Generaldebatte im Bundestag - „Deutschlandpakt“: Was Scholz unter Bürokratieabbau versteht

CDU-Chef Friedrich Merz findet Worte für eine Generalkritik an der Bundesregierung, die an glorreiche Zeiten des Bundestags erinnern. Der Kanzler interpretiert dagegen „Bürokratie“ ganz neu. Sein Wort „Deutschlandpakt“ ist übrigens nicht neu.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (l, Grüne), Bundeskanzler Olaf Scholz (M, SPD), Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, 06.09.2023 / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Der bislang größte Erfolg des Bundeskanzlers ist vermutlich ein Begriff, den er in einer Bundestagsrede unmittelbar nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine verwendete: „Zeitenwende“. CDU-Chef Friedrich Merz machte dem Kanzler in seiner heutigen Eröffnungsrede zur Generaldebatte im Bundestag – implizit – ein Kompliment dafür, indem er den Begriff mit der Bekräftigung „tatsächlich“ verwendete. Explizit allerdings war Merz’ Auftritt eine Generalkritik an der Bundesregierung und dem Kanzler – wie es sich für eine Generaldebatte in einem demokratischen Parlament geziemt.

Lange hat man darauf gewartet, dass mal wieder wie in den goldenen Jahren der CDU/CSU-Opposition der 1970er ein CDU-Fraktionsvorsitzender den regierenden Sozialdemokraten solche Worte entgegenschleudert:

„Wir diskutieren nicht nur über die Details des Bundeshaushaltes. Wir widersprechen Ihnen in Ihrem ganz grundsätzlichen Staatsverständnis. Sie bauen nämlich trotz Zeitenwende den betreuenden, bevormundenden, alles regulierenden und dann auch finanzierenden Staat, einen geradezu paternalistischen Staat, immer weiter aus. Der möglichst hohe Steuern einnimmt, um sie dann nach Abzug eines immensen Verwaltungsapparates, den Sie natürlich am liebsten aus Ihren eigenen Reihen besetzen, mit immensen Kosten aus diesem Apparat dann gönnerhaft an die Bevölkerung nach ihren parteipolitischen Vorstellungen wieder einen Teil davon zurückzugeben.“

Dass diese Grundsatzkritik traf, zeigten die aufgeregten Reaktionen in den Reihen der Regierungsfraktionen. Dabei verzichtete Merz noch auf die zahlenmäßige Untermalung: etwa durch die rund 1700 neuen Beamtenstellen, die die Ampel-Regierung allein in ihren Ministerien geschaffen hat. Nach Angaben des Steuerzahlerbundes ist die Zahl der Angestellten und Beamten in den Bundesministerien seit 2012 von rund 18.500 auf mittlerweile 30.200 angestiegen.  

Scholz’ Redekunst der verdeckten Emotionalisierung

Scholz wäre nicht Scholz, wenn er diese Grundsatzkritik argumentierend aufgenommen hätte. Er begegnete ihr stattdessen durch eine geschickte Emotionalisierung mithilfe bestimmter häufig verwendeter Schlagworte. Scholz erscheint nun wahrlich nicht als großer Menschenfischer, dem die Herzen zufliegen. Aber seine Rede zielte doch in ihrer Wortwahl eben nicht auf die Vernunft, sondern auf die Gefühle der Deutschen. Die sachlichen Inhalte waren so belanglos wie meist in Scholz-Reden und Scholz-Interviews. So etwas wie ein rational hergeleitetes Argument war da kaum auszumachen.

Seine Redekunst zeigt sich in anderem. Etwa darin, über Bürokratie zu klagen und Bürokratieabbau zu versprechen, aber damit eben nicht wie Merz den personell und damit kostenmäßig durch seine Regierung expandierenden Verwaltungsapparat in den Blick zu nehmen, sondern den Begriff selbst umzudeuten. Es gehört zu den großen Widersinnigkeiten der Ampel-Ära, dass ausgerechnet diese Regierung, die allein in ihrem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich die Zahl der Büroinsassen deutlich erhöht hat und mit der Kindergrundsicherung und dem am Freitag wohl im Bundestag durchgehenden Heizungsgesetz neue Verwaltungsgroßbaustellen eröffnet, nun den Abbau der „Bürokratie“ laut aktueller Scholz-Rede zu einem Schwerpunkt erklärt.

Bürokratie ist das, was der Ampel im Weg steht

Scholz kommt es auf die emotionale Tiefenwirkung an, die von der vermehrten Verwendung bestimmter Begriffe ausgeht. Im vergangenen Bundestagswahlkampf war das vor allem „Respekt“. Mit „Respekt für dich“ schmeichelte er den Wählern auf Plakaten und in Werbespots. In seinem jüngsten Bundestagsauftritt waren andere Begriffe beziehungsweise Begriffsfelder bestimmend, die er immer wieder fast schon penetrant predigte. „Schneller“ war vermutlich das häufigste Wort in seiner Rede, alternativ „mehr Tempo“ und sein Klassiker „Deutschlandgeschwindigkeit“.

 

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Das was „schneller“ werden muss, ist eben immer das, was die Ampel will: Also soll für Windräder und Solaranlagen und Stromleitungen „manche Genehmigungspflicht einfach mal entfallen“. Negative Gegenbegriffe waren die „Jahre des Stillstands“ (in denen er übrigens Finanzminister war, wie er zu erwähnen vergaß) und eben das neue Wieselwort „Bürokratie“, das in Scholz’scher Neu-Interpretation nicht mehr die Beamten in den Ampelministerien und Behörden bezeichnet, sondern alles, was der Agenda der Ampel im Weg steht. All das also, was Demokratien nun einmal langsam macht: Klagerechte von Bürgern gegen den energiewendenden Staat nicht zuletzt.

Der Deutschlandpakt von 2005

Der mediale Erfolg seines Begriffs „Zeitenwende“ hat Scholz womöglich dazu verleitet, in der heutigen Bundestagsrede wieder einen neuen Begriff einzuführen, den die Nachrichtenredakteure bereits fleißig verbreiten. Er sprach vom Angebot für einen „Deutschlandpakt“, womit er wohl auch noch einen leisen Anklang von so etwas wie Patriotismus in den Herzen der deprimierten Deutschen erwecken will. Alle Ministerpräsidenten, Bürgermeister, Landräte und auch „Herr Merz“ sollten sich doch in einem solchen Pakt bitte auf „Kooperation statt Streiterei“ besinnen, denn schließlich: „Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung.“ Für die Energieversorgung, für den Bau neuer Häuser, für die Erneuerung der Infrastruktur, für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Dann könne man „die große Transformation“ (den Gefallen dieses Begriffes tat er dem grünen Koalitionspartner dann auch noch) hinkriegen.

Allerdings hätten er oder zumindest seine vielen Büroinsassen im Kanzleramt diesen Begriff vorher einfach mal googlen sollen. Dann wären sie – unter anderem auch auf den Seiten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung  – darauf gestoßen, dass vor 18 Jahren am 5. Januar 2005 schon einmal ein „Deutschlandpakt“ unterzeichnet wurde, der „Streiterei“ beenden sollte. Nämlich als Wahlbündnis ausgerechnet von den damaligen Chefs der beiden rechtsextremen Parteien NPD und DVU.

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