USA - Neue Rechte und alter Antisemitismus

In den USA steigt die Zahl antisemitischer Vorfälle. Das Problem ist nicht nur der rechte Rand der Republikaner, sondern auch der Judenhass unter Afroamerikanern. Neu ist, dass auch Prominente wie Kanye West heute Dinge äußern, die vor kurzem noch tabu waren.

Mag Nazis noch mehr als Juden: Rapper Kanye West, hier mit seiner Ex-Frau Kim Kardashian / dpa
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Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Vor dem Plaza Hotel in New York, direkt am Central Park, steht Gilad Erdan, Israels oberster Diplomat für die Vereinten Nationen, gleich neben dem New Yorker Bürgermeister Eric Adams. Am Sonntagabend hat Hanukkah angefangen, das jüdische Lichterfest, und vor dem Plaza wird die erste Kerze der größten Menora der Welt angezündet. „Heute, in einer Zeit, da der Antisemitismus ansteigt, kämpfen wir wieder gegen die Dunkelheit und für unsere Religion und Kultur“, sagt Erdan.

Der Botschafter hat durchaus Grund zur Sorge: Die Zahl der antisemitischen Angriffe in Amerika hat ein Allzeit-Hoch erreicht. Die Anti-Defamation League weiß von 2717 antisemitischen Vorfällen im Jahr 2021 – 34 Prozent mehr als im Vorjahr und weit mehr als jemals zuvor. Die Zahl der Attacken im Jahr 2015, die der ADL gemeldet wurden, lag bei „nur“ 942. Das schließt Beschimpfungen und Hasspropaganda auf Social Media ein, aber auch Vandalismus, Hakenkreuzschmierereien und physische Angriffe auf Juden.

In New York City stieg der Polizei zufolge die Zahl der antisemitischen Angriffe sogar um 125 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wobei allerdings die Kriminalität in der Stadt generell angezogen hat. Erst im Dezember wurde ein Mann verhaftet, der mit einem Gewehr auf einen jüdischen Vater und dessen Sohn gefeuert hat; beide standen vor einem koscheren Supermarkt in Staten Island. Und im November wurde ein Mann aus New Jersey, Omar Alkattoul, zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte Gewaltdrohungen an Synagogen in New Jersey verschickt. 2019 hatten zwei Attentäter drei Juden in einem koscheren Lebensmittelgeschäft in Jersey City erschossen, seitdem sind die Polizei und die Justiz dort aufmerksamer als sonst.

Noch bemerkenswerter: Es gab öffentliche Äußerungen von Prominenten, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Der bekannteste davon ist der Rapper Kanye West, der sich inzwischen Ye nennt. West trat bei dem rechten Krawall-YouTuber Alex Jones und dessen Programm Infowars auf und lobte Hitler und die Nazis. „Ich mag Hitler“, sagte er. „Ich liebe die Juden, aber ich liebe auch die Nazis.“ Erst Tage zuvor war West von Ex-Präsident Donald Trump in dessen Villa Mar-a-Lago in Florida eingeladen worden. Er hatte Nick Fuentes mitgebracht, einen bekannten Rechtsradikalen und Holocaustleugner, von dem sich Trump danach eilends distanzierte. Und Kyrie Irving, ein New Yorker Basketballplayer, hatte kurz zuvor einen Link zu dem antisemitischen Film „Hebrew to Negroes: Wake Up Black America“ gepostet, der, ausgerechnet, auf Amazon Prime läuft.

West wurde sogar auf dem neuen Twitter von Elon Musk gesperrt

Zwar verlor Kanye seine Werbeverträge, aber nicht seine Fans. Erst vor drei Tagen wurde ein älterer Mann im Central Park antisemitisch beschimpft und von hinten auf den Kopf geschlagen; der Angreifer rief dabei „Kanye 2024!“. (Der Rapper hatte angekündigt, 2024 als Präsident kandidieren zu wollen, ein Vorhaben, das eher nicht von Erfolg gekrönt sein dürfte.) Schließlich wurde West sogar auf dem neuen Twitter von Elon Musk gesperrt, das doch ein Hort der total freien Rede sein möchte.

Rabbi Rick Jacobs, der Präsident der Union for Reform Judaism, sagte zur Washington Post, dass Trumps Einladung den beiden eine Anerkennung beschert habe, die eigentlich unvorstellbar sein sollte. Das gelte auch für Alex Jones. Einige Republikaner distanzierten sich von Trump, aber so ganz klar ist die Abgrenzung der Grand Old Party von solchen Leuten nicht. Da gibt es die „Proud Boys“, eine Gruppe von weißen Extremisten, die bei der Stürmung des Kapitols am 6. Januar zu den Rädelsführern gehört haben. Oder auch Republikaner wie die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene, die einmal sagte, die kalifornischen Waldbrände seien womöglich von „Space Lasern“ der Rothschilds verursacht.

 

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Rechte Organisationen wie die Proud Boys glauben, es gebe eine Verschwörung von zionistischen Juden und schwarzen Führern, die Weißen in Amerika – und in Europa – durch „minderwertige“ dunkelhäutige Immigranten zu ersetzen. Ihr Motto ist „Jews will not replace us“, Juden werden uns nicht verdrängen. Latent haben das manche Rechte immer schon geglaubt; neu aber ist, wie offen das ausgesprochen wird und dass es Sympathisanten bei republikanischen Amtsträgern gibt.

Vor zwei Wochen luden die Jungen Republikaner in New York zu einer Gala ein, und was dort zu hören war, klang ziemlich finster. Bei der Veranstaltung, zu der auch Funktionäre der AfD und der österreichischen FPÖ gekommen waren, rief Gavin Wax, Präsident der Jungen Republikaner, ins Publikum, man wolle den „totalen Krieg“ gegen die liberalen Feinde. Das sei die einzige Sprache, die die Linke verstehe, die Sprache der puren, ungebremsten Macht.

In den letzten Jahren haben afroamerikanische Obdachlose auch Asiaten angegriffen

Taylor-Greene, die ebenfalls zu den geladenen Gästen gehörte, sagte, wenn sie den Aufstand vom 6. Januar organisiert hätte, wären alle bewaffnet gewesen, und der hätte Erfolg gehabt. Die Gästeauswahl war umso erstaunlicher, da die Republikaner mit Lee Zeldin einen jüdischen Kandidaten für das Amt des New Yorker Gouverneurs aufgestellt hatten, der überdies noch von Ronald Lauder unterstützt wurde, dem erzkonservativen Vorsitzenden des World Jewish Congress.

Aber das Problem ist vielschichtiger. Nicht nur der rechte Flügel der Republikaner ist ein Problem für amerikanische Juden. Ein nicht unerheblicher Teil der antisemitischen Beschimpfungen kommt von Afroamerikanern, allen voran West, aber auch Irving, vermutlich auch der Angreifer im Central Park oder auch Omar Alkattoul aus New Jersey. Liberale New Yorker sprechen dies ungern an – die eingebildete Bruderschaft zwischen Schwarzen und Juden gibt es nicht nur in der rechten Fantasie, sondern auch in der linken, nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Und das Problem sind nicht nur Attacken auf Juden. In den letzten Jahren haben afroamerikanische Obdachlose mehrere Asiaten auf der Straße oder in der U-Bahn angegriffen, meistenteils Frauen, und einige davon schwer verletzt oder gar umgebracht. Das liegt auch daran, dass die Stadtverwaltung zu Beginn der Corona-Pandemie Obdachlose in Hotels in Midtown Manhattan untergebracht hat, sich aber nicht weiter um die oft geistig verwirrten oder drogensüchtigen Männer kümmerte. Stattdessen wurden, wenn etwas passierte, Plakate aufgehängt, die bei Weißen für mehr Toleranz warben. Adams, der ebenfalls schwarz ist, hat versprochen, das zu ändern und hart durchzugreifen, aber bisher sind noch keine Erfolge zu sehen.

Ein weiterer Faktor in diesem Reizklima sind die Plattformkriege im Nachgang des Verkaufs von Twitter an Elon Musk. Das Problem ist dabei gar nicht einmal Musk selbst, von dem noch nicht klar ist, was er will. Vielmehr hat der Besitzerwechsel Bewegung in den Markt gebracht. Nun, da Twitter womöglich zerbröselt, gelten dessen Nutzer als legitime Beute neuer Plattformen. Und einige davon ziehen Interessenten mit dem Versprechen an, dass sie sich ungehemmt äußern können.

Die New Yorker Senatorin Kirsten Gillibrand hat inzwischen versprochen, mehr Bundesgelder zum Schutz jüdischer Institutionen bereitzustellen. Das ist nicht falsch, aber das ändert nichts an den Strukturen in den Köpfen und anderswo.

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