Die AfD, das Volk und die Verfassung - Die ethnische Dampfmaschine

Das völkische Gefasel der AfD ist ein als Verteidigung getarnter Angriff auf das Fundament unserer deutschen (!) Gesellschaft. Nachzulesen im Buch des AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah.

AfD-Spitzenpolitiker Maximilian Krah / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Die Bild-Zeitung hatte schon lange den etwas verpönten „Volks“-Begriff mit etwas ironischem Schaudern für sich wiederentdeckt und vereinnahmt. Nach dem „Volks“-Handy und dem „Volks“-Bier und hunderten anderer Produkte offeriert der „Volks“-Verlag Springer jetzt sogar die „Volks“-Wärmepumpe – und führt damit seine PR- und Merchandising-Kampagne sogar aus der vermeintlich rechten Ecke in die klimaneutrale Zukunft, anschlussfähig an alle Milieus und Zielgruppen. Durch Marketing wird „das Volk“ rehabilitiert. So ist „das Volk“ zum Kunden geworden und der Begriff selbst fast nur noch satirisch vorhanden. 

Von „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ ist glücklicherweise nichts mehr übrig – und man möchte doch meinen, dass dies eine wunderbare Er-volks-geschichte sei. Aber, wen wundert es, der Volkssturm lugt schon um die Ecke: Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) wünscht sich das wahre Volk zurück, vornehmlich ohne Eingewanderte, Vermischte und Eingebürgerte, „nicht nur sauber, sondern rein“ sozusagen. Was für ein schräges Volkstheater. 

„Rechte Politik bekennt sich zum Volk, das mehr ist als die Gemeinschaft der Staatsbürger“, schreibt der AfD-Vordenker und Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah in seinem programmatischen Buch „Politik von rechts“. Als Kennzeichen benennt er wenig überraschend „Kultur, Geschichte, Sprache“; die würden eine „Identitätsgemeinschaft“ begründen, die „in den Sinnen“ lebt, „als Gewissheit, als Schwingung, als Sprachkörperlichkeit“. Was für eine verführerische Dampfplauderei! Natürlich nicht völlig falsch, aber deswegen vor allem vergiftet.

Eine heimtückische Botschaft

Die AfD ist eine Meisterin darin, trojanische Pferde in die politische Arena zu schieben, an denen sich die empörte oder geneigte Öffentlichkeit abarbeitet, ohne zu merken, dass schließlich doch die versteckten Soldaten schwer bewaffnet aus dem Inneren des Gauls schlüpfen und geschwind neues Terrain erobern. Die völkische Wiederentdeckung des Volksbegriffs ist so ein trojanisches Pferd. 

Die Rede vom deutschen Volk ist auf der einen Seite eine sich in Banalitäten ergehende Scheindebatte. Auf der anderen Seite ist sie der versteckte Großangriff auf das Selbstverständnis unseres Gemeinwesens. Es ist eben keinesfalls harmlos, wenn Krah erklärt, das Volk sei mehr als die Summe seiner Staatsbürger. Auch wenn das zugleich, bei Lichte betrachtet, nicht direkt unwahr ist, birgt es eben gerade deswegen eine zerstörerische, eine heimtückische Botschaft in sich. Siehe Troja. 

Das Pferd der Griechen, welches da vor den Toren der Stadt stand, war ja auch objektiv gesehen ein Geschenk des Feindes. Ein Friedenszeichen? War es nur falsch, es anzunehmen? Sollten die Trojaner die vielleicht gut gemeinte Geste ignorieren? Sie waren zu naiv und zogen das Präsent hinter die Mauern, was ihre endgültige Niederlage besiegelte. Man kann nur hoffen, dass es für das deutsche Volk so weit nicht kommt. Aber tatsächlich scheint der deutsche Verfassungsschutz die „Geschenke“ der AfD noch nicht zu durchschauen. 

Vorwurf des rein ethnischen Volksbegriffs

Beim Verwaltungsgericht in Münster wird derzeit verhandelt, ob – etwas unjuristisch verkürzt erklärt – die AfD zu Recht als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall eingestuft wird. Hauptkronzeuge sozusagen für die Anklage gegen die Partei ist deren Volksbegriff. Die AfD würde, so zusammengefasst der Vorwurf, zwischen eingewanderten und eingebürgerten Deutschen und Bio-Deutschen qualitativ unterscheiden. Ein rein ethnischer Volksbegriff aber sei verfassungswidrig. Doch die Falle, die die AfD aufgestellt hat, ist die, dass auch das Grundgesetz diesen abstammungsorientierten Zugang zum Volksbegriff kennt. Wen überrascht das? Volk hat auch mit Herkunft und Geschichte zu tun! Ach was! Aus dieser Erkenntnis wird ein Popanz gemacht, der eigentlich nur der AfD nützt, dabei derlei nur naheliegend ist.
 

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Jedes Kind weiß, dass mit „Volk“ die Menschen eines Landes gemeint sind. Es ist banales Alltagswissen, das zu einem Volk etwa Kultur, Sprache und Geschichte gehören. Nun lässt sich möglicherweise also juristisch nachweisen, dass die Äußerungen der AfD von der Meinungsfreiheit und dem Grundgesetz gedeckt sind. In der Verfassung wird nämlich im Zusammenhang mit Regelungen der Kriegsfolgen von „Volkszugehörigkeit“ gesprochen, die nicht identisch ist mit der Staatsangehörigkeit. (Zur Erinnerung: Deutschland hat den Krieg verloren, wurde geteilt und verkleinert, da musste man sich um seine ehemaligen Staatsbürger und deren Nachkommen kümmern. Keine Überraschung.)

Auch die Förderung deutscher Minderheiten in der neuen Bundesrepublik folgt bis heute einem historischen Bewusstsein und einer Verpflichtung und damit einem „ethnischen“ Zugriff. Deswegen, so meinen nun einige, gebe es einen Widerspruch: Einerseits lehnt das Grundgesetz eine ethnische Definition des Staatsvolkes ab, andererseits spricht es doch von so etwas wie einem deutschen Volk jenseits der Staatsbürgerschaft. In Wahrheit sind diese juristischen Spitzfindigkeiten etwas Normales, auch das Recht ist historisch geworden und nicht am Reißbrett entworfen. Die Debatte aber ist ein Fest für die AfD-Kämpfer, die nun aus dem Pferd schlüpfen und eben den konservativ-liberalen Verfassungsstaat bekämpfen können.

Schaukampf für die eigentliche Schlacht

Das Verwirrspiel mit juristischen Begriffen und politischer Wortwahl ist das virtuelle trojanische Pferd der AfD. Natürlich gibt es kulturell so etwas wie ein „deutsches Volk“ jenseits des „Staatsvolkes“, also den Menschen, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Doch ist eben der Streit vor Gericht nur der Schaukampf für die eigentliche Schlacht, die eben darin liegt, uns weis zu machen, das „Volk“ als bestimmende Kategorie und Wertmaßstab müsse wiederentdeckt und so vor Zuwanderung geschützt werden. Und mehr noch, wie Krah schreibt, sei das Volk die einzig geeignete Größe, den in der Moderne überforderten Menschen einzubinden und zu schützen. 

Krahs Gerede ist dummes Zeug, weil es Probleme löst, die es nicht gibt, und es ist genau das, was man völkischen Nationalismus nennt. Er muss, meiner Ansicht nach, politisch bekämpft werden, er ist der Gegner unserer demokratischen Ordnung. Ob das Gerede noch von der Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht, ganz gleich ob der Verfassungsschutz vor Gericht siegt oder nicht, dagegen lohnt es sich, zu argumentieren und zu opponieren. Zum deutschen Volk schreibt Krah: „Die Gemeinschaft basiert auf Gemeinsamkeiten, die den Autochthonen durch Geburt geschenkt ist.“ Wie bitte? Es ist ein biologistisches Zeug, das hier verbreitet wird, das an Rassenlehre und Ariernachweis erinnert und in seiner Schlichtheit zum Himmel schreit. 

Von Bayern bis Ostfriesland

Deutschland hat mannigfaltige Probleme. Dazu gehören die illegale Migration, das Entstehen von Parallelgesellschaften, die fehlende Integration von Zuwanderern und das Fehlen eines Selbstbewusstseins, in welche Gesellschaft und Kultur denn zu integrieren sei. Pluralität und „Buntheit“ sind oft zur Ideologie geworden, statt dass die Stärken der Vielen und der Zusammenhalt aller nüchterne Lebensrealität und Alltagspraxis wären. Natürlich muss auch über Deutschsein und Leitkultur diskutiert werden, wie auch darüber, dass Assimilation und kulturelle Eigenständigkeit nebeneinander her laufen können. Deutschland ist eigentlich eine Meisterin des Identitäts-Jonglierens. Das zeigt sich in den regionalen Identitäten, in der Vielfalt von Bayern bis Ostfriesland, aber auch in den lebensweltlichen Selbstbildern in Deutschland, von Oberammergau bis Hamburg-Blankenese oder Berlin-Kreuzberg. 

Die Methode der AfD ist es, Probleme und Fehlentwicklungen mit Zauberschlüsseln anzugehen, die nur scheinbar Türen öffnen und die entsprechenden Sachverhalte adressieren, in Wahrheit aber nicht nur keine Lösungen offerieren, sondern ideologische Totengräber unseres Wohlstands und unseres Wohlergehens sind. Dass mit der Wiederentdeckung des Volksbegriffs, der möglichst viele Zuwanderer ausschließen will, irgendjemandem geholfen wäre, ist so absurd, wie wenn die Diskriminierung von Dampfmaschinen beklagt und Technologieoffenheit für Fax-Geräte gefordert würde (Immerhin eine volksdeutsche Erfindung!). 

Natürlich sind auch die kulturellen Wurzeln eines Volkes wichtig und pflegenswert, sie tragen gewiss zur Integration einer Gesellschaft bei. Klar müssen auch darum bisweilen Kulturkämpfe gegen linke oder andere Ideologen geführt werden. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Eingewanderten und Zugewanderten, die durch ein juristisches Entweder-oder nicht zu fassen und zu ordnen sind. Aber die historische Großentwicklung, dass die ethnische und kulturelle Herkunft und die Staatsbürgerschaft immer weniger deckungsgleich sind, die ist mindestens seit dem 30-jährigen Krieg im Gange; vielleicht seit der Völkerwanderungszeit, auf jeden Fall keine Verfallserscheinung. Es darf der AfD ihre Märchenerzählerei nicht durchgelassen werden, dass es sinnvoll, lohnend oder auch nur machbar wäre, einen deutschen Volkskörper zu retten. Das ist schlicht rechtsextrem oder reaktionär oder rattendumm.

Gefährliche rechte Phantasien

Maximilian Krah schreibt: „Ohne Volk wird ‚deutsch‘ zu einem äußerlichen, verwaltungsrechtlichen Konstrukt, was jedem Individuum auf diesem Planeten, sofern es ein Mensch ist, zugebilligt werden kann.“ Genau das ist deutsche Rechtslage – und zugleich eine flache Polemik. Natürlich sind deutsche Sprachkenntnisse und andere Voraussetzungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft erforderlich. Nun mag man kritisieren, dass das Staatsbürgerschaftsrecht verwässert wurde. Wer es aber grundsätzlich infrage stellt, hängt nationalistischen und völkischen Träumereien oder gefährlichen rechten Phantasien nach – oder beidem zugleich. 

Krah proklamiert das „Festhalten am Volk als Schicksalsgemeinschaft“; dies verhindere „die Transformation von Deutschland als Land der ethnischen Deutschen in ein potentiell jedermann offen stehendem Siedlungsgebiet“. Hier werden die aktuellen Migrationsprobleme polemisch und süffig zu einem nationalen Großkampffeld aufgebläht, als ob es diese Ausschließlichkeiten gäbe. Diese Vorstellungswelt, „ethnische Deutsche“ seien irgendwie etwas weihevoll miteinander Verbundenes und Höherstehendes und würden das wahre Deutschland bilden in Abgrenzung zu anderen Deutschen, kann nur deswegen verfangen, weil tatsächlich politische Probleme nicht gelöst wurden. 

Nur weil die Zuwanderung Machbarkeitsgrenzen überschritten hat, können solche AfD-Flausen ins Kraut schießen. Dass die AfD aber nun die nationale und ethnische Karte als Lösung anbietet, ist Volks-Verdummung und verweist nicht absichtslos direkt auf die schlimmsten Höllen der europäischen Geschichte. Nicht nur die Weltkriege, sondern auch der aktuelle Krieg Russlands gegen die Ukraine sind genau nur mit diesem toxischen Gedankengut herleitbar.

Es ist richtig, dass Deutschland, was Nation und Volk angeht, eine Entspannungskur hinter sich hat. „Dem Deutschen Volke“ steht zu Recht am Reichstag, und die künstlerische Überblendung durch den Ausdruck „Der deutschen Bevölkerung“ ist glücklicherweise  eine inzwischen überwucherte abgehobene Idee geblieben. Das Grundgesetz ist sowieso nicht ohne Volk zu haben, denn von diesem deutschen Volk geht alle Staatsgewalt aus. Aber dieses Volk unterliegt Wandlungen und Kontinuitäten. „Das ‚Volk‘ wird aufgefasst als ein lebendiges Glied, ein Mitglied, Teil eines lebendigen Körpers; es existiert auch vor und außerhalb und jenseits seiner Verfassung“, schreibt die Politologin Marion Detjen. Doch dass es sich beim Volk letztlich um ein Konstrukt handelt, leugne heute keiner mehr, nur völkische Rechtsradikale täten dies, schreibt sie in einem Beitrag für die Politische Meinung

Ein universalistisches Menschenbild

Der ethnische Volksbegriff von Krah geht von einem irgendwie natürlichen Deutschtum aus. Aber wie will man sich eigentlich auf Tradition und Geschichte dieses Deutschlands berufen, ohne zumindest zu versuchen, das Christentum mitzudenken? In fast jedem deutschen Dorf steht ein Kirchturm, der doch unmissverständlich auf ein universalistisches Menschenbild verweist – allen Verirrungen zum Trotz. Spielt diese 2000 Jahre alte Durchdringung keine Rolle mehr? Ohne den Galaterbrief, mit dem schon die Bibel jede Identitätspolitik zunichtemacht, ist das Abendland nicht zu haben. 

Die deutschen Bischöfe schreiben in einer aktuellen Erklärung: „In diesem radikalisierten Denken wird die gleiche Würde aller Menschen entweder geleugnet oder relativiert und somit zu einem für das politische Handeln irrelevanten Konzept erklärt.“ Und sie schlussfolgern: „Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar.“ Das ist keine mainstream-konforme Stellungnahme, wie manche argwöhnen könnten, sondern ein historisches Vermächtnis. Es ist eine Selbstverständlichkeit, für die viele Christen auch in Deutschland ermordet wurden. 

In diesem Jahr werden wieder viele Deutschland-Flaggen wehen, wenn die Fußballeuropameisterschaft im eigenen Land ausgetragen wird. Unabhängig davon, wie weit die Nationalmannschaft es im Turnier schafft, wird Fußballbegeisterung das Land erfassen. Daraus zu schließen, es brauche erst eine wie auch immer geartete Wiederentdeckung des völkischen Deutschtums, um ein guter Fußballfan und zugleich Europäer zu sein, ist eine Schwurbelei, die eigentlich nur lachhaft ist. 

 

Jens Spahn, Lea Reisner, Jens Marco Scherf im Gespräch mit Alexander Marguier
Cicero Podcast Politik: „Die Zeit für Formelkompromisse in der Migrationspolitik ist vorbei!“ 

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