Bonner Parteitag der Grünen - Ein Festival der Selbstgerechtigkeit 

Auf ihrem Bonner Parteitag haben die Grünen beschlossen, am Atomausstieg stur festzuhalten - und fesseln damit Wirtschaftsminister Robert Habeck in den anstehenden Krisengesprächen mit Finanzminister Lindner und Bundeskanzler Scholz. Die Politik der gezielten Verarmung des Industrielandes Deutschland geht damit weiter.

Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat: Robert Habeck auf dem Bundesparteitag / dpa
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Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

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Oha. Mit allem hatten Beobachter und Sympathisanten gerechnet auf diesem Parteitag – nicht aber mit einer derart gründlichen und superselbstkritischen Zwischenbilanz nach gerade einmal zehn Monaten Regierungszeit.  

Wirtschaftsminister Robert Habeck gestand, bis heute nicht einmal den Hauch einer Idee zu haben, wie gegen die schlimmste Inflation seit 70 Jahren mit ihren verheerenden Folgen bis weit in die Mittelschicht hinein erfolgversprechend vorzugehen sei, und bat die Basis um konstruktive Vorschläge. 

Außenministerin Annalena Baerbock versprach eine grundlegende Abkehr von jeder Bewunderung des Islam als Religion des Friedens im allgemeinen und der Glorifizierung des Kopftuchs als Zeichen weiblicher Emanzipation im speziellen – „und zwar ab Montag Dienstbeginn im Auswärtigen Amt“.  

Umweltministerin Steffi Lemke erklärte, „selbstverständlich“ sei es „völliger Quatsch“, einerseits nun auch das Atomkraftwerk Emsland endgültig abzuschalten mit dem Argument, Norddeutschland habe dank Windkraft und Solar längst Strom im Überfluss, gleichzeitig aber afrikanischen Ländern drei „nun wirklich saudreckige“ (Lemke) Öl-Kraftwerksschiffe wegzukaufen, um diese dann an der Nordseeküste festmachen und mit dem deutschen Stromnetz verkoppeln zu lassen.  

Familienministerin Lisa Paus erklärte, sie habe die Abteilung, die für die an Kinder gerichtete Werbung für Pubertätsblocker verantwortlich war, noch am Freitagmorgen komplett gefeuert und bei dieser Gelegenheit sämtliche Entwürfe für ein „Selbstbestimmungsgesetz“ zurückziehen und schreddern lassen, denn natürlich „wäre es ein Unding und ein Hohn für die ganze Frauenbewegung der letzten 50 Jahre“, wenn Männer sich künftig „nach Belieben als Frau definieren und in die Frauensauna gehen, sich ins Frauengefängnis verlegen lassen oder als soeben noch chancenloser Sportler in eine Frauenmannschaft drängen könnten“. 

Nur gut, dass wir alles richtig machen

Und als zuletzt sogar noch Kulturstaatsministerin Claudia Roth und ihre hessische Kollegin Angela Dorn verheult Hand in Hand auf die Bühne traten, um in aller Form um Entschuldigung zu bitten für die Blamage, die die Bundesrepublik 100 Tage lang mit einer ungeachtet aller Warnungen durch und durch antisemitischen und terrorverherrlichenden Documenta 15 erlitten hatte, war die Zäsur perfekt. Der Schlusssatz der beiden grünen Staatsministerinnen („Wir haben es in Kassel durch Ignoranz und Tatenlosigkeit in einer Weise versemmelt, die einfach nur noch peinlich ...“) ging bereits im tosenden Schluchzen der Delegiertinnen und Delegierten unter.  

Ja, diese Parteitagsstunde hatte bereits in ihrer letzten Minute historischen Charakter. Grüne und Journalisten teilen sich ab sofort auf in jene, die in Bonn dabei waren, und jene, die es nur am Bildschirm verfolgten oder ganz verpassten. 

Hahaha, kleiner Scherz.  

Sollte es hier frei erfundene Grüne jedweden Geschlechts jemals wenigstens ansatzweise gegeben haben – in dieser Bundesdelegiertenkonferenz, der ersten in Präsenz nach langer Zeit, blieben sie stumm und unsichtbar, auf dem Podium wie im Saal. Vor lauter Selbstzufriedenheit, Selbstgerechtigkeit, Selbstliebe, Selbstbewusstsein und Selbstbeweihräucherung war für ein sechstes „Selbst-“ wie „Selbstkritik“ an allen drei Tagen nicht einmal mehr in homöopathischen Dosen noch Platz. Im Gegenteil, lautet die Botschaft, die von Bonn in die Welt hinausgehen soll, doch: Nur gut, dass wir alles richtig machen und wissen, wie es geht, wenn alle anderen schon alles verkehrt machen. Oder wie Claudia Roth es formulierte: „Keine Partei ist besser auf diese Zeit vorbereitet als wir.“    

Nicht einmal auf kommende Woche vorbereitet 

Schön wäre es. Nicht einmal auf die kommende Woche sind diese Grünen vorbereitet. Ihren Klimaschutzminister steckten sie in einen Käfig, der ihm im Streit um den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken jede sachgerechte und die Koalition befriedende Lösung in den anstehenden Krisengesprächen mit Olaf Scholz und Christian Lindner unmöglich machen wird.  

Die am Samstag flächendeckend verbreitete Schlagzeile „Grüne stärken Habeck den Rücken“ ist angesichts der Sachlage schlicht falsch, dummes Zeug, Fake. Im Gegenteil ist ihr Misstrauen in ihren Minister inzwischen so groß, dass sie ihm Fesseln anlegen, die jede Bewegung unmöglich machen, wobei sich, wen wundert’s, Jürgen Trittin mit lauter kleinen fiesen Änderungsanträgen und Formulierungsvorschlägen ganz besonders hervorgetan hat. 

 

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Robert Habeck kann nach der Bonner Beschlusslage eigentlich nur hoffen, dass der Kanzler am Montag bereits wieder vergessen hat, was die Grünen am Wochenende alles so produziert haben, und endlich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht und das anordnet, was dringend notwendig ist. Oder dass sich der Bundestag mehrheitlich über die Befindlichkeiten und Beschlüsse der Grünen hinwegsetzt und die einzig sinnvolle Änderung von Paragraph 7 des Atomgesetzes sinngemäß beschließt:  

„Die endgültige Abschaltung der AKW wird unbefristet verschoben, bis wir wieder seriös beurteilen können, wie es um die deutsche Energieversorgung und vor allem auch um die Strom-, Gas- und Ölversorgung in Europa insgesamt steht. Denn von dieser sind wir ebenfalls abhängig; hier haben wir außerdem gefälligst endlich Rücksicht zu nehmen auf die Interessen unserer europäischen Nachbarn.“ 

Letzteres ein Aspekt, der den Grünen in geradezu abenteuerlicher Weise sonstwo vorbeigeht.  

Strom und Erdgas leider ausverkauft

Derweil melden die Stadtwerke Osnabrück, Strom und Erdgas seien „aktuell leider ausverkauft“. Entfernung AKW Emsland (Lingen) – Osnabrück: 60 Kilometer. 

Die Vermutung, die Grünen hätten ihre 16 Jahre in der Opposition genutzt, um sich programmatisch solide aufzustellen und alte ideologische Gräben zu überwinden sowie sogar so etwas wie ein Leistungsprinzip zu etablieren bei der Auswahl ihres Spitzenpersonals, hat dieser Bonner Parteitag auf erschütternde Weise dementiert.  

Joschka Fischers Truppe war 1998 inklusive Fraktion zehnmal besser auf die Übernahme von Regierungsverantwortung vorbereitet als 2021 das Duo Habeck/Baerbock. Der Wirtschaftsminister mag ein Künstler sein in der Disziplin, die Folgen seiner eigenen erratischen Politik lebhaft auszumalen und zu beklagen. Helfen wird ihm das auf Dauer nicht, zumal sich gleichzeitig auch dank der Ereignisse im Iran die vermeintliche „feministische Außenpolitik“ von Annalena Baerbock in nichts auflöst.  

Politikfähig und realitätstüchtig ist diese Partei nicht

Bereits bei seiner ersten Prüfung ist Baerbocks Modell an der Realität zerschellt. Die überfällige Abwicklung der menschenverachtenden islamischen Republik Iran findet ohne die linksgrüne Bundesregierung statt. Die hat vielmehr Sorge, die Mullahs könnten am Ende komplett weg vom Fenster sein, womit sich dann auch Frank-Walter Steinmeiers Iran-Atom-Abkommen endlich erledigt hätte, sein letztes verbliebenes außenpolitisches Spielfeld, das wenigstens er für noch nicht komplett gescheitert hält. Baerbock fällt unterdessen nicht mehr ein als die Mahnung an Teheran, die Frauen hätten „ein Recht, gehört zu werden“. Armseliger geht es kaum. Was übrigens besonders in feministischen Kreisen immer heftigere Kritik an und Distanzierung von den Grünen auslöst.     

Nein, wirklich politikfähig und realitätstüchtig ist diese Partei nicht. Für ihren wichtigsten Minister wird dieser Parteitag sogar mehr Last und Unsicherheit produziert haben als Zuversicht und Vertrauen. Auch deshalb spricht einiges dafür, dass der Wahlerfolg von Niedersachsen in der Rückschau der Moment war, ab dem es nicht immer besser wurde, auch im Ansehen der Bevölkerung, sondern bergab ging.  

Wer glaubt, mit nicht einmal zehn Prozent Unterstützung der Wahlberechtigten auf Bundesebene ein Industrieland komplett umkrempeln und gezielt verarmen zu können, hat etwas ganz Entscheidendes nicht begriffen: Irgendwann fällt sogar den geduldigsten Deutschen auf, dass hier etwas ganz fundamental schief läuft, nicht aus Versehen, sondern mit voller Absicht. Die Antwort des Souveräns mag wieder einmal spät kommen, aber sie kommt.    

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