Andrea Nahles in Bremen
Peinlich und ohne jede Spur von Souveränität: Andreas Nahles' Auftritt in Bremen / picture alliance

Bürgerschaftswahl in Bremen - Historische Wahlschlappe

In Bremen und Bremerhaven fällt die SPD erstmals hinter die CDU zurück. Von diesem desaströsen Ergebnis könnte allerdings eine wichtige Weichenstellung ausgehen: Kommt es zu Rot-Rot-Grün, hätte Kevin Kühnert den Richtungskampf bei den orientierungslosen Sozialdemokraten gewonnen

Alexander Marguier

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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Das ist gleich ein doppelter Tiefschlag für die Bremer SPD: Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte landet sie bei einer Bürgerschaftswahl nicht nur hinter der CDU und belegt damit lediglich den zweiten Platz. Sie erringt noch dazu ein Ergebnis von (wahrscheinlich sogar deutlich) unter 30 Prozent. Dabei galt schon das Resultat von vor vier Jahren (32,8 Prozent) als derart schlecht, dass der bis dahin regierende Bürgermeister Jens Böhrnsen seinen Hut nahm und den Platz freimachte für Carsten Sieling.

Sieling, ein sachlicher Finanzexperte und ehemaliger Bundestagsabgeordneter, muss jetzt mit dem Makel leben, den Niedergang seiner Partei nicht nur fortgesetzt, sondern beschleunigt zu haben. Ob und in welcher Konstellation er gleichwohl Bürgermeister bleiben kann, wird sich in den nächsten Tagen zeigen – mit einem amtlichen Endergebnis wird aufgrund des komplizierten Wahlsystems, bei dem jeder Wahlberechtigte fünf Stimmen vergeben kann, erst am Mittwoch gerechnet. Doch die Erschütterungen sind schon zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich.

Politischer Quereinsteiger siegt über SPD

Dass es der CDU gelingen konnte, mit einem wenig bekannten Kandidaten, noch dazu einem politischen Quereinsteiger, die scheinbar ewige Dominanz der SPD in Bremen und Bremerhaven zu brechen, macht den Wahlausgang für die Sozialdemokraten zu einer besonders bitteren Erfahrung. Carsten Meyer-Heder, der 58 Jahre alte IT-Unternehmer, dürfte aufgrund seiner Biografie besonders bei politisch enttäuschten Bürgern seinen Bonus als politikferner Macher ausgespielt haben. Gleichwohl hatte er sich während des Wahlkampfes thematisch nicht besonders sattelfest gezeigt.

Insbesondere Meyer-Heders Idee eines 1,5 Milliarden schweren Sondervermögens zur Schulsanierung erwies sich als Luftnummer, weil sie mit der geltenden Schuldenbremse nicht machbar ist. Die CDU musste bei diesem Punkt folglich zurückrudern, das Vorhaben wirkte im Nachhinein unseriös. Dennoch hat es offenbar für Platz eins gereicht. Meyer-Heders Wahlsieg ist also weniger der Ausweis eigener Stärke und Kompetenz als vielmehr das Resultat des verheerenden Zustands der SPD weit über Bremen und Bremerhaven hinaus.

Wie ein verhaltensauffälliges Kind

Der bizarre Auftritt von Andrea Nahles am Freitag bei der Abschlusskundgebung in Bremen lieferte zu diesem Befund die entsprechenden Bilder: Eine aufgekratzte Parteivorsitzende, die kämpferisch wirken wollte, aber während der ersten Minuten auf der Bühne herumhampelte wie ein verhaltensauffälliges Kind und den anwesenden Genossen den Angstschweiß auf die Stirn getrieben haben dürfte. Da präsentierte sich die Chefin einer Partei, die ganz offensichtlich keine Linie und erst recht keine Souveränität mehr nach außen tragen kann.

Der Grad der Verunsicherung war während der Kühnert-Debatte und durch die Unfähigkeit der Parteiführung, sich klar zu positionieren, in erschreckender Deutlichkeit für jedermann sichtbar geworden. Dass schon seit Wochen über die Nachfolge von Andrea Nahles an der Spitze der Partei sowie der Bundestagsfraktion spekuliert wird (und zwar nicht beim politischen Gegner, sondern innerhalb der eigenen Reihen), vervollständigt das Bild. Unter solchen Umständen sind Wahlergebnisse von um die 25 Prozent schon fast noch schmeichelhaft.

Der Populismus hat seine große Zeit noch vor sich

Womöglich wird von Bremen aber tatsächlich ein Signal ausgehen, wo die SPD ihre Zukunft sieht. Deren Bremer Spitzenkandidat hat sich mehr als deutlich für eine rot-rot-grüne Machtoption in der Hansestadt ausgesprochen; nicht einmal Sondierungsgespräche mit der CDU kommen für Carsten Sieling nach eigenem Wahlkampfbekunden in Frage. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob der Wirtschaftswissenschafter bereit ist, diesen Weg zu gehen und damit der Linkspartei zum ersten Mal auch außerhalb der östlichen Bundesländer in die Regierung zu verhelfen. Sollte es dazu kommen, dürfte sich Kevin Kühnert im Richtungsstreit endlich durchgesetzt haben; für die CDU blieben nur noch die Optionen schwarz-grün oder Jamaika übrig. Der politische Handlungsspielraum für die Union wäre wieder einmal enger geworden.

So wird durch die Wahl in Bremen und Bremerhaven vor allem eines deutlich: Das einst Stabilität versprechende Parteiensystem in Deutschland zerfasert weiter; der Erosionsprozess wird die politische Unzufriedenheit bei den Bürgern eher noch verstärken und die Ränder stärken. Der Populismus von rechts wie von links (wo sich neuerdings gesponserte Youtuber mit jugendlichem Furor austoben und die CDU „zerstören“ wollen) hat seine große Zeit erst noch vor sich. Vom Öko-Populismus grüner Machart ganz zu schweigen, der auch in der Hansestadt seine Spuren hinterlassen hat: Dort sind Bündnis90/Die Grünen mit prognostizierten 18 Prozent zwar nur drittstärkste Kraft, konnten aber im Gegensatz zu ihrem bisherigen Koalitionspartner SPD Gewinne verbuchen. Nicht nur in Bremen hat mit dem heutigen Tag eine neue Zeitrechnung begonnen.

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Gerhard Schwedes | So., 26. Mai 2019 - 21:04

Grün-Rot-Rot? Wo das hinführt, lässt sich leicht an Berlin studieren. Spätestens nach einer Legislaturperiode ist der Bremer Spuk am Ende. Wetten? Mit diversen Ampelmännchen, Gender-Toiletten, Radwegebau und Willkommenskultur für noch mehr Migranten lässt sich nun einmal keine Politik machen. Und wenn dann wegen dieser Sperenzchen noch weniger Investoren Lust auf die Bremer Stadtmusikanten verspüren und kein Geld mehr in die Stadtkassen fließt, dann ist das Abenteuer ganz schnell zu Ende und der Kater verrauscht. Auch dem Kater der Wähler, die das offensichtlich so wünschten, wird schon bald die Ernüchterung folgen. Leider werden dann wieder einmal vier unnütze Jahre ins Land gezogen sein, zum Schaden der Stadt. Am Ende werden die Bremer wie ihre berühmten Stadtmusikanten einsehen müssen: "Etwas Besseres als den Tod findest du überall."

Ernst-Günther Konrad | Mo., 27. Mai 2019 - 06:51

..., das soll doch gegen verhaltensauffällige Kinder helfen. Ich kann nicht sagen, dass es mich nicht freut, Nahles so zu sehen. Wenn die SPD sie nicht aussondert und einen personellen und ideelen Neuanfang startet, wird die Wahlhürde bei der nächsten BTW nicht übersprungen werden. Bremen hat RG abgewählt. Wenn die Grünen das Ergebnis verstanden haben, dann geht nur Jamaika. Wenn nicht, wird es auch für sie im Stadtstaat Bremen bei den nächsten Wahlen eng. Da Bremen nur SPD allein oder mit Grünen kennt, kam hier mit dem Newcomer der CDU nochmal der krampfhafte Versuch auf, bevor die "bösen" AFDler zu stark werden, den Zwischenschritt mit der CDU zu gehen. Nach dem Motto, die hatten wir auch noch nicht. Kann ich durchaus verstehen. Es wird nur nicht viel nützen. Sobald Grüne mit in der Politik sind, wird sich nichts wesentliches verbessern. Es wird mit Sicherheit in Bremen demnächst Fahrverbote und andere wirtschaftsinkompetente Eintscheidungen geben. Nun, die Bremer wollen das so.

helmut armbruster | Mo., 27. Mai 2019 - 08:40

ein größeres Ziel gibt es überhaupt nicht. Und wer wäre nicht dafür, dass der Planet gerettet wird?
Eine Partei, die solches verspricht muss ja gewinnen.
Angesichts eines solch großen Ziels erscheint alles andere als nebensächlich.
Was nützt schon eine sichere Rente oder ein gut bezahlter Arbeitsplatz, eine Gesellschaft, die friedlich zusammen lebt, wenn niemand den Planeten rettet?
Und das ist das Erfolgsrezept:
Verunsichere die Menschen, mache ihnen mit einer nicht genau fassbaren Gefahr Angst und biete dich gleichzeitig als der einzig möglich Retter an ... und die Welt wird dir gehören.
Das glaubhaft an die Wähler rüber zu bringen, das ist allerhöchste Kunst, kritisch betrachtet könnte man auch sagen, das ist Populismus vom feinsten.
Solche Fähigkeiten hätte ich den Grünen eigentlich nicht zugemutet. Aber jetzt haben sie gezeigt, dass sie es können.

"Verunsichere die Menschen, mache ihnen Angst und biete Dich als einzigen Retter an", was der AfD immer vorgeworfen wird? Nur gehört ihnen leider nicht die Welt. Das wäre auch nicht nötig, aber ein paar Prozente mehr wären schon nicht schlecht gewesen.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 27. Mai 2019 - 11:34

das Bärenfell wird aufgeteilt werden. Aus meiner Sicht ist das Ende von Nahles nahe. Alle wissen es, nur sie selbst noch nicht so richtig. Wer nur mit
66 % ins Amt gewählt wurde, wem die Intrigantenklingel umhängt, wer ein solches peinliches Auftreten als "Pipilotta" hat, den anderen mit auf die Fresse haut Gehabe als Parteivorsitzende gegenüber tritt, wer will diese Person ernstnehmen?
Nahles wurde infolge mangelnden Personals geduldet, aber niemals akzeptiert. Obwohl sie sagte dereinst, sie habe als Ergebnis der damaligen Wahlen "verstanden" und dann solche Dummheiten von sich gibt, zeigt sein ganzes Nichtskönnen. Diese SPD braucht Runderneuerung, sowohl personell, wie auch inhaltlich. Früher kam der Druck in einer Partei von der Baiss, nur hat die SPD fast keine mehr. Und eines dürfte klar sein, es gibt einige, bei denen sie noch im Salz zu liegen hat. Häme und Spott, sonst ihre Domäne im Umgang mit anderen, sie wird das bitter selbst erleben. Und womit? Mit recht.

'Diese SPD braucht Runderneuerung, sowohl personell, wie auch inhaltlich.'

Ich stimme zu. Zwei Anmerkungen:
(1)
Wer soll es machen? Es ist doch niemand da. Es gibt niemanden in SPD-Führung und -Fraktion, dem ich es zutraue. Die SPD ist nicht nur inhaltlich, sondern auch personell absolut am Ende. Und die Personifizierung dieser Diagnose hat einen Namen: Kevin Kühnert
Vielleicht würde es helfen, wenn erfahrene Kommunalpolitiker übernehmen, die in ihrer Stadt viel geleistet haben und dort noch das Vertrauen der Wähler besitzen und vor allem noch Kontakt zur Basis haben (z. B. Trümper aus Magdeburg oder Lange aus Flensburg; sicher gibt es auch im Ruhrgebiet bzw. NRW gute Leute).
(2)
Inhaltlich sollte sich die SPD daran erinnern, dass sie mal eine stolze ARBEITER-Partei war. In diesem Land ist alles wichtig: Klima, Jugend, Demos, Gender, K(r)ampf gegen Rechts etc.
Arbeitende Menschen - Steuer-Ein-Zahler ! - zählen nicht.
Die Politik und besonders die SPD haben sie vergessen.

Gerhard Lenz | Mo., 27. Mai 2019 - 16:41

Antwort auf von Wilfried Düring

wichtig sind die Themen, die Sie genannt haben, der Kampf gegen Rechts natürlich eingeschlossen - es ist keine Nebensache, unsere Demokratie zu verteidigen.

Richtig ist jedoch, dass die Sozialdemokraten zunehmend lediglich als "behäbige Version der Grünen" wahrgenommen werden. Das hat zum Teil den Grund, dass die SPD zwar ständig über soziale Gerechtigkeit redet, angesichts der Mehrheitsverhältnisse diese aber nur bedingt in tatsächliche Politik einfliessen lassen kann; sie wird ständig von der stärkeren Union ausgebremst.
Der Regierungseintritt war eben ein kolossaler Fehler: Eine oppositionelle SPD hätte nicht nur eine Minderheitsregierung vor sich hertreiben können, sie hätte auch dem heutigen Oppositionsführer, der AfD, die Bühne nehmen und sie in einer stillen Ecke des Parlaments verkümmern lassen können. So aber muss die SPD damit leben, dass die sozialdemokratische Partei von der gar nicht so sozialen AfD mindestens in den ostdeutschen Regionen verdrängt wird.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mi., 29. Mai 2019 - 18:15

Kevin Kühnert hat mich noch einmal daran erinnert wie lange die SPD schon in der GroKo ist, wie lange die Grünen nicht in Regierungshandeln und wie muss das erst auf Leute wirken, die nun mal der SPD nicht nahestehen.
Als ich dann noch las, nach 73 jähriger? ununterbrochener Übernahme der Regierungsgeschäfte in Bremen, da blieb mir der Mund offen stehen.
Unser politisches System des Verhältniswahlrechtes ist ein Geschenk und Ansporn, sich politisch einzubringen.
Nein, ich habe mich beruhigt und weiss, dass die SPD gute Wege finden wird.