Die AfD und das Staatsgeld - Das Bundesverfassungsgericht stärkt den politischen Wettbewerb 

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Desiderius-Erasmus-Stiftung ist bahnbrechend. Es beendet einen jahrzehntelangen zweifelhaften Umgang mit Staatsgeld für politische Stiftungen und stärkt den politischen Wettbewerb unter den Parteien. 

Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats, verkündet das Urteil zur Stiftungsfinanzierung / dpa
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Autoreninfo

Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikations- recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Davor war er Rechtsanwalt und Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.

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Es ist tief im Menschen angelegt: Ungleichbehandlungen verletzen das Gerechtigkeitsgefühl. Das ist schon bei Kindern so, und so bleibt es ein Leben lang. Ein frühes dramatisches Beispiel dafür ist die Geschichte von Kain und Abel. Das gilt nicht nur für den Alltag und seine zwischenmenschlichen Beziehungen. In allen Bereichen von Politik und Gesellschaft wirken Ungleichbehandlungen ungerecht und auf die Dauer zerstörerisch. Das weiß die Verfassung natürlich, und sie hat darauf reagiert. Ein zentrales Grundrecht ist deshalb das Gleichbehandlungsgebot. Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, heißt es kraftvoll und prägnant in der Verfassung. 

Demokratie und Gleichheit 

Das Gleichbehandlungsgebot hat auch eine grundlegende politische Bedeutung für die Demokratie. Schon die Idee der Demokratie basiert auf der Gleichheit aller Wahlberechtigten. One man, one vote - das ist der Gleichheitsgrundsatz der Demokratie.  

Das Grundgesetz hat Deutschland als Parteien-Demokratie konstruiert. Es hat den politischen Parteien ausdrücklich eine wichtige Rolle bei der politischen Willensbildung übertragen. Selbstverständlich muss deshalb der Gleichbehandlungsgrundsatz auch strikt für die Parteien gelten. Nach dem Willen des Grundgesetzes heißt Demokratie eben auch zum größten Teil: Wettbewerb der Parteien um die Stimmen der Bürger und Wähler. Und dieser Parteienwettbewerb ist nur dann verfassungskonform, wenn alle Parteien die gleichen Chancen haben. Das muss der Staat gewährleisten.  

Staatsgeld und Chancengleichheit 

Der Staat finanziert die politischen Parteien, Jahr für Jahr mit großen Summen. 2021 erhielten die im Bundestag vertretenen Parteien insgesamt knapp über 190 Mio. Euro. Dahinter steht die Idee: Wenn die Parteien Staatsgelder erhalten, sind sie unabhängiger von privaten Geldern. Das kann den politischen Einfluss besonders finanzstarker Wähler und Wählergruppen begrenzen. Unbegrenzt darf die staatliche Parteienfinanzierung aber nicht sein. Denn dann hätte man Staatsparteien. Das will die Verfassung auf keinen Fall. Staatsparteien sind ein Merkmal autoritärer Staaten. In einer Demokratie dürfen sie keinen Platz haben. Ob die politische Realität dieser verfassungsrechtlichen Theorie noch entspricht? Darüber lässt sich sicher streiten. 

Seit Jahrzehnten finanziert der Staat nicht nur die Parteien, sondern auch die politischen Stiftungen, die den Parteien nahestehen. Die Summen, die den Stiftungen zufließen, sind noch erheblich höher als die Zahlungen an die Parteien direkt. 2019 erhielten die Stiftungen insgesamt etwa 670 Millionen Euro an Zuschüssen des Bundes und der Länder.  

Durch seine Finanzierung der Stiftungen greift der Staat in den politischen Wettbewerb der Parteien ein. Das ist offensichtlich. Politische Arbeit kostet Geld. Und dieser Eingriff in den Wettbewerb ist problematisch. Denn die staatlichen Zahlungen dürfen den Wettbewerb der Parteien nicht verzerren. Trotz der Staatsgelder muss es ein freier Wettbewerb bleiben, in dem alle Parteien die gleichen Chancen haben. Ist das im Augenblick so? Nein, sagt das Bundesverfassungsgericht im Urteil ganz deutlich. 

Erasmus und die Chancengleichheit 

Die Parteien, die im Bundestag vertreten sind, haben ihre Stiftungen schon vor Jahrzehnten gegründet. 2017 hat die AfD ebenfalls eine Stiftung gegründet, die ihr politisch nahesteht: die Desiderius-Erasmus-Stiftung. Anders als die älteren Stiftungen der anderen Parteien erhält die Erasmus-Stiftung allerdings keine staatlichen Gelder. Alle Anträge auf Teilhabe an der staatlichen Finanzierung wurden bisher abgelehnt. Die Begründung: Nur Stiftungen, die jederzeit die Gewähr bieten, dass sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bekennen, erhalten staatliche Gelder. Die Bundestagsmehrheit zählt die Erasmus-Stiftung nicht dazu. Dagegen ist die AfD vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, und sie hat – in Teilen – gewonnen

Kein Stiftungsgeld ohne Gesetz 

Das Bundesverfassungsgericht sieht Probleme, die es in bemerkenswerter Klarheit anspricht. In der Demokratie gilt der Wesentlichkeitsgrundsatz. Wesentliche Entscheidungen trifft das Parlament selbst in einem Gesetz. Letztlich ist das der Kern der parlamentarischen Demokratie: Die vom Volk gewählten Abgeordneten entscheiden die wichtigen, grundlegenden, wesentlichen Fragen. Vor diesem Hintergrund sagt Karlsruhe klar: Die enormen Staatszuschüsse an die Parteistiftungen müssen in einem Gesetz geregelt werden. Man darf solche Summen nicht einfach per Haushaltsplan verteilen. Schließlich sind die Zahlungen auch ein erheblicher Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb.  

 

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Der Bundestag muss also ein Stiftungsfinanzierungsgesetz öffentlich debattieren, beraten und verabschieden, in dem Kriterien für die Mittelvergabe festgelegt werden. Ohne ein solches Gesetz sind keine Zahlungen mehr möglich – weder an die Erasmus-Stiftung der AfD noch an die Stiftungen der anderen Parteien. Ein solches Gesetzgebungsverfahren holt die Thematik aus der Grauzone und bringt sie in das Licht der Öffentlichkeit. Bei einem so wichtigen Thema ist das eine demokratische Selbstverständlichkeit. Es ist irritierend, dass das Verfassungsgericht daran erinnern muss. 

Natürlich hat das Parlament dabei einen inhaltlichen Gestaltungsspielraum. Das ist seine ureigene Aufgabe als Gesetzgeber. Aber das Verfassungsgericht zieht eine rote Linie: Das Parlament muss die Chancengleichheit der politischen Parteien im demokratischen Wettbewerb beachten. 

Heikle Nebenbemerkung 

In einer Nebenbemerkung begibt sich das Gericht auf vermintes Terrain. Es erwähnt, dass der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein Kriterium für die Vergabe von Stiftungsgeldern sein könne. Das zielt auf die AfD, die nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Teile der Partei um den einflussreichen Spitzenpolitiker Björn Höcke stehen sicher nicht auf dem Boden des Grundgesetzes. Trotzdem ist die Bemerkung heikel. Ob eine Partei verfassungsfeindlich ist, entscheidet nach dem Grundgesetz nämlich ausschließlich das Bundesverfassungsgericht. Solange das nicht geschehen ist, hat jede Partei die gleichen Rechte (und Pflichten). Das hat einen guten Grund: Die Verfassung will verhindern, dass politische Parteien ihre Konkurrenz aus parteipolitischen Gründen vom Wettbewerb ausschließen. Hoffentlich haben die Abgeordneten das im Hinterkopf, wenn sie das Gesetz formulieren. Sonst ist der nächste Streit vor dem Verfassungsgericht programmiert. 

Ohrfeige für die Mehrheit 

Letztlich ist das Urteil des Verfassungsgerichts eine Ohrfeige für die Mehrheitsparteien im Bundestag. Sie verteilen seit Jahren Staatsgelder in Höhe von hunderten Millionen Euro in einer rechtlichen Grauzone ohne gesetzliche Grundlage. Das ist im demokratischen Rechtsstaat verfassungswidrig. Das stellt das aktuelle Urteil ohne Wenn und Aber fest. Und die Mehrheitsparteien schließen willkürlich eine Partei – die politische Konkurrenz – von der Finanzierung aus. Das ist eine verfassungswidrige Verletzung des Rechts auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb der Parteien. Auch das haben die Karlsruher Richterinnen und Richter in schöner Klarheit festgestellt. Das Grundgesetz gilt immer und für jeden, auch für eine Partei, die politisch hoch problematisch ist. Eine Verfassung, deren Wirksamkeit vom guten Willen der politischen Mehrheit abhängt, wäre sinnlos. 

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