Mögliche Liste Wagenknecht - „Viele Menschen warten auf diese neue Partei“

Der Linken-Politiker Klaus Ernst sieht seine Partei auf dem Weg zur ökoradikalen Umweltbewegung. Im Interview erklärt er, warum er das für falsch hält. Einer möglicherweise in Gründung befindlichen Wagenknecht-Partei beizutreten, ist für ihn eine realistische Option.

Linke-Politiker Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht / picture alliance
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Amira Mohamed Ali, Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, wird sich von ihrem Amt zurückziehen, um ein Zeichen zu setzen gegen den aktuellen Kurs der Parteiführung. Vieles deutet mittlerweile auf eine Abspaltung hin zur Gründung einer neuen Partei unter Sahra Wagenknecht. Im Interview spricht der Linken-Politiker und WASG-Mitbegründer Klaus Ernst über den fehlgeleiten Kurs der Linkspartei und erklärt, wie eine neue Partei aussehen könnte.

Herr Ernst, wie ist das werte Befinden?

Ausgezeichnet, ich fühle mich sehr wohl.

Also geht es Ihnen deutlich besser als Ihrer Partei derzeit?

Eindeutig. Ich bin nämlich in Urlaub.

Bei der Linken sind derweil klare Auflösungstendenzen erkennbar. Zuletzt hat Ihre Parteigenossin Amira Mohamed Ali, derzeit noch Co-Vorsitzende der Linken im Bundestag, ihren Rückzug aus ihrem Amt angekündigt – inklusive Generalabrechnung mit der Linkspartei. Teilen Sie ihre Kritik?

Diese Kritik teile ich voll und ganz. Was wir mit Mohamed Ali erleben, ist die Konsequenz eines Vorgehens des Parteivorstands, der einen Teil der Mitglieder aus der Partei drängen will. Jene Mitglieder, denen die Veränderung der Partei hin zu einer ökoradikalen Umweltpartei nicht passt. Denn der eigentliche Gründungskonsens war ja, dass wir eine Partei sein wollen, die sich um die Interessen der abhängig Beschäftigten, um die Rentnerinnen und Rentner, um die Schülerinnen und Schüler; sich also um die kleinen Leute kümmert. Und nun haben wir eine Hinwendung zu Themen, die zwar durchaus wichtig sind, aber aus meinem Verständnis immer aus der Sicht der abhängig Beschäftigten gesehen werden müssen.

Sie selbst kritisierten den jüngsten Beschluss der Parteispitze, die Aktivisten Carola Rackete als Kandidaten für das EU-Parlament aufzustellen. Was stört Sie daran?

Dass der Vorstand momentan eine Politik betreibt in Richtung einer radikalen Öko-Partei, die mit den normalen Interessen der abhängig Beschäftigten nicht mehr viel zu tun haben will. Die Nominierung von Frau Rackete, die mit ihrer eigenen Agenda antritt, ist eine Umsetzung dieser Politik. Viele unserer früheren Wähler haben beispielsweise nichts mit Klimaklebern am Hut.

Es entsteht Eindruck, dass Themen wie postmoderne Gendertheorie oder Identitätspolitik klassisch linke Themen – Stichwort: soziale Frage – ziemlich verdrängt haben in den vergangenen Jahren. Sehen Sie das auch so?

Ja. Die Leute wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu reden haben. Sie haben wirkliche, knallharte Existenzprobleme, die damit zusammenhängen, wie die Bundesregierung zum Beispiel Klima- und Energiepolitik betreibt. Wenn sich die Linke mehr mit Fragen des Antirassismus oder mit  Fragen der Umbenennung einer Mohrenapotheke beschäftigt, statt mit Ausgleich der hohen Inflation und Rentenerhöhungen, werden wir eben nicht mehr gewählt. Das betrifft auch die Friedenspolitik. Wir waren immer eine Friedenspartei, die ohne Wenn und Aber gegen Rüstungsexporte war. Doch das wird zunehmend aufgeweicht. Wenn der Vorstand unserer Partei nicht mal mehr in der Lage ist, zu einer der größten Friedensdemos mit aufzurufen, die in diesem Jahr stattgefunden hat – organisiert von Sahra Wagenknecht – dann sehen Sie, dass diese Partei ihren Gründungskonsens verlassen hat.

Braucht es also eine neue „alte Linke“ mit einer Rückbesinnung auf sozialwirtschaftliche Themen?

Genau das steht auch zur Debatte, nämlich eine Partei, die wieder klar die Interessen der abhängig Beschäftigten vertritt und die auch wieder Wirtschaftsthemen in den Vordergrund stellt. Denn zurzeit erleben wir ja auch eine Verarmung beim Mittelstand. Nicht nur die Arbeiter und die Angestellten sind da betroffen, sondern die Handwerker genauso. Und gleichzeitig müssen wir bei unserem Grundsatz bleiben, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Friedliche Außenpolitik! Ich glaube, das ist momentan das Gebot der Stunde, weil man solche Themen sonst der AfD überlässt – und die profitiert davon.

Wie bewerten Sie in dem Zusammenhang die Politik der Ampelregierung allgemein? Immerhin sitzen darin zwei von drei Parteien, die sich durchaus als „links“ bezeichnen würden.

Wir haben eine Regierungskoalition, die vor sich hin wurschtelt. Ich gebe zu, es sind schwere Zeiten. Wir hatten die Pandemie, haben den Krieg. Aber die Antworten der Regierung sind Antworten, die sich gegen die eigenen Bürger richten. Da ist einmal die Frage der Sanktionspolitik, von der Russland profitiert, und wir leiden darunter. Wir sehen das an den Energiepreisen und an der schleichenden Deindustrialisierung. Jetzt soll die CO2-Abgabe erhöht werden. In der Klimapolitik stolpert die Regierung von einem Debakel in das nächste. Die Bürger halten inzwischen bei den Plänen der Regierung nur noch die Geldbörse fest. Und unsere Parteiführung betreibt als Antwort darauf eine Politik des Moralisierens oder des Dramatisierens. Das führt dann dazu, dass sich die Menschen von uns abwenden.

 

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Das zeigen auch die jüngeren Wahlergebnisse. 

Im Jahr 2009 haben uns von den gesamten Arbeitern dieser Republik fast 18 Prozent gewählt. Heute sind es nicht mal mehr vier oder fünf Prozent. Das ist ein Niedergang einer Partei, welcher mit der Veränderung der Positionen und der Ausrichtung der Partei zu tun hat. Und das ist nicht nur der jetzige Vorstand, das ging auch schon unter Bernd Riexinger und Katja Kipping in diese Richtung. Das ist nicht mehr die Partei, die von den normalen Leuten als ihre Partei empfunden wird, sondern es ist eher die Partei eines urbanen, oft gutsituierten Bildungsbürgertums in den Städten. Leider hat sich auch unsere Mitgliedschaft in diese Richtung entwickelt. Viele unserer Mitglieder in den Betrieben oder in den Verwaltungen haben uns den Rücken gekehrt.

Stichwort urbanes Bildungsbürgertum und veränderte Mitgliedschaft. Hat dies auch mit einer anderen Generation zu tun? Ist das, was Ihre Partei derzeit erlebt, ein Generationenkonflikt? Ausgelöst durch eine junge, woke Garde?

Es ist kein Generationskonflikt, sondern vielmehr ein Sozialisationskonflikt. Inzwischen haben wir viele Kreisverbände mit einer Mehrheit aus Mitgliedern, deren einziger Zugang zur Arbeiterbewegung der war, dass sie vielleicht als Student oder als Schüler ein Regal bei Aldi eingeräumt haben. Die wissen nicht, was es heißt, in einem Betrieb in Schicht zu arbeiten, in Nachtarbeit zu arbeiten, die kennen das gar nicht, die sind anders sozialisiert. Und für die ist vielleicht dann der Kampf um eine noch höhere CO2-Steuer wichtiger als andere Belange. Das ist aber aus der Sicht der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger ein falscher Weg. Und wenn man diesen Weg dann als Partei so propagiert, dann muss man sich nicht wundern, wenn einen die Leute nicht wählen.

Ziviler Widerstand zum Beispiel ist ein ur-linkes Thema: Wie bewerten Sie daher die Aktionen der Letzten Generation? Die Aktivisten sehen sich ja als ein Teil einer linken Bewegung.

Nein, man ist kein Teil einer linken Bewegung, wenn man sich auf die Straße klebt oder auf dem Flugplatz verhindert, dass Leute, die das ganze Jahr gearbeitet haben, in den Urlaub fliegen können. Oder dass man den Leuten auf der Straße den Weg versperrt, so dass man deswegen zum Beispiel einen wichtigen Arzttermin versäumt, den man dann erst einige Zeit später überhaupt wieder bekommt. Diese Menschen meinen, sie hätten als einzige die richtigen Antworten, handeln ohne Rücksicht auf andere. Da bin ich auch dafür, dass die entsprechend zur Verantwortung gezogen werden.

Das ist eben nicht eine verbindenden Klimapolitik, die dringend notwendig wäre, sondern ein Handeln mit Scheuklappen. Was rechts und links passiert, wird nicht mehr wahrgenommen. Und das führt dann zu Widerständen und dazu, dass sich die Leute von der Umweltpolitik abwenden. Und genau das haben wir aber auch in unserer Partei. Leute, inzwischen auch in höheren Funktionen, die bei jeder Demo mitrennen, aber nicht wahrnehmen, wie das eigentlich auf die Menschen wirkt, die uns wählen sollen. Dies hat etwas von einem sektenhaften Verhalten und einer grenzenlosen Selbstüberschätzung, nach dem Motto: Ich bin klug uns weise und das habe ich selbst entdeckt. Und ich finde, solche Leute sind eher Clowns als vernünftige Politiker.

Während die Klassenfrage in der öffentlichen Debatte kaum noch gestellt wird, diskutieren wir derzeit tagein, tagaus über das Thema Brandmauer zur AfD. Wie nehmen Sie diese Debatte wahr?

Ich erlebe diese Debatte bei uns vor allem dadurch, dass Sahra Wagenknecht selbst von einigen Genossinnen und Genossen unterstellt wird, sie wäre eine Nationalistin. Da muss ich sagen: Wer das sagt, hat politisch irgendwo nicht aufgepasst, was sich gerade abspielt bei uns im Land. Dass die AfD so stark wird, hängt damit zusammen, dass momentan viele Leute keine Alternative sehen. Also wählen sie die AfD. Zum Beispiel, wenn sie gegen diese Kriegspolitik der Bundesregierung sind, wenn sie gegen diese Genderei sind. Oder wenn sie Bedenken bei Maßnahmen der Bundesregierung in der Klimapolitik haben, die tatsächlich oft nicht durchdacht sind. Und dann wählen die Menschen wegen ihres Richtungsstreits und der Ausgrenzung von Wagenknecht eben nicht mehr die Linke. Deswegen ist es auch enorm wichtig für die politische Kultur des Landes, dass es eine wirklich linke Klassenpartei gibt, die wieder die Interessen der kleinen Leute aufgreift und sich anbietet, für die Positionen zu stehen, die ich gerade versucht habe, zu beschreiben. Aber die eine Partei ist, die eben nicht nationalistisch ist und sich klar von der AfD abgrenzt. Momentan zeigen Umfragen: Die AfD hätte am meisten Probleme mit einer von Wagenknecht geführten Partei.

Was müssten dann die zentralen Programmpunkte dieser Partei sein? Und müsste eine solche Partei zwangsläufig eine linke Partei sein – oder darf sie auch verschiedene Strömungen vereinen?

Die Ausrichtung der Partei ist eigentlich relativ klar, wenn es denn so weit käme. Und wenn es soweit kommt, dann sind es die Aussagen von Sahra Wagenknecht aus den letzten zwei Jahren oder auch schon länger, die Programmpunkte sein müssen. Das ist einerseits eine ganz klare friedenspolitische Ausrichtung, keine Waffenexporte in Krisengebiete, eine Außenpolitik des Miteinanders und nicht der Verschärfung von Konflikten. Eine Partei, die Sozialpolitik macht, die wieder die Frage der Spaltung der Gesellschaft aufgreift, der Löhne, der unzureichenden Renten, die Frage der Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt stellt. Für ein Steuersystem, das Vermögende und Unternehmen angemessen besteuert. Und es wäre eine Politik, die sich natürlich auch um die Frage der Zuwanderung, um die Frage von Rassismus und um die Frage der Rechte von Minderheiten kümmern muss. Aber eben auf eine Art, dass alle Beteiligten diesen Weg mitgehen. Interessenpolitik für die „normalen“ Leute ist die Pflicht, das andere die Kür.

Der Versuch, eine linke Sammelbewegung namens „Aufstehen“ zu etablierten, ist bereits gescheitert. Wie gut würden denn die Chancen stehen, dass eine solche „Liste Wagenknecht“ schon bald Fuß fassen könnte in der deutschen Parteienlandschaft?

Die Chancen stehen jetzt besser. „Aufstehen“ war der Versuch, eine „Bewegung von unten“ von oben zu gründen. Diese Idee war vielleicht nicht ganz klug, denn wenn man selber zum Politik-Establishment gehört, dann wird einem das nicht so ganz abgenommen. Die letzte Bewegung von unten waren wir als WASG damals, vor 20 Jahren, das war nun wirklich eine Bewegung, wenn Sie so wollen, die von einfachen Gewerkschaftern, also von der Basis aus entstanden ist. Jetzt ist es ganz was anderes, da es ja um die Frage einer anderen Partei geht, die mit Sicherheit von vielen Leuten begleitet würde, die selber schon aus dem Politikbetrieb sind – oder von anderen, die diese Partei als Chance sehen, wieder eine vernünftige Linke hinzubekommen, die ihre Interessen vertritt. Und da, glaube ich, sind die Erfolgschancen einer Partei ganz anders als die einer Bewegung. Zumal eine Partei ja viel konkretere Strukturen hat. Viele Menschen warten geradezu auf diese neue Partei!

Wären Sie dabei?  

Ich habe ja schon öffentlich erklärt: Wenn sich Sahra Wagenknecht dazu entscheidet, eine solche Partei ins Leben zu rufen – sie sagt ja, sie will das bis Ende des Jahres machen –, wäre es für mich durchaus eine realistische Option, dabei mitzumachen.

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger.

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