„Mit Migrationshintergrund für Deutschland“ - Die AfD hat jetzt einen Migrantenverein

Mit dem Verein „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“ will die AfD ihre Wählerschicht verbreitern und gezielt um Unterstützer mit ausländischen Wurzeln werben. Die Enttäuschung über die Politik der etablierten Parteien ist der gemeinsame Nenner.

AfD-Politiker Robert Lambrou / dpa
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Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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„AfD ist die Abkürzung für Ausländer für Deutschland“, lautet ein unter türkischen Exilanten verbreiteter sarkastischer Witz, der nun zur Realität werden könnte. Unter der Leitung des hessischen AfD-Landtagsabgeordneten Robert Lambrou wurde im Juni der Verein „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“ gegründet. Er soll von bürgerlichen Parteien enttäuschten Migranten eine Plattform zur Vernetzung und Organisation von Veranstaltungen bieten.

Trotz hoher Umfragewerte, aktuell kommt die AfD sogar auf 20 Prozent und überholt etablierte Parteien wie die SPD und die Grünen, gelang es der AfD bislang nicht, sich als Volkspartei zu etablieren. Dies scheiterte auch daran, dass sie es bisher nicht gewünscht oder geschafft hat, das Wählerpotential der stimmberechtigten Migranten zu erschließen. Schließlich betrug deren Anteil an der Gesamtbevölkerung 2022 rund 24 Prozent. Traditionell wählen diese zwar eher SPD, Linke und Grüne, aber die AfD könnte mit dieser Neugründung auch in dieser Zielgruppe Wähler gewinnen.

Enttäuschung über etablierte Politik

Denn auch unter Migranten gibt es den Eindruck, dass die Regierung die Flüchtlingswellen nicht im Griff hat. Sie sind auch Teil der zunehmend unter Druck geratenden Mittelschicht, die längst mit mehr als nur horrenden Mieten in Großstädten zu kämpfen hat. Und auch sie stören sich bisweilen an der Appeasement-Politik linker und bürgerlicher Parteien, die liberale Muslime an deren Bekenntnis zu Frauen- und Minderheitenrechten zweifeln lässt. 

„Es ist ein in Deutschland weit verbreiteter Irrtum, dass Menschen mit Migrationshintergrund grundsätzlich politisch links stehen. Viele Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland wünschen sich vielmehr eine authentische freiheitlich-konservative Politik“, sagt Vereinsgründer und AfD-Politiker Lambrou. Und weiter: „Kritik an unserem neugründeten Verein kommt überwiegend aus der politisch linken Ecke, die bisher dachte, dass sie ein Monopol auf Menschen mit Migrationshintergrund habe. SPD und Grüne werden von uns jetzt gerade unsanft aus ihren Träumen gerissen.“

Juden, Muslime, Christen, Atheisten

Die 36 Gründungsmitglieder stammen aus dem gesamten Bundesgebiet und reisten für die Gründung am 18. Juni 2023 nach Gießen. Für den griechischstämmigen Lambrou, der zugleich Partei- und Fraktionsvorsitzender der hessischen AfD ist, ist der Verein nach eigenen Aussagen ein Herzenswunsch gewesen. Nicht selten begegne er politikinteressierten Migranten, die ihm Fragen zur Einstellung seiner Partei zu Migranten stellten, erzählt er. 
 

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Lambrou wirbt damit, dass jeder Migrant, der gut integriert sei und sich zur „deutschen Leitkultur“ bekenne, in der AfD gerne gesehen ist. Lambrou ist sich sicher, dass der Verein zu einer Öffnung konservativer Teile der migrantischen Bevölkerung gegenüber der AfD führen werde. Schließlich seien sieben der Mitglieder des zehnköpfigen Vorstands außerhalb Deutschlands geboren und stammen aus Griechenland, dem Iran, Nigeria, Afghanistan, Rumänien sowie Russland. Weitere Mitglieder hätten Wurzeln in der Türkei, China, Schottland und anderswo auf der Welt. Juden, Muslime, Christen, Atheisten seien ebenfalls vertreten. Was die Gruppe eine, sei ihr Bekenntnis zum Säkularismus und eine entschiedene Ablehnung des politischen Islam, so Lambrou.

Einen Bruch mit ihrer Herkunftskultur

Tatsächlich wies die AfD schon vor der Gründung des Vereins mehr migrantische Bundestagsabgeordnete auf als die CDU oder die FDP. Der typische AfD-Unterstützer mit Migrationshintergrund ist der „Russlanddeutsche“, der sich eine rechtskonservative Politik wünscht und Deutschland als sein historisches Heimatland sieht. Aber auch Migranten mit orientalischen oder südasiatischen Wurzeln engagieren sich in der AfD.

Darunter die 1994 geborene und mit dem AfD-Politiker Dennis Hohloch, der für die Partei im Landtag in Brandenburg sitzt, liierte Mary Khan, deren Vater aus Pakistan stammt. Auf Twitter und in anderen sozialen Medien arbeitet sie sich am politischen Islam ab. Da ist weiter die 1981 geborene Leyla Bilge, die innerhalb der AfD als Aktivistin für Frauenrechte gilt. Die im Alter von 16 Jahren zwangsverheirate Kurdin ließ sich in Deutschland scheiden, konvertierte zum Christentum und hatte 2018 bei einem von Rechten organisierten Frauenmarsch vor einer Einführung der Scharia gewarnt. Und da ist Laila Mirzo, Tochter einer deutschen Mutter und eines kurdisch-syrischen Vaters, die in ihren Veröffentlichungen die patriarchalischen Verhältnisse in muslimischen Familien anprangert und ebenfalls zum Christentum konvertiert ist. Auch alevitische und iranische Migranten engagieren sich in der AfD.

Es sind Menschen, die in ihrer eigenen Biografie einen Bruch mit ihrer Herkunftskultur und familiär ererbten Traditionen erlebten, die diesen Bruch politisieren und sich vor allem in der Frauen- und Migrationspolitik sowie Sicherheitspolitik eine Zeitenwende wünschen. Und nicht selten sind es Menschen, die sich zuvor politisch in linken Parteien engagierten und von deren Appeasement-Politik bitter enttäuscht wurden.

Die Privilegierten des Landes

Was Verfechter der Identitätspolitik mit großer Verwunderung und Unverständnis kommentieren dürften, ist längst Realität in der migrantischen Lebenswelt Deutschlands. Die oftmals als marginalisiert wahrgenommen Migranten sind ja mitnichten eine homogene Gruppe, aus der sich einheitliche politische und soziale Forderungen ableiten ließen. Viele von ihnen sind über ihren Habitus dem Großbürgertum zuzuordnen, also Menschen mit hohem Wirkungsgrad und Einflussmöglichkeiten, die mittlerweile selbst zu den Privilegierten des Landes gehören.

MfD-Vorstand / MfD

Dass sich Eliten, trotz unterschiedlicher ethnischer und kultureller Wurzeln, sehr ähneln, ist in der Soziologie allgemein bekannt. Ebenso, dass sich Eliten gerne abschotten. Umso weniger sollte die Gründung eines solchen Vereins oder der Versuch der AfD, sich über die Betonung gemeinsamer Interessen die Gunst migrantischer Wähler zu sichern, erstaunen. Nicht zuletzt könnte die AfD über ihren Verein „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“ in dieser Wählergruppe Befürworter ihrer Politik finden. 

Die Mehrheit der Migranten

Ob der „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“-Verein allerdings die Mehrheit der Migranten erreicht, wenn Teile der Partei eine rassistische Agenda verfolgen, darf man bezweifeln (Björn Höcke: „Die Evolution hat Afrika und Europa – vereinfacht gesagt – zwei unterschiedliche Reproduktionsstrategien beschert“ – Nikolaus Fest: „Man muss den Satz von Max Frisch, dem zufolge wir Gastarbeiter riefen, aber Menschen bekamen, vielleicht korrigieren: Wir riefen Gastarbeiter, bekamen aber Gesindel“ – Günter Lenhardt: „Dem Flüchtling ist doch egal, an welcher Grenze, an der griechischen oder an der deutschen, er stirbt“).

Die Wahrnehmung einer systematischen Diskriminierung migrantischen Lebens durch Teile der AfD könnte bei der Mehrheit migrantischer Wähler also zu groß sein, als dass sie der Partei ihre Stimme geben. Dass die Partei aber auch Migranten erreichen wird, die sich von der Politik mehr Sicherheit, mehr Recht und Ordnung und weniger konkurrierende Zuwanderung wünschen, ist allerdings naheliegend. Für AfD-Politiker Lambrou steht fest: Allein das Vorurteil, wie die Alternative für Deutschland angeblich zu Menschen mit Migrationshintergrund stehe, habe bisher viele Migranten davon abgehalten, sich der AfD anzuschließen. Das sei nun Vergangenheit. 

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