EU-Kommissionspräsidentin - Ursulas Mondfahrt

Ursula von der Leyen fordert eine engere Zusammenarbeit Großbritanniens mit der EU nach dem Brexit. Als neue EU-Kommissionspräsidentin setzt sie ihren alten Politikstil fort. Das Sagen haben in Brüssel aber ohnehin andere, und die Konkurrenz schläft nicht

Mann-auf-dem-Mond-Moment oder doch nur ein "Leyen-Moment"? / Jörg Klaus
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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Diese Frau wird sich nicht lange halten. Das dachten viele, als Ursula von der Leyen im Juli 2019 mit der hauchdünnen Mehrheit von nur neun Stimmen zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt wurde. Sogar Parteifreunde von CDU und CSU hatten gegen sie gestimmt, die Überraschungskandidatin von Emmanuel Macrons Gnaden. Ein halbes Jahr später reiben sich viele in Brüssel verwundert die Augen. Die Wackelkandidatin ist immer noch da – und sitzt ziemlich fest im Sattel. Zumindest hat sie es geschafft, diesen Eindruck zu vermitteln. Plötzlich huldigt sie der „Sprache der Macht“ und sagt den Staats- und Regierungschefs, wo es langgeht.

Schon bei ihrem ersten EU-Gipfel im Dezember 2019 fuhr die skandalumwitterte Ex-Verteidigungsministerin einen Erfolg ein. Die Chefs stellten sich hinter ihren Plan, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Nur Polen scherte aus, legte jedoch kein Veto ein. Damit war der Weg frei für von der Leyens „European Green Deal“. Das sei „Europas Mann-auf-dem-Mond-Moment“, feierte die CDU-Politikerin ihren waghalsigen Plan. Wie die USA beim Apollo-Programm der sechziger Jahre werde nun auch die EU ungeahnte Kräfte freisetzen und eine Führungsrolle beim Klimaschutz einnehmen. Wer von der Leyen zuhörte, konnte meinen, ein neuer europäischer Traum sei geboren.
Dabei war es nur ein typischer „Leyen-Moment“. Schon in Berlin verstand sich die enge Vertraute der Bundeskanzlerin darauf, ihre Politik mit wohlklingenden Phrasen zu schmücken. Durch gezieltes Framing und geschickte Selbstvermarktung übertünchte sie ihren Außenseiterstatus im Berliner Politikbetrieb.

Von der Leyen braucht die drei großen M

Daran knüpft von der Leyen in Brüssel nahtlos an. Mit dem „Green Deal“ schwimmt sie auf der Welle der Fridays-for-Future-Bewegung; mit rot-grüner Rhetorik verschleiert sie ihre wacklige Mehrheit. Außerdem profitiert sie von der Schwäche vieler Regierungen. Das Klimaversprechen für das ferne Jahr 2050 kann aktuelle Probleme vergessen machen.

Dies gilt nicht zuletzt auch für die Bundesregierung. Noch kurz vor der Europawahl hatte sich Angela Merkel gegen das neue Klimaziel gestellt. Doch nun, da die Große Koalition wankt und der deutsche EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr 2020 naht, kann ihr von der Leyens traumtänzerische Vision dabei helfen, sich wieder als Klimakanzlerin zu präsentieren.

Das heißt allerdings nicht, dass von der Leyen den Ton angeben würde. Schon ihr Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker klagte, dass das letzte Wort immer der Europäische Rat habe, also das Gremium der Staats- und Regierungschefs. Die Macht liegt bei den Mitgliedstaaten, vor allem bei Deutschland und Frankreich. Ohne Berlin und Paris geht in Brüssel nichts. Der scheinbar so erfolgreiche EU-Klimagipfel im Dezember machte da keine Ausnahme: Von der Leyen konnte sich nur durchsetzen, weil sie von Macron und Merkel gestützt wurde – und von Rats­präsident Charles Michel. Der charmante Belgier war, genau wie von der Leyen, von Macron in sein Amt gehievt worden, wo er nun als diskreter Ausputzer dient.

Michel hat nicht nur das neue Klimaziel durchgeboxt, er soll auch das kommende EU-Budget aushandeln. Von der Leyen ist also von ihm (und damit von Macron und Merkel) abhängig. Nur wenn die „drei großen M“ frisches Geld für ihren „Green Deal“ bereitstellen, kann von der Leyens Mondreise gelingen. Ansonsten droht eine Bruchlandung.

Von der Leyen sitzt auf einem Schleudersitz

Doch diese bittere Wahrheit lächelt Europas Supermutti weg – genau wie den Machtkampf, der ihr im eigenen Haus droht. Mit Frans Timmermans und Margrethe Vestager sitzen zwei mächtige und selbstbewusste Vizepräsidenten in der neuen EU-Kommission. Von der Leyen konnte sie sich nicht aussuchen, auch sie wurden vom Rat „gesetzt“.

Timmermans ist für das Klima zuständig, Vestager fürs Digitale. Das sind die wichtigsten Dossiers der nächsten fünf Jahre. Zudem sind der Niederländer und die Dänin ehrgeizig genug, um auch bei der nächsten Europawahl 2024 anzutreten. Von der Leyen müsse sich auf einen Dauerwahlkampf einstellen, warnt der frühere deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Sie sitzt auf einem Schleudersitz, ihre Rivalen lauern schon auf ihre Chance. Valdis Dombrovskis, den konservativen Wirtschaftskommissar aus Lettland, kann von der Leyen allerdings zu ihren Getreuen zählen. Auch die neue Generalsekretärin der Brüsseler Behörde, die Lettin Ilze Juhansone, genießt das Vertrauen der neuen EU-Chefin.

Ansonsten kann sie sich eigentlich nur auf ihre deutschen Berater stützen. Björn Seibert und Jens Flosdorff sind von der Leyen nach Brüssel gefolgt. Doch in der EU sind sie Anfänger. Und ob sich das „System von der Leyen“ von Berlin auf Brüssel übertragen lässt, muss sich erst noch erweisen. Bisher hat es nur mondsüchtige Träume produziert.
 

Dieser Text ist in der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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