- „Ich war kein Opfer“
Nach 30 Jahren in der Szene ist mit Andreas Molau einer der bekanntesten Rechtsextremisten Deutschlands ausgestiegen. Im Gespräch mit Cicero Online spricht er über Ein- und Ausstieg, persönliche Tiefpunkte und unheimliche Gedanken
Am vergangenem Sonntag gab Molau bekannt, dass er im Aussteigerprogramm des niedersächsischen Verfassungsschutzes ist. Molau bekam mit 14 Jahren Kontakt zur NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten, arbeitete später bei der rechten Postille Junge Freiheit, hatte dann Spitzenämter in der NPD und galt als ihr Chefideologe. 2009 wechselte Molau dann zu DVU. Zum Schluss war er bei Pro NRW – einer vom Verfassungsschutz beobachteten rechten Splitterpartei, die in Nordrhein-Westfalen in einigen Kommunalparlamenten sitzt.
Herr Molau, Sie galten als eines der intellektuellen
Aushängeschilder der deutschen Rechtsextremisten und sind nun aus
der Szene ausgestiegen. Wie kam es zu dieser
Entwicklung?
Es war ein langer Weg. Ein Schlüsselerlebnis war für mich eine Rede
von Udo Pastörs in Saarbrücken. Pastörs schwadronierte von der
„Judenrepublik, deren Ende bald kommt“ und ähnlichen Dingen. Ich
saß in der ersten Reihe und fand alles, was er sagte, fürchterlich
und dachte mir nur noch: Wie komm' ich hier wieder raus? Dafür habe
ich dann noch Jahre gebraucht – den endgültigen Schlussstrich habe
ich am vergangenen Sonntag gezogen, als ich im NDR meinen Ausstieg
aus der Szene und meine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz
bekannt gemacht habe.
Aber Sprüche wie von Pastörs sind doch in der Nazi-Szene
nichts Besonderes.
Die Rede von Pastörs stach heraus. So offen wie da wurde der Hass
meistens selbst in kleinen Zirkeln nicht ausgesprochen.
Auch von Ihnen gibt es Reden, in denen Sie von
„dönerbefreiten Zonen“ und „Zonen ohne Maximalpigmentierten“
schwärmen.
Meine Rede auf dem Neujahrsfest der NPD in Wattenscheid war für
mich ein persönlicher Tiefpunkt. Ich war als Redner dort eingeladen
und habe Dinge gesagt, die ich nie hätte sagen sollen. Ich weiß, es
klingt heute merkwürdig, aber nach dieser Rede, nach solchen
Veranstaltungen, habe ich lange gebraucht, um wieder zu mir zu
kommen.
Wenn es Ihnen so schwer gefallen ist, wieso haben Sie es
dann durchgehalten?
Habe ich ja nicht. Ich bin 2009 aus der NPD ausgetreten und zur DVU
gegangen und als die von der NPD übernommen wurde 2010 zu Pro NRW.
Da bin ich nur noch mit Bauchschmerzen hin. Ich habe mich bei der
DVU und bei Pro NRW als Dienstleister gesehen, der
Öffentlichkeitsarbeit macht. Politisch wurde mir das alles immer
fremder. Ich bin eigentlich immer ein Individualist gewesen. Mit
dem ganzen kollektivistischen Gerede kam ich immer schwerer klar.
Und auch die Einteilung der Menschen in Rassen wurde mir mehr und
mehr zuwider. Aber ich habe in dieser Szene ja auch gearbeitet und
mein Geld verdient.
Geld verdienen kann man auch in anderen
Bereichen.
Das habe ich versucht. Ich hatte mit einem Freund eine
Werbeagentur. Wir haben Texte für kleine Unternehmen gemacht. Dann
stand auf einmal mein Name im Raum und alles war wieder vorbei.
Beim Arbeitsamt waren sie zwar sehr nett zu mir, hatten aber auch
nichts. Ich möchte jedoch eins klarstellen: Ich war kein Opfer. Ich
bin für das, was ich getan habe, selbst verantwortlich. Niemand hat
mich gezwungen, in die Nazi-Szene einzusteigen. Das war mein freier
Entschluss – ebenso wie mein Ausstieg.
Wie kamen Sie in die Nazi-Szene rein?
In der zehnten Klasse haben die Jungen Nationaldemokraten an
unserer Schule Flugblätter verteilt. Unser Sozialkundelehrer hat
uns dann aufgefordert, sie alle kollektiv in den Papierkorb zu
werfen. Ich habe gesagt, dass ich das nicht tun werde, sondern mich
bei denen mal informieren will, was die wollen und wer die sind. Da
war auch viel Provokation dabei.
Und die Jungnationalen haben Sie überzeugt?
Sie haben etwas von einer neuen nationalen Idee erzählt, einer Welt
ohne Krieg, in der alle Völker ihren Platz haben. Und sie haben
gesagt, dass Deutsche und Patrioten verfolgt würden. Das leuchtete
mir ein. Mein Fahrrad hatte nach dem Abend bei der JN einen
„Ein-Herz-für-Deutschland“-Aufkleber und wurde prompt kaputt
getreten. Da war mir klar: Stimmt, wir sind ja diejenigen, die
verfolgt werden.
Seite 2: "Ich stelle mir viel mehr Fragen, als ich Antworten habe."
Ihr Großvater hatte jüdische Wurzeln und ist einer
Verhaftung nur knapp entkommen.
Und ich habe meinem Onkel, der nach dem Krieg in die USA gegangen
ist, versucht zu erklären, dass wir Nationalisten die neuen Juden
sind. Das war meine Überzeugung.
Wie kann man so etwas sagen?
Ich weiß es nicht. Es gibt viele Fragen, die ich heute nicht
beantworten kann. Ich stelle mir viel mehr Fragen, als ich
Antworten habe. Ich habe gerade erst damit begonnen, mich meiner
eigenen Geschichte zu stellen, und vieles muss ich vor mir selbst
klären. Eine wichtige Frage für mich ist: Woher kommt der Mangel an
Empathie? Wieso hat niemand Mitleid mit den Opfern der Nazis? Ich
muss sie auch für mich selbst beantworten.
Wie kann es nach den Verbrechen der Nazis eine positive
Bezugnahme geben, die ja nötig ist, um jedes Mitleid zu
unterdrücken?
Die Verbrechen werden relativiert: Auch die Briten hatten
Konzentrationslager im Burenkrieg, die USA hatten Rassengesetze und
haben die Indianer fast ausgerottet. Nazis wollen stolz auf die
deutsche Vergangenheit sein. Niemand sieht, dass man die deutsche
Literatur oder die Landschaft lieben, und trotzdem die Verbrechen
der Nazis verabscheuen kann.
Redet man mit Ihnen und vergleicht Sie mit vielen
anderen aus der Szene, drängt sich, unabhängig von aller Politik,
eine Frage auf: Wie konnte der es mit diesen Idioten aushalten? In
der Naziszene tummelt sich ja nicht gerade die geistige Elite
dieses Landes.
Man redet sich ein, dass das nur der Kern ist, und wenn die
Bewegung erfolgreich sein wird, kommen auch die Intellektuellen und
die Situation wird besser. Aber das war für mich ehrlich gesagt
nicht das größte Problem.
Sondern?
Dass viele von den Leuten nicht nur dumm waren, sondern auch
gewalttätig. Ich habe mal eine Rede vor einer Kameradschaft
gehalten, und danach hat mir einer gesagt, dass gegen die meisten
von denen, die mir brav zugehört haben, wegen Körperverletzung
ermittelt wird. Bei dem Gedanken daran, was diese Leute gemacht
haben, wurde mir übel. Das geht mir auch mit der NSU so, von der
ich nichts wusste. Ich frage mich oft: Wer von denen, die ich
kannte und mit denen ich zu tun hatte, wusste was? Wer war darin
sogar verstrickt? Es ist ein unheimlicher Gedanke.
Seitdem die Verbrechen der NSU bekannt geworden sind,
hat der Druck auf die rechte Szene zugenommen. War das auch ein
Grund für Sie auszusteigen?
Nein. Und das wird auch für viele andere kein Grund sein. Ich weiß,
dass es bei der NPD und auch bei Pro NRW Leute gibt, die aussteigen
wollen. Aber das hat nichts mit der Verfolgung durch die Polizei
oder den Gegendemonstrationen zu tun. In der NPD gelten
Strafverfahren als Auszeichnung. Ich wurde immer hochgenommen, weil
nie ein Verfahren gegen mich lief. Rechte Parteien verfügen über
viele und vor allem gute Anwälte, die Kostenübernahme wird
organisiert. Das ist für die meisten kein Problem. Der Druck wird
als Bestätigung wahrgenommen: Der Feind bekämpft uns, weil er uns
fürchtet, wir sind auf dem richtigen Weg – das ist die Haltung
vieler in der Szene. Es herrscht eine Wagenburgmentalität. Niemand
setzt sich mit den eigenen Taten auseinander.
Seite 3: Ich würde gerne wieder als Lehrer arbeiten. Ich weiß nicht, ob das klappen wird.
Daran haben auch die Taten der NSU nichts
geändert?
Nein. Die NSU gilt für viele als Erfindung der Geheimdienste – und
die Verwicklungen des Thüringer Verfassungsschutzes mit dem
Thüringer Heimatschutz, aus dem der NSU hervorgegangen ist, sind ja
auch erschreckend. Der Tenor ist: Wenn dieses Lügengebäude
zusammenbricht, kommt unsere Stunde.
Sie sind ausgestiegen und haben Kontakt zum
Verfassungsschutz.
Ich bin im Aussteigerprogramm des niedersächsischen
Verfassungsschutzes. Nach langem Überlegen und einigem an
Misstrauen – die Kontakte des Thüringer Verfassungsschutzes zu den
Nazis erwähnte ich ja bereits – habe ich den Kontakt gesucht. Ich
habe mich mit einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes mehrmals
getroffen. Wir führen verständnisvolle Gespräche, wir reden auch
über meine Zukunft. Ich war acht Jahre lang Lehrer, das war meine
beste Zeit. Und ich würde auch gerne wieder als Lehrer arbeiten.
Gerne im Integrationsbereich oder als Sprachlehrer. Ich weiß nicht,
ob das klappen wird.
Warum sind Sie es nicht geblieben?
Ich war vorher Redakteur der Jungen Freiheit und wollte einen Text
ins Blatt bringen, in dem der Holocaust relativiert wurde. Das hat
die Redaktion nicht mitgemacht, ich musste gehen. Mir war immer
klar: Wenn das rauskommt, bin ich meine Lehrerstelle los. Dann kam
das Angebot der NPD und ich nahm an. Ein Fehler.
Stehen Sie seit Ihrem Auszug unter
Polizeischutz?
Die Streifenwagen fahren jetzt häufiger an unserem Haus vorbei,
aber zuletzt war ich bei Pro NRW – und ich denke nicht, dass mir
daher Gewalt droht. Ich mache mir keine Sorgen.
Pro NRW wird vom Verfassungsschutz in NRW beobachtet und
gilt als rechtsradikal. Sie kennen die Organisation von
innen.
Viele bei Pro NRW sind bürgerliche Konservative und keine
Rechtsradikalen. Auch in der Spitze gibt es Konservative, wie
Judith Wolters. Aber die haben zum Teil nicht begriffen, in welche
Richtung der Pro-Zug fährt. Markus Beisicht ist ein klassischer
Rechtsextremist. Dann gibt es noch die PI-News Fraktion. Die geben
sich pro-israelisch und pro-westlich, sind aber knallharte
Rassisten. Wenn man in den Texten dieses Blogs das Wort Muslim
gegen Jude austauscht, ist deren Gedankengut eigentlich
offensichtlich: Klassischer Rechtsextremismus.
Sie waren ein Propagandist und Agitator – haben Sie
Ihrer Ansicht nach Schuld auf sich geladen?
Ich habe Dinge gesagt, die nicht in Ordnung waren und die Menschen
verletzt haben. Das tut mir heute leid und dafür habe ich
Verantwortung zu tragen. So eine Verantwortung lässt sich mit einem
kurzen „Entschuldigung“ auch nicht aus der Welt schaffen. Man kann
Geschehenes nicht ungeschehen machen, sondern nur Zukünftiges
besser. Als Historiker habe ich mich zum Beispiel schon in den
letzten Wochen in einem neuen Blog-Projekt mit historischen Fragen
beschäftigt, die eine Auseinandersetzung mit dem Revisionismus
bedeuten – etwa die Frage des christlichen Widerstands im Dritten
Reich. Die im rechten Milieu nicht vorhandene Empathie zu Opfern
dieses Systems ist eine wesentliche Frage der Aufarbeitung für
mich. Ich denke, dass diese Dinge sich entwickeln müssen. Dieser
Prozess hat bei mir eingesetzt.
Sie waren 30 Jahre politisch aktiv. War es
das?
Ja, das war es. Ich werde mich nicht mehr in einer Partei
engagieren. Nie mehr. Ich will mich nie wieder einer Gruppe oder
Ideologie unterordnen.
Wo würden Sie sich heute politisch
verordnen?
Libertär, undogmatisch – ich bin gegen eine Einordnung der Menschen
in Kategorien wie Rasse, Klasse oder Nation. Für mich steht das
Individuum im Zentrum. Ich weiß, was Ideologien anrichten, die das
Individuum bekämpfen wollen. Und ich weiß es besser als die
meisten.
Das Gespräch führte Stefan Laurin
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Moin ihr lieben,
ich bin Olli aus Hamburg und war vor 15 Jahren in der rechten Szene. Damals war ich Mitglied der Pennalen Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg. Als geistiger Brandstifter tat ich alles der Demokratie zu schaden. Berechtigterweise fragt ihr euch nun: "Ok, dass ist 15 Jahre her und jetzt?" Mein Weg ist ein gänzlich untypischer, ich war nie kriminell, War kein Roger, kein Drogendealer und bin Weser glatzköpfig, noch stark muskulös oder tattoowiert. Ich repräsentierte das, was man heute als "neue Rechte" "Reichsbürger" oder "Identitäre" versteht.
Doch mit der Zeit begann ich rationaler zu werden und ich verdanke es einigen Umständen, dass ich lernte mich selbst zu reflektieren. Und aus diesem Grunde brauchte es so viele Jahre um von einem Ultraantisemitischen Brandstifter zum rationalen Demokraten zu werden. Mittlerweile arbeite ich mit Kurswechsel Hamburg zusammen, welche die Echtheit meiner Geschichte bestätigen können.
Warum schreibe ich euch? Weil ich meinen