im Gegensatz zur Haltung von Scholz und SPD-Innenministerin Nancy Faeser steht. Nun soll doch der Familiennachzug wieder ausgeweitet werden, den die Regierung derzeit noch begrenzt. Nun wird wieder auf staatliche Förderung der privaten Seenotrettung gesetzt, obwohl hier längst auf europäischer Ebene eine andere Linie vorherrscht. Und schließlich redet die SPD beim Thema Abschiebung nun mit gespaltener Zunge.

Der Spiegel hatte auf seinem Cover Ende Oktober das Konterfei des Kanzlers platziert mit dessen Zitat: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Nun in der Messehalle auf dem Parteitag hatten die Jungsozialisten (Jusos) Kopien des Bildes angefertigt, die einige Delegierte als Ausweis des Protestes emporstreckten. Da war der Kanzler allerdings schon weg und auf dem Weg zur ZDF-Sendung „Ein Herz für Kinder“. 

Rednerinnen und Redner im Saal brandmarkten Scholz Äußerung als Vokabular des rechten Mobs. Im Kompromissantrag wurde dann weich formuliert, eine freiwillige Ausreise von ausreisepflichtigen Asylbewerbern sei einer Abschiebung vorzuziehen. Und bei straffällig gewordenen Personen seien die „Verfahren zu langwierig“.

Ministerpräsident Weil im Hexenkessel

In den sozialdemokratischen Sprachspielen wird die Verteidigung des individuellen Rechts auf Asyl dann bei einigen Sprechern fast zu so was wie einem Abwehrrecht gegen jedes Eingreifen des Staates. Eine offene Gesellschaft wird dann gleichgesetzt mit offenen Grenzen. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil wagte es in diesen Reden-Reigen einzugreifen. Als einer der wenigen Akteure an diesem Abend sprach er die Überlastung der Kommunen, aber auch die Überforderung der Gesellschaft direkt an. Weil ist einer der erfolgreichsten und am längsten amtierenden SPD-Regierungschefs. Doch im sozialdemokratischen Hexenkessel hat er es schwer. Sein Realismus passt nicht zur Betroffenheitsrhetorik vieler seiner Genossen und Genossinnen.

Stephan Weil mahnte in seiner Rede an, unterschiedliche Blickwinkel anzuerkennen. Seit 2015 habe Deutschland 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Das sei eine große Zahl. Es habe eine echte Aufnahmebereitschaft gegeben und die gebe es noch immer, wenn man das Gemeinwesen nicht überfordere. Wenn der Eindruck entstehe, der Staat habe die Lage nicht im Griff, setze das Recht nicht durch, dann wachse der Protest. 

Und Weil zog einen direkten Zusammenhang zum Erstraken der AfD. Und damit war er einer der wenigen, die auf dem Parteitag Klartext sprachen. Die SPD liegt in Umfragen bei 16 Prozent, die AfD bei 20 Prozent. Das, was vor einigen Jahren noch undenkbar war, dass die Kanzlerpartei hinter die Rechtspopulisten zurückfällt, das wurde von ihm und sonst nur wenigen thematisiert. Und damit ist der Realitätsschock für die stolze SPD zunächst noch aufgeschoben. Der Parteitag war der erste nach vier Jahren, bei den nächsten wird des deutlich ungemütlicher zugehen.

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