US-Senatswahlen - J.D. Vance: Das soziale Gesicht der Republikaner?

Bei den Zwischenwahlen am 8. November wird ein Drittel des Senats und das komplette Abgeordnetenhaus gewählt. Der aussichtsreiche Kandidat für den Staat Ohio ist der Republikaner J.D. Vance. Er gilt als Trumpist, doch das Hauptanliegen des zum Katholizismus konvertierten Politikers ist eine gemeinwohlorientierte Politik.

Die Mittelklasse im Blick: J.D. Vance / dpa
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Autoreninfo

Michael Schröer studierte Wirtschaftsingenieur- wesen und Mathematik in Dortmund und Berlin. Zudem war er als Visiting Graduate an der University of Notre Dame im US-Bundesstaat Indiana tätig.

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„I won’t let people die in the streets“, betonte Donald Trump seinerzeit in einer hitzigen Auseinandersetzung über das amerikanische Gesundheitssystem mit dem texanischen Senator und Marktfundamentalisten Ted Cruz während einer TV-Debatte anlässlich der Vorwahlen der Republikaner zur Präsidentschaftswahl 2016. Mit diesem Satz und mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Freihandelsabkommen der letzten Dekaden, dem globalen Interventionismus der USA inklusive der vielen Kriege in Nahost sowie seiner Entschiedenheit, dem Immigrationschaos an der mexikanischen Grenze ein Ende zu setzen – alles verpackt in den prägnanten Slogan „America First“ –, setzte Trump sich deutlich vom Konsens des republikanischen Parteiestablishments ab. Dies brachte ihm schließlich die Parteikandidatur und danach den Einzug in das Weiße Haus ein.

Amerika befindet sich zurzeit wieder im Wahlkampf. Am 8. November finden die Zwischenwahlen statt, bei denen ein Drittel des Senats und das komplette Abgeordnetenhaus in Washington gewählt wird. Für die republikanischen Amtsanwärter war es während der sogenannten Vorwahlen opportun, sich als „America First“-Republikaner zu bezeichnen, um die Sympathien der eigenen Wähler zu gewinnen, deren überwiegender Mehrheit nichts ferner liegt als eine Rückkehr zur vorherigen Bush-Cheney-Partei.

Nur wenn es darum geht, diesen Slogan mit Inhalt zu füllen, offenbaren sich die unterschiedlichen Vorstellungen. Der vielleicht interessanteste Kandidat, der eine kohärente Vision anbietet statt lediglich reaktionären Widerstand, ist J.D. Vance, Kandidat für den Senat aus dem Staat Ohio. Seine Geschichte ist sowohl eine des sozialen Aufstiegs als auch der inneren Bekehrung. Vance stammt aus sozial prekären Verhältnissen. Das Drogenproblem seiner Mutter und deren wechselnde Ehemänner ließen ihn in der Obhut seiner Großmutter aufwachsen, einer gläubigen Protestantin. Wie für so viele seiner Mitschüler ging es für ihn nach der Highschool zum U.S. Marine Corps, mit dem er in den Irakkrieg zog – eine Erfahrung, die Vance desillusioniert über Amerikas Mission im Nahen Osten zurückließ. Anschließende Stationen an der Ohio State University und der Yale Law School beförderten ihn auf die Karriere-Schnellspur.

Liberale Orthodoxien der Republikanischen Partei

Es war an diesen äußerst säkularen Institutionen, an denen er seinen Glauben fallen ließ, nicht zuletzt der sozialen Akzeptanz in seinen neuen elitären Kreisen halber. Nun ohne sozial-konservative Werte, fühlte sich Vance kurzzeitig dem Libertarismus zugeneigt, insbesondere dem Wirtschaftsprogramm der Republikaner, welches seine Familie aus der Unterschicht äußerst wenig interessierte – George W. Bushs Steuerkürzungen für Milliardäre tangierten diese schließlich kaum. Nach lukrativen, aber unerfüllenden Jobs in Washington D.C. und San Francisco und gründlicher Kontemplation konvertierte Vance zum Katholizismus und zog in die Nähe seiner Familie nach Südwest-Ohio zurück, wo er bis heute mit seiner Frau Usha und den drei gemeinsamen Kindern wohnt. Einen ausführlichen persönlichen Bericht verfasste Vance in dem katholischen Kulturmagazin The Lamp.

Soziale Aufstiege wie dieser sind selten. Aber unabhängig von der Häufigkeit bleibt stets die – vernachlässigte – Frage: Wie steht es um das Schicksal der gewöhnlichen Leute? Um die Frage, wie es um das Gemeinwohl bestellt ist, dreht sich Vances „America First“-Verständnis, das nicht aus Egoismus herrührt, sondern eine Frage der Solidarität ist. Wie Thomas von Aquin in seiner „Summa Theologiae“ (Frage 26 der „Secunda Secundae“) formulierte, muss es notwendigerweise eine Rangordnung der Solidarität geben. Einige Establishment-Republikaner scheinen jedoch im Hinblick auf ihre Prioritäten die Bodenhaftung verloren zu haben. Es ist ein Paradox, dass Republikaner, die zuhause stets auf einen schlanken Staat pochen, allzu oft bereitwillig Milliardenpakete für fragwürdige Anliegen in fernen Ländern billigen.

 

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J.D. Vance scheut sich nicht, genauso wie Trump, diese Ungereimtheiten und andere hartnäckige liberale Orthodoxien der Republikanischen Partei anzuprangern. Unter anderem befürwortet er einen neuen nuancierten Ansatz hinsichtlich des Themas Freihandel und eine gesunde Skepsis gegenüber monopolähnlichen Konzernen, die zunehmenden Einfluss auf die Politik und das Leben der Amerikaner ausüben. In gewisser Weise sind dies Positionen einer vergangenen Republikanischen Partei: Lincoln, Theodore Roosevelt und Eisenhower wären sicherlich schockiert, wie fahrlässig man die damals fortgeschrittenste industrielle Basis der Welt, die über zwei Jahrhunderte in der Tradition von Gründervater Alexander Hamilton aufgebaut wurde, innerhalb einer Generation zwecks höherer kurzfristiger Gewinne weniger spezieller Interessenvertreter kollabieren ließ. Stolze Jobs, die einst der breiten Bevölkerung den Aufstieg in die Mittelklasse ermöglichten, wurden leichtsinnig außer Landes getrieben. Nach einem Jahrhundert schrumpfender geographischer Disparitäten und Einkommensunterschiede divergieren die Lebensläufe in Amerika ungebremst seit mehr als 40 Jahren.

Die Lebenserwartung in den USA liegt unter der Chinas

Der größte Nutznießer dieser Politik ist ironischerweise Amerikas aufstrebender Konkurrent China, wo viele der verlorengegangen Industrien sich mit aktiver Unterstützung der chinesischen Regierung ansiedelten. Exemplarisch sei hier auf den Schiffbau, eine strategische Hightech-Industrie, verwiesen: Die USA als einstiger Weltmarktführer in dieser Branche produzieren heute nur noch magere 0,05% aller Schiffe, wohingegen Chinas Anteil aktuell 45,2% beträgt. (Derweil ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Amerikaner rückläufig und liegt neuerdings niedriger als die der Chinesen.)

Der Politik-Neuling Vance zeichnet sich zudem dadurch aus, Themen nicht nur unter einem rein wirtschaftlichen Blickwinkel zu beleuchten. Oberflächlich betrachtet, haben die von dieser Entwicklung besonders betroffenen Industrieregionen ihre Fabriken verloren, aber noch mehr haben sie die menschlichen Bindungen verloren, die einst für sozialen Zusammenhalt sorgten. Die Offensive einer zunehmend arroganten urbanen Elite, der sich die Demokratische Partei verbunden fühlt, gegen soziale Normen, das religiöse Leben, Tradition und die Familie destabilisiert gerade diejenigen in prekären Verhältnissen. Jedes vierte Kind wächst zum Beispiel in einem Haushalt ohne Vater auf – ein Schicksal, das weit mehr als die Hälfte aller afroamerikanischen Kinder betrifft.

J.D. Vance beklagt offen, wie sich die Republikaner aus jedem Kulturkampf geordnet zurückgezogen haben. Dies wird allzu deutlich, wenn man sich die inzwischen erreichten Absurditäten anschaut. Vermehrt durchgeführte Geschlechtsumwandlungen an Minderjährigen etwa werden euphemistisch als „Gender-Affirming Care“ bezeichnet und von der Regierung in Washington explizit unterstützt. Wider diese grassierende Anomie gilt es nach Vance wieder Boden gutzumachen.

Rahmenbedingungen für eine florierende Zivilgesellschaft

Vance sympathisiert mit einer Reihe vornehmlich katholischer Intellektueller in den USA, darunter u.a. der Autor Sohrab Ahmari, der Rechtsprofessor Adrian Vermeule und der Politikwissenschaftler Patrick Deneen, bekannt für sein Buch „Warum der Liberalismus gescheitert ist“, die den von links und rechts propagierten Liberalismus monieren und sich für eine auf das Gemeinwohl ausgerichtete Politik stark machen. Dies war auch das Thema einer Anfang Oktober stattgefundenen Konferenz an der Franciscan University in Steubenville, Ohio, unter dem Titel „Restoring A Nation: The Common Good Tradition in America“. Vance hielt dort den Abschlussvortrag.

Es gilt als wahrscheinlich, dass Vance in den Senat einzieht. Der Staat Ohio, der zweimal für Obama gestimmt hat, befindet sich in recht sicherer republikanischer Hand, nachdem Trump die dortige Arbeiterklasse, einst das Rückgrat der demokratischen Partei, für sich gewinnen konnte. Einmal eingezogen, wird Vance versuchen, mit dem ihm nahestehenden Josh Hawley, Senator aus Missouri, und Blake Masters, der sich in einem engen Wahlkampf mit dem amtierenden Senator aus Arizona befindet, eine Koalition aufzubauen. Eine Koalition, für die „America First“ nicht nur ein weiterer Schlachtruf, sondern Ausdruck des Bestrebens ist, die Rahmenbedingungen für eine florierende Zivilgesellschaft zu schaffen.

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