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Bildungsstudie - Gute Noten machen keine guten Lehrer

Kolumne: Zwischen den Zeilen. Eine neue Bildungsstudie kommt zu dem Ergebnis: Nicht die Top-Abiturienten, sondern die eher mittelmäßigen wollen Lehrer werden. Na und?! Ein Plädoyer für den mittelmäßigen Lehrer

Autoreninfo

Timo Stein lebt und schreibt in Berlin. Er war von 2011 bis 2016 Redakteur bei Cicero.

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Natürlich. Es gibt sie: Faule Lehrer, polternde Pädagogen, Zyniker im Lehrkostüm, fiese Misanthropen in Multiplikatorenfunktion. Es gibt sie, weil es sie überall gibt: Inkompetenz in Menschengestalt. In allen gesellschaftlichen Bereichen. (Ich selbst hatte betrunkene, grapschende, hysterische, aber auch weckende, wissende, empathische Lehrer.)

Und natürlich ist es in keinem System, keinem Land, von Vorteil, wenn die trüben Tassen ausgerechnet an der bildungspolitischen Sozialisation kommender Verantwortungsträger entscheidend beteiligt sind. Doch das deutsche Bildungssystem ist für unterqualifizierte Lehrkörper genauso durchlässig wie für nervige Schüler und schräge Eltern. Es ist im Grunde ganz einfach: Eine Gesellschaft bekommt die Lehrer, die sie verdient.

Lehrer aus Versehen
 

Dass wir es aber mit einer Kaste weltfremder Zombiepädagogen zu tun haben, diesen Eindruck kann man immer dann bekommen, wenn dieses Land über seine Lehrkörper diskutiert. Neuen Anlass bietet eine Bildungsstudie vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und der Unternehmensberatung McKinsey, die vor allem den Lehrern ein schlechtes Zeugnis ausstellt: „Während fast die Hälfte aller Abiturienten mit einer Durchschnittsnote zwischen 2,1 und 4,0 am Lehrerberuf 'eher' bis 'sehr' interessiert ist, trifft dies nur für 38,1 Prozent der Abiturienten mit einem Notendurchschnitt zwischen 1,0 und 2,0 zu“.

Kurzum: Schüler mit sehr guten Noten wollen seltener Lehrer werden als Schüler mit mittelmäßigen Noten. Im Durchschnitt wird also der Durchschnitt Lehrer. Eine wunderbare Vorlage für wunderbar originelles Lehrer-Bashing. Bekanntermaßen eine Art Lieblingsdisziplin in dieser Republik. Sie sind wahrlich vogelfrei – die Prügelpauker der Nation. 

Und eigentlich haben wir es doch immer schon geahnt: Die Mittelmäßigen, Schüchternen, Durchsetzungsschwachen gehen den Weg des geringsten Widerstandes und kehren an den Ort zurück, den sie am besten kennen – die Schule.  Ja und? Selbst wenn es so wäre, müssten wir ihnen nicht die Möglichkeit einer Entwicklung zugestehen? Und: Ist es bei anderen Berufsgruppen wirklich anders? Ähnliches ließe sich im Übrigen auch über Lehrende an Hochschulen und Universitäten sagen: die aus Versehen und mangels Alternative an der Uni hängen bleiben und einen Notdoktor und Lehraufträge ranhängen. (Im Übrigen: Was sollte Topstudierende denn an die Uni locken? Das Nichtgehalt etwa für Lehraufträge, die semesterweise vergeben werden?)

Gute Noten machen keine gute Lehrer
 

Die Gleichung, gute Noten gleich guter Lehrer, ist eine, die so einige Variablen vergisst. Denn die Abiturnote sagt doch recht wenig darüber aus, ob man für den Lehrberuf, der soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen, didaktische Fähigkeiten, ein Nervenkostüm aus Polyurethan etc. verlangt, überhaupt geeignet ist. Warum sollten aus mittelmäßigen Schülern keine erstklassigen Lehrer werden? Genauso wie aus Einsnuller-Abiturienten autistische Frontalpauker werden können, die man besser nicht auf Kinder loslassen sollte. Sehr gute Noten machen längst noch keinen sehr guten Lehrer.

Ein Hauptgrund für das geringe Interesse der Abiturbesten liege in den fehlenden Karrierechancen, so die Studie. „Vier von fünf Abiturienten geben an, dass gute Aufstiegschancen ein „eher“ oder „sehr“ wichtiges Kriterium für ihre Berufswahl sind.“ An dieser Stelle möchte man hinzufügen: Wunderbar! Wie gut, dass die auf Karriere Schielenden nicht Lehrer werden. Wer nur an Aufstieg interessiert ist, sollte wirklich keinen pädagogischen Berufsweg einschlagen. Im Übrigen: Wenn die Notenbesten Lehrer würden, wer sollte dann zu McKinsey gehen, um Studien über mittelmäßige Mitschüler zu verfassen?

Es ist eigentlich ganz simpel: Was der Lehrberuf, was Schüler wirklich brauchen, sind Lehrer, die Lust darauf haben, Heranwachsenden etwas beizubringen, zu fördern und zu fordern. Das sind nicht zwangsläufig jene mit den besten Noten, sondern jene mit der richtigen Einstellung zu ihrem Beruf. Brauchen wir nicht mehr Lehrer mit Brüchen in der Biografie, empathische, mitreißende, jene, die nicht durch Lautstärke und übermäßiges Selbstbewusstsein, sondern durch Wissen brillieren? Auch müsste unser Bildungssystem flexibler im Umgang mit Quereinsteigern sein. Die Bildungsstudie bemängelt eben diese fehlende Variabilität des Bildungssystems bei Seiteneinsteigern. „Quer- und Seiteneinsteiger werden also gebraucht; willkommen sind sie aber nicht“, heißt es darin.

Weg von der Systemfrage
 

Die Studie und die sich nun entwickelnde Debatte bringen aber auch eine gute Nachricht mit sich, Bildung kann wieder unabhängig von der leidigen Systemfrage (G8 oder G9?, dreigliedrig oder gesamt?) diskutiert werden. Sie ist endlich beim einzig systemrelevanten Faktor angekommen: Dem Menschen.

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