Andreas Bovenschulte - Der große Beruhiger

Der Sozialdemokrat Andreas Bovenschulte will im Mai als Bremer Bürgermeister bestätigt werden. Er ist geschmeidig genug, um auch mit der CDU zu regieren.

Andreas Bovenschulte muss sich im Mai zur Wahl in Bremen stellen / Thomas Koch
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Joerg Helge Wagner ist Redakteur beim Weser Kurier in Bremen.

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Um Aufmerksamkeit muss er nicht buhlen. Wenn Andreas Bovenschulte durch die Tür kommt, ist der Raum voll. 1,99 Meter misst der Regierungschef des kleinsten Bundeslands, aber nicht nur deshalb vergleicht man ihn schnell mit seinem langen wie legendären Vorvorvorgänger Henning Scherf. Bovenschulte ist ebenso volksnah, auch wenn er nicht gleich jede Seniorin ungefragt herzt – was Scherf an der Weser den Spitznamen „Der große Umarmer“ einbrachte.

Bovenschulte umarmt mit Worten. Wenn der promovierte Jurist im sonoren Bariton eher gemessen als leidenschaftlich spricht, umgibt ihn rasch eine Aura der gelassenen Tatkraft. Ob Corona-Pandemie oder Bremens Dauerprobleme Bildungsmisere, Verschuldung, Kriminalität: Wir haben einen Plan, gemeinsam kriegen wir das in den Griff – das ist die Grundmelodie, die der Hobbygitarrist am liebsten spielt. 

Die Ruhe will gelernt sein

Für Journalisten wie politische Gegner ist das nicht ungefährlich: Die seriöse Ausstrahlung übertüncht, dass er in seiner schwierigen rot-grün-roten Koalition kaum eigene Akzente setzt. Allerdings gesteht die Bremer Landesverfassung dem Präsidenten des Senats auch nur wenig Richtlinienkompetenz zu.

Also macht Bovenschulte oft, was Rechtsanwälte gerne in Gerichtsverfahren tun: Den Aspekt, den er unbedingt rüberbringen will, betont er in Abwandlungen immer wieder als Antwort auf diverse Fragen. Wenn man ihm irgendwann bedeutet, dass man es längst verstanden habe, reagiert er mit einem zufriedenen Lächeln. 

 

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Dermaßen in sich ruhend war der heute 57-jährige Sozialdemokrat nicht immer. Gut dokumentiert ist ein Moment, der Bovenschulte richtig in Fahrt zeigt: Im März 1988 stürmte der damalige Asta-Vorsitzende in den Kaminsaal des Rathauses, um lautstark dagegen zu protestieren, dass dem Daimler-Chef Werner Niefer die Ehrendoktorwürde der noch jungen Bremer Universität verliehen wurde. Niefer hatte dem stets klammen Zwei-Städte-Staat mit der Ansiedlung des zweitgrößten Mercedes-Werkes immerhin rund 14.000 gut bezahlte Arbeitsplätze beschert – und der Uni den neuen Studiengang Produktionstechnik.

Am 14. Mai muss er sich beweisen

Eine Provokation sei es für ihn gewesen, dass „ein Konzernmanager ausgezeichnet werden sollte“, erläuterte Bovenschulte 2020 im Gespräch mit dem Alumni-Verein. „Noch dazu, weil der Konzern sich als Rüstungskonzern profilieren wollte.“ In der Tat gibt es seit 1986 im bremischen Hochschulrecht eine „Zivilklausel“, die Rüstungsforschung an der staatlichen Universität unterbinden soll. Sie wird von den Regierungsfraktionen selbst nach Ausbruch des Ukrainekriegs eisern verteidigt. 

Mit Großkonzernen aller Art hat das Oberhaupt der je nach Ranking neunt- oder zehntgrößten deutschen Industriestadt aber längst seinen Frieden gemacht. Mehr als das: Eine „starke Wirtschaft mit fairen Löhnen“ nannte er als wichtigstes Ziel, nachdem er im vorigen September von den Delegierten mit 99,1 Prozent zum Spitzenkandidaten gekürt worden war. Erst dann folgten soziales Miteinander, Innovation und Klimaschutz sowie Kriminalitätsbekämpfung.

Bovenschulte muss sich am 14. Mai erstmals den Wahlberechtigten in Bremen und Bremerhaven stellen, denn seinen Posten „erbte“ er von Carsten Sieling nach dessen Rücktritt vor vier Jahren: Ganze 24,9 Prozent hatte der Finanzexperte für die SPD geholt, die in Bremen seit Gründung des Bundeslands regiert. 

Kommunalpolitiker durch und durch

Noch mehr als dieser Negativrekord schmerzte, dass die CDU erstmals vorbeizog: 26,7 Prozent errang sie mit dem Quereinsteiger und IT-Unternehmer Carsten Meyer-Heder als Spitzenkandidaten. Der hat sich zwar inzwischen aus der Politik zurückgezogen, doch die Christdemokraten treten nun mit einem vielversprechenden Duo an. Der populäre Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff, ein gelernter Landwirt, wird auf Listenplatz 2 unterstützt von der hochtalentierten Nachwuchsfrau Wiebke Winter. Die 26-Jährige sitzt schon seit zwei Jahren im Bundesvorstand der CDU.

Bovenschultes Vorteil ist seine große kommunalpolitische Erfahrung, die er von 2007 bis 2019 vor den südlichen Toren Bremens sammelte. In der 30.000-Einwohner-Gemeinde Weyhe war er fünf Jahre lang Bürgermeister, geachtet in allen politischen Lagern. Dass „Gemeindeverbände als Organisationsformen kommunaler Selbstverwaltung“ auch Gegenstand seiner Doktorarbeit waren, wird nicht geschadet haben. 

Aber reicht es noch für Rot-Grün, wenn die Linke womöglich nicht wieder in die Bürgerschaft einzieht? Oder ist Bovenschulte zu einer Neuauflage der Großen Koalition gezwungen? Henning Scherf hat solch ein Bündnis – das er nie wollte – zwölf Jahre lang angeführt.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie demnächst am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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