Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats am Finanzministerium - Unser asozialer Sozialstaat und Marx‘ untote Lebenslüge

Das Bürgergeld ist nicht bürgerlich und der reale Sozialstaat nicht sozial. Wenn letzterer fortleben soll, müssen zwei Lebenslügen über Zuwanderung und den Menschen endlich sterben.

Seine Lebenslüge lebt weiter: Karl Marx / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

So erreichen Sie Ferdinand Knauß:

Anzeige

Dass der deutsche Sozialstaat nicht funktioniert, kann man täglich alle paar Minuten im Radio hören, wenn Unternehmen statt für ihre Produkte und Dienstleistungen um Mitarbeiter werben. Man kann es auch jederzeit im Discount-Markt oder an Kneipen-Türen lesen, die mit Stellenangeboten gepflastert sind. 

In einem solchen Land, dessen Arbeitgeber dauernd über Fachkräftemangel klagen (und längst auch über den Mangel an Mitarbeitern für wenig qualifikationsbedürftige Tätigkeiten), sollte eigentlich die Sozialleistungsquote, also der Anteil des Bruttoinlandsprodukts, den der Staat zu vermeintlich sozialen Zwecken umverteilt, deutlich sinken. Könnte man meinen.

Mit den Agenda-Reformen gegensteuern

Tatsächlich ist die Sozialleistungsquote in den vergangenen Jahren gestiegen. Auf über 30 Prozent. Das ist ein Niveau, das deutlich über dem liegt, was in den Kanzler-Jahren Gerhard Schröders ein allgemeines Krisenempfinden bewirkte und die rot-grüne Koalition damals dazu veranlasste, mit den Agenda-Reformen gegenzusteuern. Nun fasst ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats am Bundesfinanzministerium die Ungerechtigkeiten des deutschen Sozialstaats zusammen. Kurz: Für viele Menschen lohnt es sich überhaupt nicht mehr zu arbeiten. 

Die Bild nennt das Beispiel einer 4-köpfigen Familie in München mit einem 4000-Euro-brutto-Alleinverdiener: Steigt der Lohn um acht Prozent auf 4320 Euro, hat die Familie unterm Strich netto sogar vier Euro weniger zur Verfügung. Denn Kinderzuschlag und Wohngeld werden bei steigenden Einkommen verringert („Transferentzug“). Man muss kein Ökonom sein, um das „höchst problematisch“ zu finden.

 

Mehr zum Thema:

 

Umverteilungspolitik rechtfertigt sich in der Regel mit Gerechtigkeitsargumenten. Aber ist es wirklich gerecht, wenn der Mann, der jeden Tag für ein geringes Einkommen die Mülleimer auf Bahnsteigen leert, mit seinen Steuern und Abgaben auch die Nicht-Arbeit dessen finanziert, der als arbeitslos gemeldet ist, weil sich vielleicht in seinem gelernten Traumjob keine Stelle auftut und er keine Lust zum Kellnern hat? Übrigens finanziert der fleißige Mülleimer-Leerer auch all jene Menschen, die diese gigantische Umverteilungsmaschinerie tagtäglich betreiben und deswegen höchstwahrscheinlich kein kollektives Interesse an deren Verkleinerung haben.

Man kann vielen Menschen nur höchste Anerkennung zollen, die in diesem Land buchstäblich den Laden am Laufen halten, obwohl sie dadurch kaum mehr Geld, aber sehr viel weniger Freizeit zur Verfügung haben als diejenigen auf der Empfängerseite des Umverteilungsapparates. Zumal für Letztere natürlich noch dank freier Zeit die Verlockung steigt, am Fiskus vorbei dazu zu verdienen.

Und man kann wohl davon ausgehen, dass gerade Einwanderern, die sich ihr Zielland aktiv aussuchen, die Effekte dieser staatlichen Maschinerie gut bekannt sind. Politiker sind offenkundig selbst durch wissenschaftliche Gutachten kaum mit der Lebenswirklichkeit vertraut zu machen. Die Betroffenen brauchen dazu keine Ökonomen.

Die Lüge vom „Bürgergeld“

Politische Schiefstände und Verlogenheiten erkennt man oft schon an den verwendeten Begriffen. Der größte Hohn der aktuellen Sozialpolitik ist das „Bürgergeld“. Nichts daran ist bürgerlich. Denn mit dem Begriff des Bürgers ist erstens die Staatsangehörigkeit verbunden und zweitens die Fähigkeit und vor allem der Wille, sich selbst und seine Angehörigen selbst versorgen zu können. Beides wird durch den Begriff und die materiellen Folgen dieser Politik entwertet.

Die oppositionelle CDU, die sich als bürgerliche politische Kraft betrachtet, äußert nun scharfe Kritik. CDU-General Carsten Linnemann fordert markig: „Jeder, der arbeiten kann und Sozialleistungen bezieht, muss nach spätestens sechs Monaten einen Job annehmen, ansonsten gemeinnützig arbeiten.“ Nachdem CDU-Chef Friedrich Merz kürzlich schon in der Zuwanderungspolitik den SPD-Dissidenten und Schriftsteller Thilo Sarrazin („Deutschland schafft sich ab“) rehabilitierte, ließ sich der Haushaltspolitiker Andreas Mattfeldt von diesem sogar zu einem besonders plakativen Satz inspirieren: „Ein Staat, der Nichtstun mehr unterstützt als fleißige Arbeit, schafft sich mittelfristig ab.“

Allerdings gehört zur Wahrheit auch, dass es CDU-geführte Bundesregierungen waren, die zwischen 2005 und 2021 das Anwachsen der Sozialstaatsquote zumindest hingenommen haben, die zuvor der Sozialdemokrat Gerhard Schröder gegen starken Widerstand seiner eigenen Partei eingedämmt und damit seiner Nachfolgerin wirtschaftspolitisch bequeme Regierungsjahre beschert hatte. Wenn die CDU glaubwürdig sein will, muss sie zugeben, dass sie unter Merkel auch auf diesem Politikfeld riesige Fehler begangen hat.

Zuwanderungs- und Sozialpolitik zusammen denken!

Die Sozialpolitik muss endlich mit der Einwanderungspolitik zusammen gedacht werden. Und die wichtigste Voraussetzung dafür wäre ein von ideologischen Illusionen, also einem falschen Menschenbild befreiter Blick auf die Wirklichkeit des Allzumenschlichen. Dazu gehören zwei besonders wichtige Korrekturen.

Erstens: Die real existierende Armutszuwanderung aus außereuropäischen Weltregionen hat wenig bis nichts mit den in der europäischen Geschichte wurzelnden Narrativen von Flucht und Asyl zu tun. Sie ist vor allem motiviert durch die (moralisch neutralen) materiellen Verlockungen nicht zuletzt eines Sozialstaatsmodells, das ebenfalls aus den westeuropäischen Volkswirtschaften des 20. Jahrhunderts stammt, die auf Nationalstaaten und somit begrenzten Solidargemeinschaften beruhten. Es ist offensichtlich, dass dieses Modell mit einer No-Borders-No-Nations-Ideologie und -Praxis auf Dauer nicht bestehen kann.

Eine Lebenslüge lebt weiter

Zweitens: Menschen, ob heimisch oder zugewandert, streben entgegen einem im 19. Jahrhundert von Karl Marx formulierten Dogma („Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“) nicht bedingungslos nach Teilhabe an der Arbeit. Arbeit ist eben nicht allen Menschen, wie Marx behauptete, „das erste Lebensbedürfnis“. Unter Bedingung ausreichender staatlicher Versorgung der Bedürfnisse sinkt bei vielen die Bereitschaft, eine Tätigkeit anzunehmen, zu der sie eigentlich fähig wären.

Diese anderthalb Jahrhunderte alte marxistische Lebenslüge vom fleißigen Menschen vernebelt noch heutigen Sozialdemokraten vom Schlage eines Hubertus Heil oder Kevin Kühnert die Arbeitspolitik. Obwohl sie doch gerade in ihren eigenen Biographien genug Argumente gegen diese Lebenslüge finden könnten.

Anzeige