Ukrainekrieg - Russische Partisanen

Im Netz kursieren Videos und Botschaften einer angeblich paramilitärischen russischen Gruppe, die ihre Heimat vom „Putin-Faschismus” befreien will. Was hat es mit der „Legion Freiheit Russlands” auf sich?

Screenshot aus einem Video der Gruppe Legion Freiheit Russlands / Screenshot X
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Die Botschaft in dem kurzen Videoclip ist eindeutig: Ein Panzer und ein Schützenpanzer fahren zu nächtlicher Stunde über einen verschneiten Waldweg, dazu der Kommentar: „Wir gehen zu den Präsidentenwahlen in Russland.” Die 52 Sekunden lange Sequenz wurde auf dem X-Konto (vormals: Twitter) mit dem Namen Swoboda Rossii (Freiheit Russlands) veröffentlicht. Nach eigener Darstellung handelt es sich um eine aus russischen Staatsbürgern bestehende paramilitärische Gruppe, die ihren Beitrag dazu leisten möchten, ihre Heimat vom „Putin-Faschismus” zu befreien. 

Die am Montag begonnene Aktion bestand den Informationen zufolge in Angriffen auf die an die Ukraine grenzenden russischen Regionen Belgorod und Kursk. Аngeblich wurde der rund 3800 Einwohner zählende Grenzort Tjotkino besetzt, der knapp 200 Kilometer südlich von Kursk gelegen ist. Beteiligt seien Kämpfer der Legion der Freiheit Russlands, des Russischen Freiwilligenkorps sowie des Sibirischen Bataillons, die von ukrainischem Territorium aus operieren. Angeblich handeln sie auf eigene Faust; ihre Verwundeten werden indes vom Sanitätsdienst der Streitkräfte Kiews versorgt. 

In Moskau wurde am Dienstag bestätigt, dass es zu heftigen Scharmützeln im Grenzgebiet gekommen sei. Doch hätten die russischen Grenztruppen die Angreifer zurückgeschlagen, ein Durchbruch durch die Verteidigungslinien sei ihnen nicht gelungen. In der Tat waren in den beiden Regionen die Befestigungsanlagen im Grenzstreifen ausgebaut worden, nachdem im Mai 2023 Kämpfer der Legion Freiheit Russlands Polizeiposten und Büros des Geheimdienstes FSB im Bezirk Belgorod angegriffen und sich dann nahezu unbeschadet zurückgezogen hatten. 

Paris und Berlin streiten offen

Auf das große Kriegsgeschehen dürften die Aktionen der bewaffneten Gruppen, die angeblich nicht in die ukrainischen Kommandostrukturen eingebunden sind, so gut wie keinen Einfluss haben. Doch für Kremlchef Wladimir Putin dürften sie wenige Tage vor der mit Pomp angekündigten Wahlfarce eher unerfreulich sein. Denn die Existenz der wohl kaum mehr als ein paar Hundert Mann zählenden Gruppen belegt, dass der Kriegskurs des Kremls nicht von allen Russen widerstandslos hingenommen wird.

Dabei lief es in den vergangenen Wochen bestens für den Kremlchef: In den USA setzte sich bei den Vorwahlen der Republikaner Donald Trump mühelos durch, der nun nach Aussagen des ungarischen Premierministers Viktor Orbán diesem versichert hat, Washington werde nach seiner Rückkehr ins Weiße Haus „keinen Cent für die Ukraine” ausgeben. In Rom hat Papst Franziskus unverblümt die Ukrainer zum Hissen der weißen Fahne, also zur Kapitulation, aufgefordert. Paris und Berlin streiten offen über die künftige Unterstützung für die Ukraine, London und Berlin tragen ebenso offen ihren Dissens über die Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die ukrainischen Streitkräfte aus, die Koalition in Berlin ist in dieser Frage heftig zerstritten. Und der russische Geheimdienst blamiert mit einem abgehörten Gespräch unter Generälen und Stabsoffizieren der Luftwaffe über die Taurus die ganze Bundeswehr.
 

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Die Kremlpropaganda trommelte faktenwidrig, dass deutsche Generäle den Angriff auf „russisches Gebiet” planten, gemeint ist die völkerrechtswidrig errichtete 19 Kilometer lange Kertsch-Brücke, die das russische Festland mit der Halbinsel Krim verbindet. Um die Blamage für Berlin perfekt zu machen, forderte der Vorsitzende der Russischen Staatsduma, der ultranationalistische Putin-Paladin Wjatscheslaw Wolodin, an diesem Dienstag den Bundestag auf, „die Teilnahme der BRD an den Verbrechens Kiews“ genauestens zu untersuchen.  Dem Kreml nahestehende Blogger lobten Bundeskanzler Scholz dafür, dass er sich offenbar den „Kriegsplänen deutscher Generäle wie Anno 1941“ entgegenstellen wolle. 

Ziele in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine

Parallel zu den Berichten über den Vorstoß der Legion Freiheit Russlands veröffentlichten russische Medien kurze Filmberichte über den Angriff ukrainischer Drohnen auf russisches Territorium, angeblich wurden Wohnhäuser getroffen und Zivilisten getötet. Diese Berichte sieht man in Kiew durchaus im Zusammenhang mit der deutschen Debatte über die Taurus-Lenkrakete: Sie sollen belegen, dass die Ukrainer sehr wohl russisches Territorium angreifen, falls sie die Waffen dafür bekommen. Scholz lehnt ja mit dieser Argumentation die Taurus-Lieferung ab. Kiewer Kommentatoren sind überaus verwundert, warum überhaupt diese Debatte geführt wird. Denn die Forderung nicht nur Berlins, sondern auch Washingtons, dass westliche Waffen nur gegen Ziele in den russisch besetzten Gebieten der Ukraine gerichtet werden dürfen, bedeute ja, dass die meisten russischen Militärflugplätze und Raketenstellungen, von denen das Land unaufhörlich angegriffen wird, unversehrt blieben.

Ein weiterer Videoclip warf ebenfalls Fragen auf: Angeblich wurde aus dem Fenster eines Wohnhauses in einem russischen Dorf in Grenznähe ein Panzer der Eindringlinge gefilmt. Auf dem unscharfen Bildern ist eine Flagge auf dem Panzerturm zu erkennen, die dem Sternenbanner der Europäischen Union ähnelt

Der kurze Clip wurde von einem russischen Kriegsblogger namens „Zwei Majore“ auf Telegram gestellt. Es könnte sich um ein Fake handeln, das die EU als Kriegspartei diskreditieren soll, gemäß der Putinschen Formel vom „Existenzkampf der russischen Nation gegen den kollektiven Westen“. Es könnte sich aber auch um eine Anmaßung der bewaffneten Putin-Gegner handeln. Sicher ist nur, dass der Clip keine Hinweise auf Ort und Zeit der Aufnahme liefert. Auch die meisten Angaben der Legion Freiheit Russlands sind nicht zu überprüfen. Auf ihrem englischsprachigem X-Konto rühmt sie sich vielerlei militärischer Aktionen. Was Dichtung und was Wahrheit ist, können auch viele westliche Militärexperten nur schwer einschätzen.
 


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