Alice Weidel und Martin Schirdewan im Sommerinterview - AfD und Die Linke: Zwei Parteien, viele Probleme

Am Wochenende stellten sich der Co-Parteivorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, und die Co-Parteivorsitzende der AfD, Alice Weidel, den Fragen im jeweiligen Sommerinterview von ARD und ZDF. Der eine in Berlin, die andere in Südtirol. Tatsächlich sind die Probleme, mit denen beide Parteien derzeit zu kämpfen haben, gut vergleichbar, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Die Palette reicht vom Verhältnis zu Russland bis zu internen Querelen. Doch leider kam es im Interview mit Weidel mal wieder nur in Nuancen zu einem inhaltlichen Gespräch.

Werden AfD und Die Linke noch gebraucht? / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Was die Kulisse für ihr Sommerinterview betraf, hatte Alice Weidel zweifellos die bessere Wahl getroffen. Während die AfD-Co-Vorsitzende (neben Tino Chrupalla) sich den Fragen der ZDF-Journalistin Shakuntala Banerjee im schönen Südtirol stellte, trafen sich der noch halbwegs neue Linke-Co-Vorsitzende Martin Schirdewan (neben Janine Wissler) und Oliver Köhr von der ARD in Berlin. Bergpanorama versus Glas und Beton. Gut, ein bisschen Spree war in der ARD auch zu sehen, aber wie dem auch sei. Denn es sollte um Inhalte gehen, nicht darum, wer im jeweiligen Sommerinterview mehr Urlaubsatmosphäre zu verbreiten hatte. 

Ohne an dieser Stelle direkt die Hufeisentheorie ins Spiel zu bringen, lässt sich erst einmal feststellen, dass die AfD und Die Linke derzeit mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Allem voran das Verhältnis der beiden Parteien zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Auf beiden Seiten muss man sich schließlich den Vorwurf des „Putin-Verstehens“ gefallen lassen, unabhängig davon, ob der Begriff nun wirklich beiträgt zu einer sachlichen Diskussion über Themen wie die Sanktionspolitik der Europäischen Union, die Risiken von noch mehr Waffenlieferungen an die Ukraine oder die Frage, welche Vorgeschichte man rund um den Ukraine-Krieg (Stichwort: „Nato-Osterweiterung“) ebenso berücksichtigen könnte oder sollte, um das seit 23. Februar diesen Jahres andauernde Töten in Gänze zu begreifen. 

Ansonsten müssen sich beide Parteien damit auseinandersetzen, wie sie sich langfristig im deutschen Parteienspektrum behaupten können. Zwar ist der Bedeutungsverlust der Linken deutlich größer als jener der AfD, nichtsdestotrotz liegt die AfD nach aktuellen Umfragen bundesweit auch nur bei um die zehn Prozent, was zumindest mehr als zwei Prozentpunkte weniger sind als noch bei der Bundestagswahl 2017. Vor allem aber ist die AfD jüngst erstmals in ihrer Geschichte aus einem Parlament geflogen; in Schleswig-Holstein nämlich. Obendrauf kommen dann hier wie dort noch allerlei interne Querelen, die weder AfD noch Die Linke in den Griff bekommen

Tendenz zur „Lifestyle-Linken“ lässt Zustimmung schrumpfen

Es gab also viel zu bereden, in Südtirol genauso wie in Berlin. Beginnen wir mit Schirdewan, der für die Linke im Europaparlament sitzt. Er wurde Ende Juni auf dem Parteitag in Erfurt zum Co-Vorsitzenden von Janine Wissler gewählt, als Nachfolger der im April zurückgetretenen Susanne Hennig-Wellsow. Und so schön der Erfolg für Schirdewan auch persönlich gewesen sein mag, so klar zeigte sich im Juni auch die bereits erwähnte Zerrissenheit der Partei, die, so lautet ein Vorwurf, ihre eigentliche Wählerklientel aus den Augen verloren habe, weil sie sich zunehmend hin entwickle zu einer „Lifestyle-Linken“ (Sahra Wagenknecht), der politische Korrektheit und anderes wokes Zeug wichtiger geworden sei als der gute, alte Klassenkampf.
 

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Diese Zerissenheit zeigte sich auch bei der Abstimmung in Erfurt damals: Denn gerade einmal 61,3 Prozent der Delegierten stimmten für Schirdewan. Das waren zwar immer noch mehr als Wissler im Amt bestätigten (57,5 Prozent). Gleichwohl machte das Ergebnis deutlich, dass Schirdewan und Wissler in den kommenden Monaten einen Drahtseilakt werden vollziehen müssen, um in der eigenen Partei mehr Rückhalt statt noch weniger zu bekommen. Dass die Situation wirklich ernst ist für die Linke, zeigte unter anderem ein Redebeitrag von Gregor Gysi in Erfurt, der beim ARD-Sommerinterview eingespielt wurde. Gysi sagte damals: „Entweder wir retten unsere Partei, oder wir versinken in der Bedeutungslosigkeit“. Und auch Wissler, ebenfalls eingespielt in Berlin, sagte in Erfurt: „Es geht um nicht weniger als die Existenz der Partei.“

Verhältnis der Partei zu Russland überlagert andere Themen

Nun ist kritische Selbstreflexion ja der erste Schritt zur Besserung. Auch Schirdewan diagnostizierte im ARD-Sommerinterview daher „eine schwierige Situation“ für die Linke. Zuallererst ginge es nun darum, die „internen Probleme“ zu regeln, aber „vor allem auch unsere Kernthemen wieder in den Blick (zu) nehmen“. Man wolle gegen „Energiearmut“ ins Feld ziehen, „für eine gerechte Verteilung der Lasten in der Energiekrise“, für einen „bundesweiten Mietendeckel“, für eine „Übergewinnsteuer“ für die „Öl-Multis“ und auch für „entsprechende Preisregulierungen bei den Nahrungsmitteln, damit die Menschen am Ende des Monats noch genug zu essen haben“, so Schirdewan.

Der richtige Fokus – unabhängig davon, ob man Schirdewans Positionen im Detail nun zustimmen mag – wäre für die Parteilinie in den kommenden Monaten also theoretisch gesetzt; würde nicht das Verhältnis der Linken zu Russland derzeit alle anderen Themen überlagern, mit denen man sich anno 2022 profilieren könnte. Zwar war der Einstieg ins Sommerinterview von ARD-Journalist Oliver Köhr nicht sehr nett – er überreichte Schirdewan ein Foto von Putin und fragte, ob der ein Linker sei –, aber gleichwohl auch ein bisschen angebracht, wenn man sich so manche Äußerung aus den Reihen der Partei zum Ukraine-Krieg ansieht.

Schirdewan verwies auf die Parteitagsbeschlüsse zum „Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine“, um sich dem Vorwurf der Russland-Nähe an die ganze Partei zu entziehen. Und obwohl da sicherlich was dran sein mag, weil eben nicht jede Meinungsäußerung einzelner Mitglieder als Position der Partei gewertet werden kann, ist es dennoch ein Reputationsproblem für die Linke, wenn Wagenkecht von einem „wahnsinnigen Krieg gegen Russland“ twittert oder Klaus Ernst für eine Öffnung von Nord Stream 2 plädiert. Schirdewan sagte: „Natürlich gibt es inhaltliche Differenzen in der Partei“, aber der Großteil lehne den „Angriffskrieg Russlands, ohne wenn und aber“ ab.

Schirdewan für Sanktionen gegen Putin und seinen Machtzirkel

Schirdewan jedenfalls ist im Prinzip für Sanktionen gegen Russland, wenn auch mit Schwerpunkt auf Putin und seinen Machtzirkel, und gegen ein Parteiausschlussverfahren gegen Wagenkecht wohlgemerkt. Gleichwohl sprach Schirdewan von einer „Militärlogik“, die derzeit die Auseinandersetzung mit dem russischen Überfall dominiere. Er forderte: „Wir müssen jetzt mit Hilfe der Diplomatie darauf drängen, dass zivile Konfliktlösungsmechanismen zur Anwendung gebracht werden.“ Dass Putin der „Alleinschuldige“ an diesem Krieg sei, wollte Schirdewan so aber nicht stehen lassen, sprach lieber davon, dass Putin schuld am „Angriffskrieg“ selbst sei, also am Überfall an sich, nicht an der Gesamtgemengelage, die möglicherweise mit zu diesem Angriff beigetragen haben könnte. Und damit zu Alice Weidel nach Südtirol. 

Die AfD-Chefin wirkte gut gelaunt, als sie von der ZDF-Journalistin Banerjee begrüßt wurde, was allerdings nicht lange anhielt. Dazu gleich mehr. Natürlich ging es auch im Gespräch mit Weidel schnell um den Ukraine-Krieg und das Verhältnis der Partei zum Kreml. Auch aus den Reihen der AfD hört man schließlich immer wieder Äußerungen zum Konflikt, die von Kritikern als Verharmlosung des russischen Überfalls oder eben als Zeichen des „Putin-Verstehens“ gedeutet werden; selbst von einer „Notwehr“ Russlands war aus den Reihen der AfD schon zu hören.

Im Gespräch mit dem ZDF zeigte sich Weidel gleichwohl erklärungsfreudiger bei dem Thema als Schirdewan von der Linken in der ARD. Auch Weidel wollte den Angriffskrieg Russlands nicht rechtfertigen. Sie sagte aber auch in Richtung Banerjee: „Sie müssen immer die geschichtliche Einbettung sehen.“ Die Russen hätten, so Weidel, immer klar und deutlich gemacht, dass sie keine gegnerische Macht in ihrem „Hinterhof“ akzeptierten würden. Die Ukraine „nicht gleich auf einen neutralen Status gesetzt zu haben“, das sei „der Fehler, den der Westen sich ankreiden muss“, so Weidel. 

Weidel wirft dem Verfassungsschutz vor, nicht unabhängig zu sein

Gibt es allerdings eine Faszination für Putin innerhalb der AfD? So zumindest lautete ein Vorwurf an die AfD-Chefin, der mit einer Reihe eingespielter Zitate beim ZDF-Sommerinterview untermauert wurde. Darunter eine Äußerung des AfD-Politikers Hans-Thomas Tillschneider, der in einem Interview am 19. Februar diesen Jahres – also vor dem russischen Überfall auf die Ukraine – gesagt hatte, Putin sei „ein echter Kerl, ein richtiger Mann mit einem gesunden Wertegerüst“. Dass es „Verständnis“ für Putin und Russland gäbe, wollte Weidel in der Deutlichkeit aber nicht stehen lassen.

Die AfD-Chefin versuchte stattdessen, derlei Äußerungen in einen Gesamtkontext einzuordnen. „Sie sehen gerade eine Verschiebung der geopolitischen Blöcke, die sehr gefährlich sind, wenn sich Europa dort weiter einbindet.“ Weidel warnte in dem Zusammenhang vor einem „Widererstarken des Blockdenken des Kalten Krieges“, was nicht „unsere sicherheitspolitische Strategie“ sein könne. Banerjee wertete das als Ausweichmanöver und hakte nach, wie es denn um das Wertegerüst Moskaus stehe und inwiefern sich die AfD mit diesem identifizieren könne, etwa beim Thema Homosexualität.

Weidel, die bekanntermaßen mit einer Frau zusammen ist: „Ich kann damit umgehen. Das ist mir auch verhältnismäßig egal. Es ist völlig klar, dass ich eine deutlich liberalere Sicht habe.“ Die Extreme seien weit entfernt von der Lebensrealität Homosexueller, so Weidel weiter, und meinte damit freilich homophobe Positionen einerseits, aber auch den queeren Zeitgeist andererseits, der sich in Ampel-Vorhaben wie dem Selbstbestimmungsgesetz oder Aktionen wie dem Hissen von Regenbogenflaggen vor Ministerien äußert. Kurz darauf kritisierte die AfD-Chefin dann noch den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, und warf der Behörde vor, nicht unabhängig zu sein und die AfD zu verunglimpfen. Was sie damit meinte, wollte Weidel auch in Ruhe begründen – doch zu einem echten inhaltlichen Gespräch kam es auch bei diesem Interview nur in Nuancen.

Auf den letzten Metern verabschiedet sich das Interview auf Twitter-Niveau

Denn auch das Gespräch zwischen Weidel und Banerjee krankte an dem, was sich in Interviews mit AfD-Politikern häufiger beobachten lässt: Banerjee stellte eine ganze Reihe Fragen, unterbrach Weidel aber immer wieder, obwohl die AfD-Chefin ihre Argumente noch nicht zu Ende formuliert hatte; nahm ihr so wiederholt die Möglichkeit, ordentlich zu antworten. Die Partei „stellen“ lautet nämlich ein Anspruch an beziehungsweise von Journalisten häufiger, wenn es um Interviews mit AfD-Politikern geht. Gerne auch auf Kosten der inhaltlichen Tiefe. 

Kein Wunder also, dass sich das ZDF-Sommerinterview auf den letzten Metern dann endgültig auf Twitter-Niveau verabschiedete und mit viel Unmut auf beiden Seiten zu Ende ging. Dabei hätte man als Zuschauer gerne noch gewusst, was die AfD-Chefin von einer AKW-Laufzeitverlängerung hält oder vielleicht, wie der geopolitische Ansatz der Partei über die reine Analyse des Status quo hinaus aussieht. Schließlich gibt es, nüchtern betrachtet, derzeit wirklich andere Probleme als die Frage, was Björn Höcke schon wieder gesagt hat oder gesagt haben soll. Dass es zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung in befriedigendem Maße mal wieder nicht gekommen ist, darüber konnte leider auch das Südtiroler Bergpanorama nicht hinwegtrösten. Vielleicht ja beim nächsten Mal. Denn Gesprächsstoff gibt es eigentlich mehr als genug.

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