Bundesfinanzhofurteil zum Soli - Ein Freibrief für Wählertäuschung

Der Bundesfinanzhof hat entschieden: Der Solidaritätszuschlag ist nicht verfassungswidrig. Die Begründung des obersten Steuergerichts klingt nicht sehr überzeugend.

Der Aufbau Ost (hier die Altstadt von Stralsund) ist abgeschlossen - wozu also noch der Solidaritätszuschlag? / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Für die sogenannten Reichen ist das keine gute Nachricht. Der Bundesfinanzhof (BFH) hält den Solidaritätszuschlag, den seit 2021 nur noch die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher entrichten müssen, nicht für verfassungswidrig. Wobei man wissen muss: „Reich“ sind im Sinne des Soli-Gesetzes bereits ledige Arbeitnehmer mit einem Bruttoeinkommen von circa 73.000 Euro im Jahr.

Die Begründung des obersten Steuergerichts klingt nicht sehr überzeugend. Es sei unerheblich, ob die Ergänzungsabgabe zweckgebunden für den Aufbau Ost verwendet werde. Dies liege in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Der Soli sei damit vom Auslaufen des Solidarpakts unabhängig. Zudem bestehe nach wie vor ein Mehraufwand für den Staat aufgrund der Wiedervereinigung.

Es stimmt ja, dass das Erbe von 40 Jahren Marx- und Murks-Wirtschaft in der DDR noch heute schwer auf den neuen Ländern lastet. Deshalb fließen ihnen vom Bund und den Geberländern beim Finanzausgleich weiterhin Mittel zu. Doch sind die Summen deutlich niedriger als zu Zeiten des 2019 ausgelaufenen Solidarpaketes. Schließlich hat der Osten inzwischen wirtschaftlich deutlich aufgeholt – glücklicherweise.

„Nicht verfassungswidrig“ heißt nicht, der Soli muss erhoben werden

Auch wenn der Bundesfinanzhof die Soli-Regelung nicht für verfassungswidrig hält, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass er weiterhin erhoben werden muss. Der Bundestag könnte, wenn er wollte, seine Abschaffung jederzeit beschließen. Die FDP wäre sofort dabei, kann sich aber gegen ihre Ampel-Partner nicht durchsetzen. Denn SPD und Grüne würden, wenn sie alleine regierten, die Einkommensteuer sofort erhöhen und auch Vermögen besteuern.

 

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Die seit Jahresbeginn 2021 geltende Beschränkung des Soli auf die oberen zehn Prozent war 2017/18 eine Vorbedingung der SPD für eine Neuauflage der Großen Koalition. „Reiche schröpfen“ gehört eben zur DNA der Sozialdemokraten. Die Merkel-CDU wiederum machte – wie so oft – bei solchen Manövern mit, um nicht als angeblich herzlose Neoliberale gebrandmarkt zu werden. Forderungen aus der Union, der Soli müsse unabhängig vom Münchner Urteil endlich weg, klingen deshalb nicht sehr glaubwürdig.

Rückschlag für Lindner und die FDP

Das Urteil ist auch ein Rückschlag für Bundesfinanzminister Christian Lindner. Sein Ministerium verzichtete bewusst darauf, an der Verhandlung in München teilzunehmen, weil dem FDP-Vorsitzenden ein Urteil gegen den Soli am liebsten gewesen wäre. Sein Kommentar fiel dementsprechend schmallippig aus. „Die Entscheidung zum #Soli nimmt die Bundesregierung zur Kenntnis“, twitterte er. Und: „In anderer Sache wird Karlsruhe entscheiden.“ Lindner spielt damit auf die Verfassungsbeschwerde der FDP-Bundestagsfraktion an. Ebenso ist denkbar, dass die Kläger – ein vom Bund der Steuerzahler unterstütztes Ehepaar aus Aschaffenburg – selbst das Bundesverfassungsgericht anrufen.

Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist nicht nur schlecht für die zehn Prozent der Steuerzahler, die allein 50 Prozent zum gesamten Einkommensteueraufkommen beisteuern. Zu denen zählen übrigens Personengesellschaften und Selbständige, von denen viele nach drei Jahren Corona und einem Jahr Energiekrise ohnehin ums Überleben kämpfen. Das Urteil ist auch schlecht für das Ansehen der Politik und der Politiker. Wenn der Bundesfinanzhof auf die „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ abhebt, stellt er einen Freibrief zur Täuschung der Bürger aus. Dann ist es gleichgültig, wie ein bestimmtes Gesetz begründet und wie lange es befristet ist. Für einen künftigen Wortbruch kann sich die Parlamentsmehrheit demnach auf ihre „Gestaltungsfreiheit“ berufen.

Wo Schatten ist, ist meistens auch Licht – auch hier. Das Münchner Urteil entzieht nämlich dem Vorschlag der Wirtschaftsweisen für einen zeitlich befristeten „Energie“-Soli den Boden. Denn „Gestaltungsfreiheit“ und zeitliche Befristung schließen sich faktisch aus. Sollte sich morgen ein Politiker noch ernsthaft für eine befristete Steuererhöhung oder Abgabe aussprechen, wäre ihm eines gewiss: höhnisches Lachen.

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