Alice Weidel im ARD-Sommerinterview - Noch nicht kanzlerfähig

Als Letzte im Bunde stellte sich die Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel (AfD) im ARD-Sommerinterview den Fragen von Matthias Deiß. Der Moderator hatte es bei Weidel vor allem auf zwei Punkte abgesehen: auf ihre Tonlage und auf Björn Höcke. 

Alice Weidel und Moderator Matthias Deiß auf dem Weg zum Interview / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Für Alice Weidel dürfte das Sommerinterview wieder einmal alle Vorurteile bestätigt haben: Die etablierte Politik und die Medien gingen einfach unfair mit ihr und ihrer Partei um. Ausreichenden Anlass für diese Interpretation jedenfalls bot Matthias Deiß, der Weidel ein ums andere Mal unterbrach und auch meinte, durch so manche unerbetene Einordnung des Gesagten für das Auditorium an der richtigen Stelle den Zeigefinger heben zu müssen. 

Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Deiß bohrte überwiegend dort nach, wo Weidel sich einer direkten Beantwortung seiner Fragen entzog. So hatte diese jüngst zum Beispiel in einer Rede getönt: „Wir werden von Wahnsinnigen regiert und Idioten.“ Deiß’ einfache Frage: Was ist der Kanzler ihrer Meinung nach denn nun, ein Wahnsinniger oder ein Idiot? 

Weidel stockte kurz und wollte die Frage dann lieber doch nicht beantworten. Immerhin macht es für politisches Spitzenpersonal einen gehörigen Unterschied, ob es bloß andere politische Auffassungen kritisiert – oder deren Träger auch noch handfest beleidigt. Sie habe ja bloß gesagt haben wollen, dass sie die Politik der Ampel einfach „idiotisch“ finde. Alles andere sei doch bloß Zuspitzung im Rahmen einer Wahlkampfrede gewesen. 

Eine rhetorische Zuspitzung soll es dann auch bloß gewesen sein, als sie kürzlich ihre Zuhörer dazu aufrief, endlich „auf die Barrikaden zu gehen“. Deiß fragte auch hier nach, was sie damit eigentlich meine. „Sich beschweren und seinen Unmut an der Wahlurne deutlich machen“, so Weidel. Wo Deiß eine bedenkliche „Tonlage“ ausmacht, will Weidel bloß eine deutliche Aussprache entdecken. 

Politik ist auch eine Frage des Stils 

Es geht bei all dem übrigens nicht um Sprechverbote und Political correctness. Für eine Frau, die sich sogar vorstellen kann, Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu werden, macht am Ende nämlich auch der Ton die Musik.  

Im Moment geht Alice Weidel ganz in krawalliger Oppositionsarbeit auf. Sie attackiert, stellt bloß, beleidigt und legt dabei, nicht selten mit Recht, den Finger in klaffende politische Wunden. Aber sie tut dies zugleich in einer Art und Weise, die eines Bundeskanzlers unwürdig wäre.  

 

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Der Regierungschef ist per Verfassung nicht nur Kanzler aller Deutschen, sondern immer auch dem Ganzen verpflichtet. Also auch jenen Menschen, die er letztlich als seine politischen Gegner betrachtet. Wer diesen Perspektivwechsel nicht schafft, ist nicht kanzlerfähig. Und bei Alice Weidel kann man Zweifel haben, ob sie ihre Haut wechseln könnte. Es scheint eher so, als würde man in ihren Wahlkampfreden die echte Alice Weidel erleben – und in ARD-Sommerinterviews die gezähmte Frontfrau der AfD. 

Der Problemfall Björn Höcke 

Und noch etwas ist erklärungsbedürftig. Im Jahre 2017 gehörte Alice Weidel noch zu jenen AfD-Bundesvorstandsmitgliedern, die gemeinsam mit dem ehemaligen Vorsitzenden Jörg Meuthen den als Rechtsextremisten geltenden Björn Höcke aus der Partei ausschließen lassen wollten. Und zwar lieber heute als morgen, wie sie damals betonte. 

Heute allerdings will Weidel davon nichts mehr wissen und lässt sich mit Höcke auf Wahlkampfveranstaltungen der AfD auch mal Arm in Arm ablichten. Da sich Höcke aber gar nicht verändert habe, so Deiß, müsse also die Änderung in der Person Weidels liegen: „Warum haben Sie sich verändert?“ 

Und wieder wich Weidel aus. Dann müsse man ja auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) fragen, warum dieser nun einen „Deutschland-Pakt“ anstrebe. Immerhin sei diese Vokabel einst von der rechtsextremistischen NPD geprägt worden. Kurzum: Das alles verfange bei den normalen Menschen doch nicht mehr. Anstatt sich selbst zu erklären, griff sie zu einem Ablenkungsmanöver. 

Wagenknecht als „willige Erfüllungsgehilfin“ der Regierung 

Aber Weidel hatte noch einen guten Rat für einen politischen Gegner parat – und der richtete sich an Sahra Wagenknecht (Die Linke). Weidel schätze Wagenknecht zwar sehr. Aber sie müsse sich bei der von ihr geplanten Parteigründung schon zwei Dinge bewusst machen. Erstens brauche man für eine Partei nicht nur Häuptlinge, sondern auch Indianer. Und zweitens werde diese Partei letztlich das oppositionelle Lager spalten und so der Ampel und den Unionsparteien nützen. Wagenknecht drohe, sich als deren „willige Erfüllungsgehilfin“ zu entpuppen. 

Weidel sagte das wohl auch deshalb, weil eine solche Parteigründung derzeit die einzige realistische Möglichkeit darstellen dürfte, den Hochlauf der AfD jäh zu beenden. Immerhin rund die Hälfte der Anhänger der AfD kann sich vorstellen, eine Wagenknecht-Partei zu wählen. Sollte das wahr werden, hätte sich eine Kanzlerkandidatin Weidel nicht nur aus Gründen der „Tonlage“ ziemlich erledigt. 

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