Opioid-Krise in den USA - Mehr Todesopfer als Schusswaffen und Autounfälle zusammen

Die Opioid-Krise kostet täglich Hunderte von Amerikanern das Leben. Wirksame Behandlungen könnten die Zahl der Todesfälle deutlich senken, doch medikamentöse Therapieansätze stoßen sowohl bei Ärzten als auch bei Patienten auf Widerstand.

Kein seltener Anblick in den USA: Obdachlose mit Drogenproblemen leben in Zelten wie hier in Philadelphia / picture alliance
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Autoreninfo

Lisa Davidson ist Journalistin, freie Autorin und Podcast-Host. Sie lebt in Virginia, USA. 

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Mehr als 100.000 Amerikaner sterben jährlich an einer Überdosis. Laut dem amerikanischen Center for Disease Control and Prevention sind dafür in erster Linie Opioide verantwortlich. Ein einfacher Vergleich rückt die schockierende Zahl in Perspektive, denn Opioide fordern in den Vereinigten Staaten mehr Todesfälle als Schusswaffen und Autounfälle zusammen. 

Eine Lösung für das Problem gibt es bereits. Effektive Medikamente wie Methadon und Buprenorphin könnten die Zahl der Todesfälle bei Opioid-Abhängigen deutlich verringern, doch laut New York Times erhält nur knapp ein Viertel der möglichen Kandidaten die so dringend notwendigen Behandlungen. Die Öffentlichkeit schenkt der Gesundheitskrise hingegen genauso wenig Aufmerksamkeit wie ihrer ungenutzten Lösung, was in der Zuspitzung einer bereits jahrzehntelangen Gesundheitskrise resultiert.

Opioid-Krise ist für die USA nichts Neues

Grund für das taube Ohr der Öffentlichkeit mag sein, dass ein Großteil der Öffentlichkeit gegenüber der weithin bekannten Opioid-Krise abgestumpft ist. Immerhin ist die Gesundheitskrise seit über zwei Jahrzehnten ein anhaltendes Problem der USA. Ihren Ursprung fand sie Ende der 1990er-Jahre, als Pharmaunternehmen begannen, opioidhaltige Schmerzmittel aggressiv zu bewerben und zu verschreiben. Die Folge war eine weit verbreitete Abhängigkeit, die häufig mit Überdosierungen endete.

Im Gegensatz zu vielen anderen Gesundheitskrisen betrifft diese allerdings Menschen aus allen Lebensbereichen und Einkommensgruppen. Der gemeinsame Nenner ist der Mangel am Zugang zu wirksamen Behandlungen wie Methadon und Buprenorphin, der maßgeblich zum Erhalt der Krise beiträgt. Doch woher stammt der anhaltende Widerstand des Gesundheitswesens gegen die Bereitstellung von Suchtbehandlungen?

Effektive Medikamente gegen Abhängigkeit

Methadon ist ein synthetisches Opioid, das seit Jahrzehnten zur Behandlung von Opioid-Abhängigen eingesetzt wird. Durch die Reduzierung von Entzugssymptomen und Suchtverlangen unterstützt es Betroffene beim Entzug. Methadon ist allerdings ausschließlich über spezialisierte Kliniken erhältlich, die tägliche Besuche erfordern, was für viele Patienten schlichtweg unmöglich ist. Buprenorphin wiederum ist ein neueres Medikament, das ähnlich wirkt. Im Gegensatz zu Methadon kann Buprenorphin in Praxen verschrieben werden, was die Behandlung grundsätzlich zugänglicher macht. Es gibt jedoch Beschränkungen für die Anzahl der Patienten, die Ärzte mit Buprenorphin behandeln können.

Ein gravierender Faktor ist hierbei der Kostenpunkt, denn die Behandlung mit effektiven Medikamenten kann ins Geld gehen. Von den amerikanischen Versicherungen werden die wenigsten Behandlungen übernommen. Suchtmediziner beklagen daher häufig, dass sie telefonisch stundenlang mit Krankenkassen um die Kostenübernahme für ein Medikament feilschen – ohne Erfolg. Die Patienten berichten von ähnlichen Erfahrungen.
 

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Die Regierung hat währenddessen das Problem noch verschärft. Bis 2022 mussten Ärzte eine spezielle Ausbildung absolvieren und eine Ausnahmegenehmigung einholen, um Buprenorphin verschreiben zu dürfen. Gleichzeitig wurde versäumt, Gesetze einzuführen, die die Kostenübernahme für Versicherte vorschreiben.

Frankreich bekam seine Opioid-Krise in den Griff

Ein Blick nach Frankreich zeigt, wie Regierung und Mediziner die Krise besser in den Griff bekommen könnten. Nachdem das Land vor allem in den 1980er- und 90er-Jahren mit seiner eigenen Opioid-Krise konfrontiert war, liberalisierten die französischen Behörden das Verschreiben von Buprenorphin im Jahr 1995. Innerhalb von nur vier Jahren gingen die Todesfälle durch Überdosen um 79 Prozent zurück. Der Kontrast zu den USA könnte nicht deutlicher sein. Anstatt zusätzliche Anforderungen an die Suchtbehandlung zu stellen, wurden die Vorschriften während der Krise erheblich gelockert. Und mithilfe des staatlichen Gesundheitssystems wurde sichergestellt, dass die Behandlung verfügbar und bezahlbar war.

Doch bürokratische Probleme sind nicht allein für die anhaltende Gesundheitskrise der USA verantwortlich zu machen. Stigmatisierende Ansichten und ungeschultes Personal tun ihr Übriges. Viele Mediziner lehnen die Behandlung von Suchterkrankungen aus persönlichen Gründen schlichtweg ab. Andere fühlen sich nicht entsprechend ausgebildet oder haben keinen Zugang zu Experten, an die sie Patienten überweisen können. 

Zudem widersetzen sich auch die Patienten selbst häufig einer Behandlung mit Medikamenten. Viele haben wohl das Gefühl, als würden sie eine Droge nur durch eine andere ersetzen, anstatt die geprüften Medikamente als Unterstützung bei der Überwindung der Sucht anzusehen. All das führt letztlich zu einer Gesellschaft, in der es leichter ist, an Drogen als an eine wirksame Suchtbehandlung zu gelangen.

Drogensucht ist nicht das einzige Sorgenkind

Dabei ist die Opioid-Krise nur die Spitze des Eisbergs des nicht funktionierenden amerikanischen Gesundheitssystems. Neben der Unterbehandlung von Süchtigen zeigt ein Blick auf die Statistiken, dass auch Fettleibigkeit und psychische Erkrankungen häufig nicht angemessen behandelt werden.

Laut USA Today wird erwartet, dass die Nachfrage nach Medikamenten gegen Fettleibigkeit in diesem Jahr exponentiell ansteigen wird. Mehr als 40 Prozent der übergewichtigen Amerikaner kommen laut Gesundheitsdaten für effektive Medikamente infrage, doch der Großteil hat keinen Anspruch auf eine Kostenübernahme durch ihre Versicherung. Wer die Kosten aus eigener Kasse übernehmen will, kann mit bis zu 1000 Dollar pro Monat rechnen.

Während notwendige Medikamente vorhanden sind, können Pharmaunternehmen aufgrund des derzeitigen Patentsystems, das ihnen ein Monopol auf die Herstellung und den Verkauf ihrer Produkte einräumt, die Preise je nach Nachfrage in die Höhe treiben. Die US-Regierung hat hingegen keinen direkten Einfluss auf die Preisfindung von Pharmazeutika. Und da es letztlich in den USA in erster Linie ums Geld geht, stoßen die Bestrebungen, die Regierung stärker in die Preisgestaltung von Arzneimitteln einzubeziehen, auf erheblichen Widerstand seitens der Pharmaindustrie.

Die Gesundheitserwartung der Amerikaner sinkt 

Ein weiteres Problem ist, dass es im Gegensatz zu zahlreichen anderen Nationen im amerikanischen Gesundheitssystem keine zentrale Behörde gibt, die als Strippenzieher das nicht-funktionierende System auf Vordermann bringen könnte. Erfolgreiche Therapieansätze und neue Behandlungen zu koordinieren ist daher schier unmöglich, auch wenn diese nachweislich die effektivsten Methoden sind.

Die Opioid-Krise ist somit nicht nur ein Problem für die Betroffenen, sondern ein Symbolbild für das übergreifende Problem mit dem in die Jahre gekommene US-amerikanischen Gesundheitssystem. Ironischerweise geben die Vereinigten Staaten pro Person weit mehr für die Gesundheitsversorgung aus als jedes andere Land. Eine niedrigere Lebenserwartung als viele andere Länder, wie Kanada und Japan sowie ein Großteil Westeuropas, haben sie dennoch. Und so wie es aussieht, wird sich das auch nicht so bald ändern.

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