Ahmad Mansour über muslimischen Antisemitismus - „Was bleibt von uns, wenn die radikalen Islamisten gewinnen?“

Der Extremismus-Experte Ahmad Mansour fordert angesichts des antisemitischen Hasses vieler muslimischer Migranten einen Neustart in der Integrationspolitik. Im Interview spricht er auch über die Verlogenheit der Islamverbände und die persönlich schwersten drei Wochen seines Lebens.

Pro-palästinensische Demonstranten in Berlin / picture alliance
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Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

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Ahmad Mansour ist ein bekannter deutsch-israelischer Psychologe und Buchautor, der als Araber in Israel aufwuchs. Die von ihm gegründete „Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention (MIND) GmbH“ bietet Projekte gegen islamistische Radikalisierung und muslimischen Antisemitismus an. Zuletzt erschien im S. Fischer Verlag sein Buch „Operation Allah – Wie der politische Islam die Demokratie unterwandern will“.

Herr Mansour, Robert Habeck hat am Donnerstag in einer beeindruckenden Rede den muslimischen Antisemitismus auf deutschen Straßen verurteilt. Warum haben dies sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht über die Lippen bringen können?

Die Rede von Robert Habeck ist längst überfällig gewesen. Ich finde es zudem wichtig und gut, dass die Rede von einem Politiker der Grünen kam, die in den letzten Jahren alles andere als ein Partner im Kampf gegen den Islamismus und muslimischen Antisemitismus waren. Die grüne Partei hat es sich mit identitätspolitischen Haltungen bequem gemacht. Ein Weltbild, das Islamismus und muslimischen Antisemitismus konsequent verharmlost und dadurch immer stärker gemacht hat.

Dass Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz es nicht über die Lippen bringen, muslimischen Antisemitismus zu benennen, zeigt, wie gefangen viele deutsche Politiker noch immer von einer ideologischen Antirassismus-Debatte sind. Diese hat in den letzten Jahren oftmals verhindert, dass offen, differenziert und ehrlich über die Integrationsprobleme gesprochen werden konnte. Zu oft wurden mahnende Stimmen aus den medialen und politischen Kreisen als Rassisten abgetan und in die rechte Ecke gestellt. Wir müssen endlich über unangenehme Probleme in unserem Land diskutieren können, ohne mit Ausgrenzungen und Pauschalisierungen rechnen zu müssen. 

Ahmad Mansour / picture alliance

Was muss passieren, damit diese Probleme auch im linken und grünen Milieu angesprochen werden können?

Wenn sie den schrecklichen Israelhass in diesen Wochen auf pro-palästinensischen Demos nicht sehen möchten, wenn sie nicht mitbekommen wollen, dass sich Juden mitten in Deutschland nicht mehr auf die Straße trauen, dann kann man ihnen nicht mehr helfen. Schlimmer als der 7. Oktober kann es doch gar nicht mehr werden. Wenn jetzt nicht die Zeit ist, um aus der ideologischen Verblendung aufzuwachen, wann dann? 

Wie kann und muss die Politik dem Phänomen des muslimischen Antisemitismus in Deutschland begegnen?

Wir dürfen zunächst einmal nicht pauschalisieren und müssen immer differenziert über Muslime in unserem Land sprechen. Denn damit würden wir vielen friedlich eingestellten Muslimen Unrecht tun. Und was wir übrigens zurzeit auf der Straße sehen, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen linken und islamistischen Akteuren. Das bereitet mir große Sorgen und zeigt, wie moralisch verdorben die identitätspolitische Linke längst ist.

Bisher sehe ich in der Bundesregierung leider nicht mehr als gute Worte. Jetzt müssen auch Taten folgen. Es braucht nun eine große Bildungsoffensive gegen Antisemitismus und ein grundlegendes Umdenken in der Integrationspolitik. Ich erwarte bei antisemitischer Hetze auch konsequente Abschiebungen und harte Urteilsverkündungen. Denn die Botschaft „nie wieder ist jetzt“ ist nur dann glaubwürdig, wenn sie auch in die politischen Entscheidungen und in die Gesetzgebung einfließt.

Sie fordern ein Umdenken in der Integrationspolitik. Wie sollte dieses Umdenken aussehen?

Was zurzeit sicherlich nicht hilft, ist, Diskriminierung und Rassismus als entschuldigenden Grund für den muslimischen Antisemitismus anzuführen. Das sind Reflexe, die in der deutschen Politik tief verankert sind. Das Stichwort hierfür lautet „antimuslimischer Rassismus“. Mit dieser weit verbreiteten Denkweise wurde Islamismus und Antisemitismus in Deutschland salonfähig gemacht. Politiker haben in unserem Land Muslime immer nur als Opfer der gesellschaftlichen Umstände sehen wollen, nicht jedoch in der Verantwortung. Das muss sich dringend ändern, wenn wir die Integration von muslimischen Migranten in unserer Gesellschaft verbessern möchten.

Politiker fordern seit Jahren eine intensivere Präventionsarbeit im Kampf gegen den Antisemitismus. Sind wir nicht naiv zu glauben, dass wir einen seit Generationen unter Teilen der muslimischen Bevölkerung in Deutschland weitergetragenen Israelhass mit Aufklärung und Bildung bekämpfen können?

Es ist natürlich naiv zu glauben, dass Präventionsarbeit alleine hilft. Wir brauchen ein Gesamtkonzept und können den Antisemitismus nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen und bekämpfen. Die Rede ist von Repression, klaren Botschaften, Integrationsarbeit und eben auch Prävention. Aufklärung über Antisemitismus und der Kampf gegen Israelhass muss jeden Tag Bestandteil unserer Schulen sein. Wir müssen mit allen pädagogischen Mitteln versuchen, diese Leute für uns zu gewinnen.

Doch wenn es nicht funktioniert, bedarf es harter und konsequent angewandter Repressalien. Ich bin mir sicher, dass das Wirkung zeigen wird. Sobald die Ersten merken, dass ihnen bei antisemitischer Volksverhetzung eine Abschiebung droht und ihnen die Einbürgerung verwehrt wird, werden wir bei der nächsten Eskalation im Nahen Osten deutlich weniger Menschen auf den Straßen sehen, die antisemitische Parolen rufen.

Viele muslimische Antisemiten haben zurzeit keinerlei Skrupel davor, ihren Israelhass auf den Straßen offen zur Schau zu stellen, da sie wissen, dass sie mit keiner Strafverfolgung rechnen müssen. Sie empfinden den Rechtsstaat und die Justiz als schwach und haben daher keine Angst vor möglichen Konsequenzen. Das muss sich dringend ändern. Über das größte Problem wird in der Politik und der öffentlichen Debatte zurzeit jedoch kaum gesprochen.

Was meinen Sie?

Es sind die sozialen Medien, in denen die israelfeindliche Radikalisierung und die antisemitische Propaganda stattfindet. Wir sind hilflos und machen nichts dagegen. Außerdem verfolgen wir den muslimischen Antisemitismus im Internet oftmals nicht, da es den Geboten der politischen Korrektheit widerspricht. In diesem Denken sind auch wir Kritiker des politischen Islams nur öffentliche Krawallmacher, die es ohnehin verdient haben, bedroht zu werden.

Auch die Justiz verfolgt antisemitische Hetze in den sozialen Medien nur unzureichend, da sie nicht genügend Kapazitäten hat. Zurzeit haben wir keine überzeugenden Gegennarrative und digitale Sozialarbeiter. Die Hamas hat diese Lücke längst besetzt und schlägt daraus propagandistisches Kapital.

Es gab unter liberalen Muslimen kritische Stimmen, die bereits 2015 davor gewarnt haben, dass sich unter den zumeist arabischen Flüchtlingen auch viele Antisemiten befinden werden. Warum wollte das damals niemand hören?

Wir Deutsche wollten beweisen, dass wir besser als unsere Vorfahren sind. Wir wollten zeigen, dass wir keine Rassisten sind. Auf der moralisch richtigen Seite zu stehen, war für viele Menschen erstrebenswerter, als differenziert über die möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen der Flüchtlingspolitik zu sprechen. Übrigens waren das damals teilweise die gleichen Leute, die seit dem 7. Oktober die Juden in unserem Land im Stich lassen. Das zeigt, dass insbesondere das linksidentitäre Spektrum nicht aus unserer Geschichte gelernt hat.

Kann die Bundesregierung zukünftig noch mit den in den vergangenen Wochen durch Terrorrelativierung aufgefallenen Islamverbänden zusammenarbeiten, wenn sie es mit der deutschen Staatsräson ernst meint?

Wenn die meisten Islamverbände nicht einmal in der Lage sind, den Hamas-Terror zu verurteilen und Presseerklärungen immer „Ja, aber“-Formulierungen enthalten, dann ist das beschämend. In der Öffentlichkeit reden sie gerne über Demokratie und Menschenrechte, doch wenn sie unter sich sind, verharmlosen sie den Terror und propagieren Antisemitismus. Ein erschreckendes Beispiel: Vergeblich sucht man auf den Internetseiten der Islamverbände die gemeinsame Erklärung mit dem Bundesinnenministerium gegen den Hamas-Terror. Glauben Sie mir, das ist kein Zufall.

 

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Wir brauchen auch in der Islampolitik eine Zeitenwende und müssen uns von den Islamverbänden verabschieden. Die Islamverbände sind nicht unsere Partner, sondern Teil des Problems. Deutlicher kann ich es nicht artikulieren. Erst die grenzenlose Naivität unserer Politiker ermöglichte es ihnen, ihre Ansprüche an den deutschen Staat immer weiter auszubauen und immer selbstbewusster aufzutreten. So feierten noch Anfang des Jahres CDU, SPD, Grüne und FDP in Wuppertal die Eröffnung einer Ditib-Zentralmoschee als einen Integrationsort. So viel politische Naivität darf es spätestens seit dem 7. Oktober nicht mehr geben. 

Sie selbst sind als Araber in Israel aufgewachsen. Sind Sie als Kind und Jugendlicher mit Antisemitismus in Kontakt gekommen? 

Antisemitismus war in meiner Kindheit allgegenwärtig. Mein Großvater kämpfte auf der Seite des arabischen Militärs gegen den neugegründeten Staat Israel im Jahr 1948. Die Familie meiner Großeltern flüchtete noch im selben Jahr teils in den Gazastreifen, teils in das Westjordanland und teils nach Jordanien. Manche blieben jedoch in unserem Dorf. Mein Vater und mein Onkel schimpften sehr oft über Juden und Israel. Einer meiner ersten Erinnerungen ist ein Besuch bei meinem Onkel, bei dem abends die schrecklichen Bilder des Massakers von Sabra und Schatila gegen palästinensische Flüchtlinge im Libanon gezeigt wurden.

Als ich später in Kontakt mit dem fundamentalistischen Islam kam und mich radikalisierte, erhielt der Antisemitismus neben der familiär, biografischen auch eine religiöse Dimension. Ich betrachtete Judenhass in dieser Zeit als den Willen Gottes.

Wie haben Sie den Antisemitismus hinter sich lassen können?

Von der islamistischen Ideologie und damit auch vom Antisemitismus habe ich mich befreit, als ich in meinem Studium in Tel Aviv vielen Juden begegnete. Ich merkte, dass meine hasserfüllten Annahmen über Juden nicht mit meinen durchweg positiven Alltagserfahrungen übereinstimmten. Auch das kritische Denken, das mir damals Professoren, interessante Begegnungen und wissenschaftliche Bücher an der Universität vermittelt haben, trug erheblich dazu bei.

Als einer der bekanntesten Islamkritiker in Deutschland sind sie aus dem islamistischen und linken Lager vielen Androhungen ausgesetzt. Wie haben Sie die Wochen seit dem Terrorangriff der Hamas persönlich erlebt?

Ich verstehe mich nicht als Islamkritiker, sondern als Demokrat. Seit dem 7. Oktober gibt es für mich kein freies und entspanntes Leben mehr. Das sind die schwersten drei Wochen meines Lebens gewesen. Die Drohungen und Einschüchterungsversuche gehen so weit, dass ich mich nicht mehr frei bewegen kann. Ich erlebe täglichen Hass in den sozialen Medien und auf der Straße. Das macht mir und meiner Familie große Angst. Viele kritische Stimmen trauen sich auch gar nicht mehr, mit ihrer Meinung in die Öffentlichkeit zu gehen, da sie Angst vor den Folgen haben. Unsere Meinungsfreiheit ist zurzeit sehr bedroht. Diese Zustände hat die Politik leider noch immer nicht begriffen.

Viele Menschen wären unter diesem psychologischen Stress sicherlich zusammengebrochen und hätten sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Woher nehmen Sie die Kraft, sich nicht einschüchtern zu lassen?

Auch ich habe jeden Tag große Zweifel. Ich habe Deutschland bewusst als meine neue Heimat ausgewählt und möchte auch weiterhin in einem demokratischen und freien Land leben. Ich frage mich allerdings, was bleibt von mir, was bleibt von uns, wenn wir keine Haltung zeigen, wenn wir uns einschüchtern lassen, wenn die radikalen Islamisten gewinnen?

Das Gespräch führte Clemens Traub.

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