
- Der Graben bleibt
Frankreichs junger Präsident hat mit seiner Bewegung „En Marche“ die klassischen Großparteien weitgehend zerschlagen. Widerstand wird er dennoch erfahren. Denn die politischen Gegensätze bestehen nach wie vor
Francis Fukuyama rief einst das Ende der Geschichte aus. Emmanuel Macron strebt immerhin das Ende der politischen Parteien an. Erst gerade drei Jahre in der Politik, hat er die gaullistisch-konservativen Republikaner und die Sozialisten – die das politische Leben der Fünften Republik seit 1958 bestimmten – im wahrsten Sinn auseinandergenommen. Gemäßigte Vertreter beider Seiten laufen wie von einem Magnet angezogen zu seiner Bewegung „En Marche“ über; die Verbliebenen verlieren ihre Wahl oder ziehen sich aus der Politik zurück.
Erstmals dominiert in Frankreich eine Kraft der Mitte. Das ist eine Zeitenwende für Frankreich: In dem stark polarisierten Land war das politische Zentrum bisher stets zwischen den Fronten aufgerieben worden, frei nach Margaret Thatchers Diktum, dass man in der Mitte der Fahrbahn gleich von beiden Seiten überfahren werde. Jetzt werden die Gaullisten und die Sozialisten von eben dieser Mitte verdrängt. Die Zukunft der Républicains und der Parti Socialiste ist völlig ungewiss; von der Spaltung bis zur puren Auflösung ist alles möglich.
Debakel für Konservative und Sozialisten
Die konservativen Republikaner, die noch vor wenigen Monaten fest mit einem Triumph im Wahljahr 2017 gerechnet hatten, müssen sich mit 21,6 Stimmenprozent abfinden – zehn Prozent weniger als „En Marche“. Nur noch hundert der 577 Sitze winken ihnen in der Nationalversammlung – ein Debakel, das Bände spricht über die Führungs- und Orientierungslosigkeit der ehemaligen Chirac- und Sarkozy-Partei.
Selbiges gilt für den Front National, der am Sonntag auf 13,2 Stimmenprozent zurückgefallen ist und wegen des Mehrheitswahlrechtes nur eine Handvoll Kandidaten durchbringen dürfte, darunter eventuell Marine Le Pen. Auch die Parteichefin laboriert aber weiter an ihrem verpatzten Präsidentschaftswahlkampf und ihrer ungeklärten Haltung zum EU-Ausstieg Frankreichs.
Nicht einmal 10 Prozent der Stimmen – und in einer Woche wohl der Abgeordneten – entfallen auf die Sozialisten, die nur noch ein Schatten ihrer glorreichen Mitterrand- und Jospin-Vergangenheit sind. Weder Parteichef Jean-Christophe Cambadélis noch Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon schafften es in den zweiten Wahlgang. Noch nie seit 1958 sind die Sozialisten so tief gefallen.
Kein Exportschlager
Beginnt damit die Ära der „Post-Politik“ ohne Parteien, wie sie die belgische Politologin Chantal Mouffe nach Macrons Präsidentenwahl ausgemacht hat? Wohl kaum. Erstens konstituiert sich die Internetbewegung „En Marche“ im Sommer selbst als Partei „La République en marche“ (LRM). Zweitens waren französische Parteien nie so solide wie etwa im deutschsprachigen oder anglophonen Raum, sondern als Wahlmaschinen der Präsidentschaftskandidaten konzipiert und damit entsprechend vergänglich.
Und drittens ist Macron ein sehr französisches Phänomen, das anders als etwa Tony Blairs „dritter Weg“ nicht so einfach ins übrige Europa exportierbar ist. Der 39-jährige Absolvent der Pariser Eliteverwaltungsschule ENA verbindet französischen Etatismus und Dirigismus mit liberal-technokratischem Gedankengut. „Macron wird die Nationalversammlung nicht demokratisieren, sondern technokratisieren“, sagte Kommunistenchef Pierre Laurent nach dem ersten Parlamentswahlgang.
Alles anders?
Neu ist dieser Vorgang nicht: Das überparteiliche ENA-Denken haben in Paris viele Spitzenpolitiker verinnerlicht. Macron hat es geschafft, daraus eine große Mittebewegung zu zimmern. Inhaltlich hatten allerdings schon Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und zuletzt auch François Hollande einen ähnlich sozialliberalen, proeuropäischen Kurs verfolgt.
Macron steht für einen – überfälligen – Generationenwechsel der Nationalversammlung. Politisch nimmt er aber nur eine Umschichtung der Gewichte in sein Lager vor. Sein Mittekurs ist für das polarisierte Frankreich ein Novum, nicht aber für Länder, wo heute schon Koalitionen regieren. „Macron hat alles geändert, damit sich nichts Wesentliches verändert“, so hat das der Chronist Laurent Joffrin am Montag beschrieben.
Doch auch wenn die Sozialisten und Republikaner mit sich selber beschäftigt sein werden, muss Frankreichs neuer Präsident durchaus mit einer harten Opposition rechnen: Die antieuropäischen und globalisierungsfeindlichen Populisten werden ihn von rechts wie links in die Zange nehmen. Darin besteht seit einiger Zeit schon der eigentliche Grabenbruch der französischen Politik. Und ihn wird auch Macron – der doch die politischen Gegensätze auflösen möchte – nicht so schnell beseitigen oder gar für sich entscheiden können.