„Super Tuesday“ in den USA - Neuauflage eines Duells

Nach dem „Super Tuesday“ in den USA sieht es nun endgültig nach einem erneuten Präsidentschaftsrennen zwischen Biden und Trump aus. Nur ein nie dagewesenes Szenario könnte daran noch etwas ändern.

US-Fahnen vor dem Kapitol / dpa
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Ronald D. Gerste ist Historiker, Publizist und Augenarzt. Er lebt in der Nähe von Washington, D.C.

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Der langweiligste – weil von einem leicht vorhersagbaren Ausgang geprägte – „Super Tuesday“ der jüngeren amerikanischen Vorwahlgeschichte hat eine Vision der Realität einen wichtigen Schritt näher gebracht, welcher nach Umfragen die Mehrheit der US-Wähler mit Schrecken oder zumindest Missempfindungen entgegen blickt: dem „Rematch“ zwischen einem abseits der jeweiligen Hardcore-Stammwählerschaft wenig beliebten alten Ex-Präsidenten und einem wenig beliebten alten amtierenden Präsidenten. 

Verhindern kann eine erneute Präsidentschaft von Biden oder Trump nur ein nie dagewesenes Szenario wie zum Beispiel: eine Art Palastrevolution beim Wahlparteitag, ein medizinisches Ereignis oder eine erfolgreiche Bewerbung eines Third-party-Kandidaten.
Stand heute gehen der 45. und der 46. Präsident der USA nach dem als „Super Tuesday“ bezeichneten großen Vorwahltag der Nominierung durch ihre Parteien auf den Wahlparteitagen im Sommer aber mit einer schon jetzt beeindruckenden Delegiertenzahl entgegen. 

Nur ein symbolischer Erfolg

Gewählt wurde am Dienstag (Ortszeit) in 16 Bundesstaaten und einem Territorium (Amerikanisch-Samoa). Der amtierende Präsident Joe Biden, der innerhalb der Demokratischen Partei keine ernsthaften Rivalen hat, gewann nach vorliegenden Ergebnissen überall mit Ausnahme dieses Überseebesitzes, in dem der Unternehmer Jason Palmer sich die sechs Delegierten von American Samoa sicherte – bei den Präsidentschaftswahlen im November sind die Einwohner der Inselgruppe nicht wahlberechtigt. 

Bei den Republikanern gewann Ex-Präsident Donald Trump die primaries (Vorwahlen) und caucuses (Wahlversammlungen) in fast alle Bundesstaaten. Die Ausnahme bildet (bislang) der Neuenglandstaat Vermont. Dies ist ein schöner, wenngleich überwiegend symbolischer Erfolg für die dort mit rund der Hälfte der Stimmen siegreiche Nikki Haley. Sie ist damit die erste Frau in der Geschichte der Republikanischen Partei, die zwei Vorwahlen gewonnen hat, denn Haley siegte vor wenigen Tagen auch in der Hauptstadt Washington DC. 

Die Gesamtsituation im Wettbewerb der Republikaner ändert sich damit wenig. In der Hauptstadt spielt die Partei praktisch keine Rolle (Biden siegte hier 2020 mit mehr als 90 Prozent der Wählerstimmen). Und Vermont ist ein politisch eher links stehender Staat, der unter anderem durch den sich selbst als Sozialisten bezeichnenden mehrfachen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders im Senat in Washington vertreten ist. Auch handelte es sich in Vermont um eine sogenannte offene Vorwahl, an der Wählerinnen und Wähler sich durch Eintragung ins Wahlregister beteiligen können, die sich nicht als Sympathisanten der Republikanischen Partei sehen. 

Bei der bislang in dieser Vorwahlsaison erfolgten Delegiertendistribution liegt Donald Trump klar vorn. In den frühen Morgenstunden (Ostküstenzeit) des Mittwochs hatte sich nach Hochrechnungen Donald Trump bereits 936 der für eine Nominierung notwendigen 1.215 Delegierten gesichert, Nikki Haley kommt demnach auf derzeit 85 Delegierte. Über ihre weitere Zukunft – Klartext: ob sie weiter im Rennen bleiben wird – wollte sich Haley zeitnah zu diesem Großwahltag äußern. 

Vor genau 100 Jahren

Langfristig hat der „Super Tuesday“ wenig geändert. Das Unbehagen über einen Präsidentschaftskandidaten, dem auch viele treue Parteianhänger (wenngleich oft hinter vorgehaltener Hand) fragliche Aussichten auf einen Wahlerfolg im November zusprechen – Biden  wegen seines Alters, Trump wegen seiner juristischen Probleme – könnte die eine oder die andere convention (oder gar beide) vielleicht spannender machen als den „Super Tuesday“. 

In länger zurückliegender Zeit, als es weit weniger Vorwahlen gab als heute, waren diese Wahlparteitage die eigentlichen Orte der Entscheidungsfindung. Debattiert wurde über die Eignung der Kandidaten kontrovers und anregend, wie es heute angesichts einer auf Showeffekte und Harmonie angelegten Parteitagsregie undenkbar geworden ist. Den Rekord halten die Demokraten: Vor genau 100 Jahren, im Sommer 1924, benötigten sie 103 Wahlgänge auf ihrem Nominierungsparteitag und hielten die Delegierten für mehr als zwei Wochen im New Yorker Madison Square Garden fest. Der dann Gewählte John W. Davis verlor vier Monate später krachend gegen den amtierenden Republikaner Calvin Coolidge.
 

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Auch wenn es lange her ist: Ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass sich das Unbehagen über den in den Vorwahlen siegreichen Bewerber auf dem Parteitag in der hektischen Suche nach einem Ausweg, einer den Wahlsieg versprechenden und vielleicht gar erfrischenden Alternative manifestiert. Es scheint, dass eine solche Panikattacke wohl am ehesten die Demokraten befallen könnte. Ein weiterer Sturz die Treppe hinauf, ein noch tapsigeres Gehen vor laufenden Kameras, ein abermaliger sprachlich-mentaler Lapsus wie mit El-Sisi, dem „Präsidenten von Mexiko“, könnte das Läuten der Alarmglocken zu einem Orkan anwachsen lassen. 

Das Gleiche gilt, sollte es einen gesundheitlichen Rückschlag bei Präsident Joe Biden geben – ein für einen 82-jährigen Mann nicht restlos auszuschließendes Ereignis. Gleichwohl: Wer eine hypothetische Alternative zu Präsident Biden sein könnte, ist völlig unklar. Auch sein präsumtiver Rivale Donald Trump ist nicht gegen das Allzumenschliche gefeit und hat mit seinem Übergewicht zumindest einen gesundheitlichen Risikofaktor. Doch vermitteln seine öffentlichen Auftritte zumindest bei ihm zugeneigten Zuschauern den Eindruck, dass mehr als nur vier Jahre zwischen den beiden Kandidaten liegen.

Auch dieser Aspekt arbeitet gegen Präsident Biden

Das hohe Alter beider lenkt den Blick auf die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung der Kandidaten in der kommenden heißen Phase des Wahlkampfes: der Benennung eines running mate, des Vizepräsidentschaftskandidaten oder der Vizepräsidentschaftskandidatin. Ein Ableben während der kommenden Amtszeit – in der US-Geschichte viermal aus natürlichen Ursachen und viermal aufgrund eines Attentats eingetreten – ist angesichts des fortgeschrittenen Alters beider Kandidaten nicht restlos unwahrscheinlich. 

Auch dieser Aspekt arbeitet gegen Präsident Biden. Während Donald Trump hier noch freie Auswahl hat und möglicherweise einen Kandidaten hervorzaubert, der seine Attraktivität auch über seine ihm restlos ergebene Basis erweitert, ist Biden mit einer Vizepräsidentin geschlagen, die selbst von Parteifreunden als maßlose Enttäuschung gewertet wird. Doch die „Biden-Harris 2024“-Sticker sind schon in Umlauf, und einen Austausch würden die Mainstream-Medien Biden nicht verzeihen. Nur wenn er eine respektable afroamerikanische Frau auf das Ticket setzen könnte, wäre er vor der im Falle eines dumping von Harris zu erwartenden Verdammnis der Talkrunden als Rassist und Frauenfeind halbwegs sicher.

Keine Begeisterungsstürme

Bei Donald Trump spekulierten einige Experten, dass Teile der Delegierten ihm die Gefolgschaft verweigern würden, wenn er ins Gefängnis käme. Diese von der aktuellen Ausgabe des Stern auf dem Titelbild zelebrierte Hoffnung des linken Spektrums scheint nach der Supreme-Court-Entscheidung vom Wochenende über sein Recht, auf einem Wahlzettel für ein nationales Amt zu stehen, kaum realistisch.

Zwei nicht zu Begeisterungsstürmen bewegende Kandidaten könnten für dritte Bewerber eine Chance darstellen. Indes ist es 56 Jahre her, dass der Bewerber einer weiteren Partei oder ein Unabhängiger überhaupt die Mehrheit in einem Bundesstaat gewann und damit über Wahlmännerstimmen im Electoral College verfügte (George Wallace siegte 1968 in fünf Staaten im Deep South). Ob Robert F. Kennedy jr. dieses Kunststück gelingt, ist nach heutigem Stand wenig wahrscheinlich. 

Gespannt darf man sein, wen eine von enttäuschten Demokraten und Republikanern gegründete Initiative mit der Bezeichnung „No Labels“ aufstellt. Deren Wunschkandidatin, so hört man, heiße Nikki Haley. Vielleicht war der „Super Tuesday“ für die Politikerin aus South Carolina eben doch noch nicht der finale Abgesang.

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