Berliner Koalitionspoker - Da passt nichts zusammen

Jamaika, Ampel oder nochmal GroKo? SPD, Union, Grüne und FDP loten derzeit aus, wer mit wem eine Koalition bilden könnte. Zwar bekunden alle, guten Willens zu sein. Tatsächlich aber bestehen kaum zu überbrückende Differenzen inhaltlicher Art. Und die CDU ist ohnehin wie gelähmt. Kommt am Ende eine Minderheitsregierung?

Nice to see you: Das legendäre Sondierungs-Selfie mit Wissing, Baerbock, Lindner und Habeck / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Immerhin in einem Punkt sind sich alle potentiellen Koalitionspartner einig: Noch vor Weihnachten soll die neue Regierung stehen. Angesichts der sich auftürmenden Probleme – von Inflation über Migration bis hin zu den wachsenden Fliehkräften innerhalb der EU – ist zwar auch dieser Zeitplan nicht sonderlich ambitioniert. Denn anders als im Wahlkampf vermittelt, wartet der Rest der Welt keineswegs darauf, bis die deutsche Politik sich wie auch immer neu sortiert hat. Gleichwohl bleibt der Termin Weihnachten schon deshalb ein kühnes Ziel, weil weder in einem Jamaika- noch in einem Ampel-Bündnis jene Kräfte zusammenfinden würden, die auch zusammengehören oder überhaupt miteinander etwas anfangen können. Im Gegenteil.

Hübsches Foto, nichts dahinter

Denn trotz des hübschen Fotos, das Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner und Volker Wissing nach ihrem grün-liberalen Stelldichein in die Welt gesetzt haben, dürften die beiden Parteien inhaltlich sehr weit voneinander entfernt sein. Daran ändert auch die auf Twitter zur Schau gestellte Harmonie nichts. Insbesondere auf den Themenfeldern Steuern und Schulden ist wenig Raum für Kompromisse vorhanden. Und selbst wenn die Verhandlungsführer von den Grünen und der FDP zu Zugeständnissen bereit sein sollten, stellt sich immer noch die Frage, was die jeweilige Fraktion davon hält – von der Basis ganz zu schweigen. Die Grünen sind in ihrer Gesamtheit in den vergangenen Jahren linker und aktivistischer geworden, das zeigt sich auch bei ihren neu ins Parlament gewählten Abgeordneten. Die FDP wiederum hat unter Christian Lindner hart daran gearbeitet, nicht mehr als „Umfaller-Partei“ wahrgenommen zu werden. Das alles macht ein Zusammenkommen nicht leichter.

Ähnlich schwierig, eher noch schwieriger, dürften sich Verhandlungen der Liberalen mit der SPD gestalten – auch hier insbesondere wegen der Finanzen und wegen des Prinzips „Fördern und Fordern“ im Zusammenhang mit Hartz IV. Kaum vorstellbar, dass Lindner und seine Leute darauf erpicht sind, den Sozialdemokraten bei der Bewältigung ihrer alten Traumata zu helfen. Die Person Olaf Scholz ist da kaum das Problem – aber dessen Parteivorsitzende Saskia Esken hat ja nicht ohne Grund hervorgehoben, dass Koalitionsverträge nicht von künftigen Bundeskanzlern ausgehandelt werden. Bei der Ampel-Option steht das Signal demnach eher auf Rot.

Inhaltliche Abstoßungseffekte

Womit wir bei der zweiten von insgesamt vier halbwegs realistischen Möglichkeiten wären: Jamaika. In der CDU sieht man eine Koalition von Union, FDP und Grünen als letzten Strohhalm, um an der Macht zu bleiben (die CSU ist da weniger ambitioniert, darf es sich aber nicht anmerken lassen). Auch hier kämen die inhaltlichen Abstoßungseffekte (Steuern, Schulden) zwischen FDP und Grünen zum Tragen; aus Sicht der Union dürften insbesondere die grünen Vorstellungen in Sachen Migration, Innere Sicherheit und Islamismusbekämpfung kaum zu überwindende Hürden sein. Zwar hat die Union in der Hinsicht während der Großen Koalition(en) so ziemlich alles mit sich machen lassen – aber eben mit dem Ergebnis, jetzt als Wahlverlierer dazustehen. Natürlich ist die Verlockung durch Ministerämter, Posten und Pöstchen in der Unionsfraktion groß. Aber wenn CDU und CSU weitere vier Jahre ihr Tafelsilber verscherbeln, könnten die 24,1 Prozent vom vergangenen Sonntag bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal locker unterboten werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Union derzeit kaum in der Lage ist, vernünftig in Sondierungs- oder gar Koalitionsverhandlungen einzutreten. Denn sie ist führungs-, rat- und konzeptionslos. Das zeigt sich schon am bizarren Aufgebot, mit dem CDU und CSU zu ihrem ersten Treffen mit der FDP am Sonntag aufmarschieren wollen. Nachdem die CSU fünf Leute benannt hatte (Markus Söder, Alexander Dobrindt, Markus Blume, Dorothee Bär und Stefan Müller), nominierte die CDU gleich zehn weitere Personen für das Meeting mit den Liberalen. Dazu zählen neben Armin Laschet und Fraktionschef Ralph Brinkhaus ausgerechnet noch Julia Klöckner, Silvia Breher und Thomas Strobl als politischer Totalversager aus Baden-Württemberg. Damit ist eigentlich schon alles gesagt.

CDU am Boden zerstört

Fakt ist: Die Christdemokraten sind am Boden zerstört, desillusioniert und wissen nicht mehr, wer sie sind und wofür sie überhaupt stehen. Sie haben sich in den langen Merkel-Jahren an den Status als Regierungspartei gewöhnt, für die Macht alles und Programmatik allenfalls drittrangig war. Viele in der CDU sind sich dieses Elends sehr wohl bewusst, weshalb etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer auch laut den Gang in die Opposition fordert. Etliche andere Unions-Funktionäre sehen das genauso, sagen es aber nicht laut. Denn sie fürchten, ihre verbliebene Klientel werde es kaum verzeihen, wenn die Union nicht wenigstens versucht, ein Jamaika-Bündnis zu zimmern.

Andererseits berichten CDU-Bundestagsabgeordnete aber auch, dass einfache Parteimitglieder sich empört darüber geäußert hätten, mit welcher Selbstverständlichkeit Armin Laschet am Sonntagabend aus dem miserablen Ergebnis einen Regierungsauftrag herauslesen wollte. Die Botschaft der Basis lautet demnach: Steht zu eurer Niederlage und regeneriert euch in der Opposition! Kurzum: Was auch immer die CDU jetzt macht, das Ergebnis kann nur unbefriedigend sein.

Trotzdem will man es mit Jamaika versuchen – oder zumindest den Anschein erwecken. Das ist auch der einzige Grund, warum Armin Laschet überhaupt noch eine Rolle spielt: Hätte man den Parteivorsitzenden nach seinem desaströsen Abschneiden gleich in die Wüste geschickt, wäre die CDU jetzt völlig kopflos. Denn es ist derzeit völlig unklar, wer in der Partei künftig das Sagen haben wird; zu erwarten sind abermalige Diadochenkämpfe, mit denen sich die Christdemokraten seit dem Verzicht Angela Merkels auf den Parteivorsitz an den Rand des Abgrunds manövriert haben. In Stellung gebracht haben sich hinter den Kulissen jedenfalls schon Ralph Brinkhaus (der soeben für ein halbes Jahr als Fraktionschef bestätigt wurde) und Jens Spahn. Auch Norbert Röttgen zeigt wohl wieder Interesse; ebenfalls genannt wird der Name des Mittelstandspolitikers Carsten Linnemann, wenn es um die Frage geht, wer künftig in der Partei vorne stehen soll.

Nicht handlungsfähig

Fakt ist: Die CDU ist derzeit kaum sprech- und handlungsfähig, und die CSU hat ein sehr geringes Interesse daran, an einer künftigen Bundesregierung beteiligt zu sein. Markus Söder würde bei der bayerischen Landtagswahl in zwei Jahren eher von einer Oppositionsrolle im Bund profitieren und könnte in vier Jahren dann einen neuen Vorstoß in Richtung Kanzlerkandidatur wagen. Dass er mit seinen Obstruktionen im Laschet-Wahlkampf maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Union nur noch zweitstärkste Kraft wurde, ist bis dahin wahrscheinlich auch längst vergessen.

Insofern ist die dritte Bündnis-Option erst recht unwahrscheinlich, nämlich eine Fortsetzung der Großen Koalition unter einem Bundeskanzler Olaf Scholz. Denn das wäre wohl der endgültige Sargnagel für die Union. Rechnerisch hat Rot-Schwarz zwar eine Mehrheit im neuen Bundestag – es ist aber kaum vorstellbar, dass die jeweiligen Fraktionen sich auf eine Neuauflage der ungeliebten GroKo einlassen würden. Die CSU-Landesgruppe schon gleich gar nicht.

Was bleibt also übrig? Realistischerweise eine rot-grüne Minderheitsregierung. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht und sich plötzlich der Geist des konstruktiv-kompromissbereiten Miteinanders in Berlin ausbreitet wie der beginnende Herbstnebel, könnte es am Ende genau darauf hinauslaufen. Vielleicht sogar wirklich noch vor Weihnachten.

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