Szymon Hołownia im Porträt - Markenzeichen: nette Aggressivität

Polens neuer Parlamentspräsident Szymon Hołownia hat die Rolle des Königsmachers – seine Landsleute kennen ihn vor allem als TV-Moderator und Autor christlicher Bücher.

Szymon Hołownia / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Es war eine höchst ungewöhnliche Aufforderung, die der neue Sejm-­Marschall Szymon Hołownia Anfang des Monats an die Fernsehzuschauer richtete, als er die nächste Sejm-Sitzung ankündigte: „Stellt schon das Popcorn bereit, es wird was los sein!“ In der Tat verfolgten mehrere Millionen die Debatte über die Einsetzung von drei Untersuchungsausschüssen, die Korruption und Nepotismus sowie den illegalen Einsatz der Geheimdienste gegen die Opposition während der acht vergangenen Jahre, als die nationalpopulistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) an der Macht war, ausleuchten sollen. Sie sahen, wie Hołownia einige der wütenden PiS-Abgeordneten mit ironischen, gelegentlich sarkastischen Entgegnungen aus dem Konzept brachte.

Viele Zeitungen druckten am nächsten Tag das Bild ab, wie PiS-Chef Jarosław Kaczynski wie vom Donner gerührt neben dem Podium des Sejm-Präsidiums steht. Er hatte Hołownia um Erteilung des Wortes gebeten, war von diesem aber unter Verweis auf die Geschäftsordnung kühl abgewiesen worden.

Hauptanliegen eines jeden Christen

Unter den polnischen Spitzenpolitikern ist Hołownia die schillerndste Persönlichkeit. Aus einem erzkonservativen Elternhaus stammend, wollte er ursprünglich Priester werden, doch ein Noviziat bei den Dominikanern brach er ab. Er begann ein Studium der Psychologie, das er allerdings ebenfalls abbrach, um sich seiner Medienkarriere zu widmen. Im Fernsehen moderierte er Sendungen sowohl über Popmusik wie über Religion. 

Er bekennt sich dazu, praktizierender Katholik zu sein, der gern den Rosenkranz betet, doch unerbittlich fordert er die Streichung der finanziellen Privilegien der Kirche und wirft den polnischen Bischöfen vor, sich auf einen Kampf gegen Schwule und Lesben zu kaprizieren, anstatt sich dem zu widmen, was Hauptanliegen eines jeden Christen sein solle: gesellschaftlicher Frieden und Unterstützung der Benachteiligten. Er selbst hat eine Stiftung gegründet, die Waisenhäuser in Afrika unterstützt.
 

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Eigentlich hatte der 47-jährige Parlamentsneuling bislang als politisches Leichtgewicht gegolten. Das überraschend gute Abschneiden des von ihm geschmiedeten liberalkonservativ-­grün-proeuropäischen Bündnisses Dritter Weg bei den Wahlen im Oktober wurde vor allem als Votum gegen die beiden Hauptkontrahenten der polnischen Politik der letzten beiden Jahrzehnte gesehen: Jarosław Kaczynski und der frühere Premier Donald Tusk. Doch die 14 Prozent, die der Dritte Weg bei den Wahlen erreichte, brachten Hołownia die Rolle des Königsmachers ein: Ohne seine Gruppierung kann an der Weichsel keine Regierung gebildet werden; Tusk ist als neuer Regierungschef auf seine Unterstützung angewiesen.

Streiter für Reformen in der Kirche

Bekannt wurde Hołownia im ganzen Land in einer ganz anderen Rolle: Er war mehrere Jahre einer der beiden Moderatoren der populärsten Talentshow, seine Spitzen gegen missglückte Auftritte verband er mit charmantem Lächeln und tröstenden Worten. Diese nette Aggressivität wurde sein Markenzeichen auch in seiner zweiten großen Medienrolle: Kulturjournalist sowie Autor von Büchern über das Christsein in der modernen Welt. 

Bevor er sich vor vier Jahren aus den Redaktionsstuben und den TV-Studios verabschiedete, um eine eigene politische Gruppierung mit dem Namen Polska 2050 zu gründen, hatte er sich bereits einen Namen als Streiter für Reformen in der Kirche gemacht. Unerbittlich attackierte er die Nähe vieler Geistlicher zur PiS. Er traf damit eine Grundstimmung in Polen: Mehr als drei Viertel der Katholiken werfen der Kirchenführung Hochmut und Volksferne vor. Als er nun ankündigte, er werde einem Gesetz über die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften zustimmen, wehrte er die heftigen Angriffe aus dem nationalkatholischen Milieu mit Verweis auf Papst Franziskus ab, der kürzlich die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare erlaubt hat. Zwar lehne er persönlich Abtreibung ab, doch werde er sich nicht gegen ein Referendum in dieser höchst umstrittenen Frage stellen.

Praktizierenden Katholiken, denen Tusk zu liberal ist, die aber auch die PiS wegen ihrer Finanzaffären ablehnen, bietet Hołownia eine Alternative. Punkte macht der Vater zweier Töchter im konservativen Lager auch mit seiner Frau: Diese ist Kampfpilotin in der Luftwaffe und außerdem über mehrere Ecken mit dem US-Botschafter Mark Brzezinski verwandt. Dessen Vater Zbigniew war einst Sicherheitsberater im Weißen Haus in Washington und in Polen überaus beliebt, da er für einen harten Kurs gegen Moskau plädiert hatte. Hołownia hat Größeres vor: Er möchte bei den Präsidentenwahlen in zwei Jahren siegen. Die ersten Schritte zu diesem Ziel ist er nun ohne zu straucheln gegangen.

 

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