Russischer Schriftsteller Glukhovsky - „Eine weltoffene Kulturszene gibt es nur noch im russischen Untergrund“

Die russische Kulturszene hat sich weitgehend eingerichtet im System Putin. Aber es gibt auch Oppositionelle wie den Schriftsteller Dmitry Glukhovsky, die sich gegen die Machtpolitik des Kreml zur Wehr setzen. Im Interview spricht Glukhovsky, der im Exil lebt, über Putin-Kritik mit angezogener Handbremse, Stimmen russischer Künstler, die seit der Teilmobilmachung lauter werden, und Freundschaften, die am russischen Überfall auf die Ukraine zerbrochen sind.

Autor Dmitry Glukhovsky / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Clemens Traub ist Buchautor und Cicero-Volontär. Zuletzt erschien sein Buch „Future for Fridays?“ im Quadriga-Verlag.

So erreichen Sie Clemens Traub:

Anzeige

Der gebürtige Moskauer Schriftsteller Dmitry Glukhovsky ist einer der prominentesten Putin-Gegner aus der russischen Kulturszene. Seit Jahren warnt der 43-Jährige vor dem Weg seines Landes in den Totalitarismus. Am 7. Juni dieses Jahres wurde er vom russischen Staat zur Fahndung ausgeschrieben. Seine weltweit übersetzte „Metro“-Trilogie (Heyne Verlag) spielt nach einem Atomkrieg in der Moskauer U-Bahn. Am 19. Oktober erscheint sein neues Buch „Geschichten aus der Heimat“.

Herr Glukhovsky, die beliebte Sängerin Alla Pugatschowa hat vor wenigen Wochen den Ukraine-Krieg öffentlich kritisiert. Können kritische Stimmen aus der russischen Kulturszene zur Veränderung des Regimes beitragen?

Pugatschowa ist ein absoluter Star in Russland, den jeder Mensch auf der Straße erkennen würde. Sie war bereits zu Zeiten der Sowjetunion ein Vorbild vieler Russen. Mit Sicherheit konnte ihre Kritik daher den Kreml für einen kurzen Moment nervös machen. Doch wir dürfen uns keine naiven Illusionen machen: Die Propaganda des Systems Putin durchdringt mittlerweile alle Bereiche der russischen Gesellschaft und wird nicht durch kritische Kulturschaffende zerstört werden. Daher ist die Haltung gegenüber Putins Angriffskrieg für mich und viele andere Russen vor allem eine Frage des Gewissens. Ich möchte mir nicht später vorwerfen müssen, unterwürfig gegenüber Putins willkürlichem System gewesen zu sein.

Wie groß ist die Ablehnung in der Kulturszene gegenüber Putin und seinem Krieg in der Ukraine?

Die Mehrheit der kulturellen Intelligenz in Russland ist in einen passiven Widerstand getreten. Sie kritisieren das Regime nur mit angezogener Handbremse, da sie sich und ihre Familien vor Verfolgungen schützen möchten. Die Stimmen aus der Kulturszene gegen den verbrecherischen Krieg in der Ukraine sind allerdings seit der Mobilmachung lauter geworden. Viele Russen trauen sich auf einmal und erheben ihr Wort aus der Deckung heraus. Letztlich muss sich jeder Kulturschaffende selbst entscheiden, welchen Beitrag er gegen das System Putin leistet. Ich habe den Weg der lautstarken Kritik schon sehr früh gewählt und den Angriffskrieg in den sozialen Medien offen verurteilt. Seither bin ich im Visier der russischen Geheimdienste und lebe im Ausland an ständig wechselnden Wohnorten.

Gibt es unter Ihren Freunden aus der Kulturszene auch Unterstützer Putins?

Ja, die gibt es leider. Jeden Tag zerbrechen im heutigen Russland jahrelange Freundschaften aufgrund politischer Meinungsunterschiede. Den sehr bekannten Schriftsteller Zakhar Prilepin zählte ich beispielsweise lange Zeit zu meinen engen Freunden. Anfangs zeigte er sich als Kritiker Putins und seines Machtapparates. Mittlerweile unterstützt er voller Leidenschaft Putins imperialistische Pläne und verehrt den Kriegsverbrecher in den sozialen Medien regelrecht. Mit einem solchen Menschen kann ich einfach nicht mehr befreundet sein.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Wie hat sich die russische Kulturlandschaft verändert, seitdem Putin an der Macht ist?

Putin verfolgte in den letzten beiden Jahrzehnten das große Ziel, die gesamte kritische Kulturszene in Russland auszuschalten und durch Marionetten zu ersetzen. In den 2000er Jahren ging dieser Plan eher schleppend voran. Seit der völkerrechtswidrigen Eroberung der Krim 2014 konnte Putin seinen Propaganda-Apparat immer weiter ausbauen. Gemäßigte Beamte im Kulturministerium wurden durch aggressive Propagandisten ausgetauscht. Die Führungsfiguren der großen und bedeutenden Kultureinrichtungen in Russland bestehen heute fast allesamt aus Opportunisten oder Getreuen Putins. Eine kritische und weltoffene Kulturszene gibt es nur noch im russischen Untergrund oder im Ausland.

Warum unterwerfen sich manche Kulturschaffende Putins Regime? 

Putin hat sich die Loyalität vieler russischen Regisseure, Künstler oder Schriftsteller schlichtweg erkauft. Im heutigen Russland gibt es eine unausgesprochene Regel: Kulturschaffende erhalten üppige Gelder und Unterstützungen seitens des Staates, wenn sie ihre Kunst voll und ganz in den propagandistischen Dienst Putins stellen. Viele Opportunisten nehmen die Förderungen gerne an und sonnen sich in Putins Gunst. Insbesondere das russische Kino und Fernsehen unterwirft sich seit vielen Jahren dem neuen patriotischen Geist in der Politik.

Wie geht das Regime Putins mit Kritikern aus der Kulturszene um?

Der russische Staatsapparat ist im Umgang mit Kritikern aus der Kulturszene ähnlich skrupellos wie die Mafia. Zunächst versuchen sie einflussreiche Künstler und Schriftsteller mittels Unterstützung und Geldern doch noch zu korrumpieren. Wenn dies nicht klappt, wechseln sie die Taktik und setzen auf gnadenlose Verfolgung. Lautstarke und entschiedene Dissidenten müssen mit der Verfolgung der russischen Justiz rechnen. Auf der Grundlage fadenscheiniger und willkürlicher Anklagepunkte können Oppositionelle jahrelang weggesperrt werden. Viele kritische Kulturschaffende haben längst das Land verlassen, da sie heftige Bedrohungen erhalten haben und massiv um ihre Sicherheit fürchten.

Was sind Putins eigene kulturelle Vorlieben und wie prägen diese seine Sicht auf die Welt?

Putins kulturelle Vorlieben sind die eines einfachen Mannes, der in der grauen Eintönigkeit der Sowjetunion aufwuchs und keine akademische Bildung genoss. So verehrt er beispielsweise die Band Ljube, die Heroismus anpreist und über die banalen Gefühle des Alltages singt. Ein Massengeschmack, der für den Sowjetmenschen absolut typisch war und noch heute großen Anklang findet. Die nostalgische Bewunderung für die Sowjetunion hat sich bei Putin in den letzten Jahren jedoch zunehmend mehr mit pseudohistorischen Ansichten ultrakonservativer Philosophen vermischt. Doch was im Westen oft missverstanden wird: Putin leitet sein Weltbild nicht aus einem intellektuellen Gerüst, sondern aus gefühlsgeleiteten Klischees ab.

Was meinen Sie damit?

Putin ist ein ehemaliger Geheimdienstler und begabter Taktiker, aber sicherlich kein scharfsinniger Intellektueller. Ich bezweifle, dass er sich wirklich für Philosophie interessiert. Die anti-liberalen Philosophen wie Iwan Ilyin und Alexander Dugin sind lediglich propagandistische Puzzlesteine in Putins knallharter Machtpolitik. Putin greift auf die Stereotypen dieser Philosophen zurück, um seine Feindschaft gegen die NATO und seinen imperialistischen Angriffskrieg in der Ukraine legitimieren zu können. Die vermeintlich dekadente Kultur des westlichen Europas wird in diesen Kreisen nämlich als eine große Bedrohung für die Reinheit der slawischen Werte gesehen. 

Sie haben gesagt, Ihre „Geschichten aus der Heimat“ lehnen sich an die sowjetische Tradition des politischen Witzes an, für den man früher ins Straflager kam. Wie ist das zu verstehen? 

Das Genre des politischen Witzes war in der Sowjetunion sehr verbreitet, denn damit konnten die täglichen Absurditäten des Machtapparates auf spöttische Weise in der Gesellschaft verarbeitet werden. Doch Menschen, die sich ihren Frust mittels des politischen Witzes von der Seele schrieben, mussten mit einer Haftstrafe von bis zu 10 Jahren rechnen. Die Kurzgeschichten in meinem Buch sind sehr stark von dieser sowjetischen Tradition beeinflusst. Die Willkür in Putins Regime ist derart unfassbar, dass ihr am besten mit grotesken Geschichten begegnet werden kann. Auf diese Weise kann die Ohnmacht der einfachen Leute, die Lügen des Fernsehens und den Totalitarismus des korrupten Systems eindrücklich angeprangert werden. Denn wir sollten unser Schicksal als Sklaven des russischen Staates nicht länger akzeptieren.

Hat die zeitgenössische Kultur in Russland eine Zukunft?

Im gegenwärtigen Russland hat die zeitgenössische Kultur einen sehr schweren Stand. Putins Propaganda-Apparat verfolgt und unterdrückt sie, da sie als westlich und moralisch verkommen betrachtet wird. Doch ich bin überzeugt davon, dass die zeitgenössische Kultur nach Putins-Ära der Kunstfeindlichkeit eine Renaissance erfährt. Die russische Geschichte ist durchzogen von Perioden der Unterdrückung, die von Phasen des kulturellen und gesellschaftlichen Aufbruchs abgelöst wurden. Je mehr sich die Menschen in Russland durch die allumfassende Diktatur Putins beengt fühlen, desto stärker werden sie wieder einen Drang nach Freiheit spüren. Und glauben Sie mir, Putin ist nicht das Ende der russischen Geschichte.

Wünschen Sie sich manchmal insgeheim, in einem anderen Land als Schriftsteller aufgewachsen zu sein?

Ich bin ein sehr stolzer Russe und hänge mit meiner ganze Seele an meinem Heimatland. Es gibt in meinem Leben zurzeit keinen Morgen, der nicht mit einem Blick auf die Schlagzeilen der russischen Zeitungen beginnt. Die Melancholie und Tristesse der russischen Lebensrealität war außerdem immer meine große Inspiration, mein kreativer Antrieb. All meine Geschichten basieren auf der Tragik der russischen Geschichte. Ohne meine Identität als Russe wäre mein literarisches Werk schlicht unvorstellbar.

Das Gespräch führte Clemens Traub. 
 

Anzeige