Recep Tayyip Erdogan - Herrscher der Osmanen

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan legte zunächst ein Veto gegen den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens ein, gleichzeitig eskalierte er den Streit mit Griechenland. Das Problem des Mannes, der besonders angetan ist von Sultan Abdülhamid II., dem letzten großen Herrscher des osmanischen Reiches: Im nächsten Jahr stehen in der Türkei Wahlen an – und seine Umfragewerte sind tief im Keller.

Erdogan trifft den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, um sein Verhältnis mit Saudi-Arabien aufzupolien / dpa
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Günter Seufert ist freier Journalist, Soziologe und hat mehrere Bücher zur Türkei veröffentlicht. Außerdem ist er bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin tätig.

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Ganz wie ein Sultan regiere Recep Tayyip Erdogan. So heißt es bei der Opposition im Land und oft auch in Europa. Und tatsächlich: Wenn es um seine Begeisterung für die Größe, die Macht und den muslimischen Charakter des Osmanischen Reiches geht, macht Erdogan aus seinem Herzen keine Mördergrube.

Besonders angetan hat es ihm Sultan Abdülhamid II., der letzte große Herrscher der Osmanen, der zwischen 1876 und 1909 auf dem Thron saß. 2019 strahlte der türkische Regierungssender TRT die Fernsehserie „Der letzte Imperator“ („Payıtaht Abdülhamid“) aus. Die Serie verherrlicht den Sultan; ihm werden extrem negativ gezeichnete europäische Diplomaten sowie osmanische Juden und Armenier gegenübergestellt. Erdogan war begeistert von der Serie. Sie zeige, wie der Westen der Türkei schade, damals wie heute.

Dass der türkische Präsident Abdülhamid II. ganz besonders schätzt, kommt nicht von ungefähr: Wie Erdogan galt auch der Sultan bei seinem Amtsantritt als reformorientierter Hoffnungsträger, doch wurde er bald zu einem Autokraten. Abdülhamid schloss nach nur zwei Jahren das damals erst neu eingeführte Parlament. Er setzte die Verfassung außer Kraft und machte sich erneut zum alleinigen Herrscher. Erdogan seinerseits drückte 2017 per Änderung der Verfassung den Übergang zu einem Präsidialsystem „türkischer Art“ durch, beschnitt damit den Einfluss des Parlaments und regiert seither ganz ohne Checks and Balances.

Erdogans Panislamismus

Der Sultan war berüchtigt für die strikte Zensur der Presse. Aber auch dafür, dass er seine Bürokratie mit einem Netz von Spitzeln überzog. Der türkische Präsident hat durch Fördergelder, politischen Druck und Strafverfahren die großen Medienhäuser der Türkei in seinem Sinne ausgerichtet. Kritische Journalisten müssen mit politischen Prozessen und unverhältnismäßig hohen Strafen rechnen.

Abdülhamid II. gilt außerdem als der erste osmanische Herrscher, der Idee und Bewegung des Panislamismus für die Stabilisierung seiner Herrschaft nutzte. Er sandte seine Missionare auf den Balkan, nach Asien, Afrika und in die Länder des Mittleren Ostens. Erdogan unterstützte während des sogenannten Arabischen Frühlings in Syrien, Ägypten und Tunesien muslimische Bewegungen. Wenn in diesen Ländern erst gläubige Führer an der Regierung sind, so Erdogans damaliges Kalkül, wird die Türkei zum Machtzentrum ihrer Region. 

 

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Aber weder für den osmanischen Sultan damals noch für den türkischen Staatspräsidenten heute ist diese Rechnung aufgegangen. Im Gegenteil: Ihr Einsatz für islamistische Gruppen in Ägypten, Syrien, aber auch für die Hamas in Israel hatte die Türkei in ihrer Region so gründlich isoliert, dass Erdogan voriges Jahr eine radikale Kehrtwende vollziehen musste.

Um mit Kairo und den Vereinigten Arabischen Emiraten wieder ins Gespräch zu kommen, brachte er die nach Istanbul geflohene Opposition der Muslimbrüder zum Schweigen. Und um die Wogen mit Saudi-Arabien zu glätten, umarmte er den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Den hatte er zuvor öffentlich beschuldigt, die Ermordung des oppositionellen Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat von Istanbul befohlen zu haben.

Mit Hin und Her zum Wahlerfolg?

Und noch etwas vereint Sultan Abdülhamid II. und Präsident Erdogan: ihre Fähigkeit, die Großmächte gegeneinander auszuspielen. Der Herrscher der Osmanen manövrierte seinerzeit erfolgreich zwischen England, Frankreich, Russland und Deutschland. Erdogan hat in den vergangenen Jahren eine clevere Schaukelpolitik zwischen Europa und den USA auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite betrieben. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine hat er weder mit Moskau noch mit Kiew gebrochen und sich als möglicher Vermittler in Stellung gebracht. 

Er weiß, wie wichtig Europa und den USA der Beitritt Schwedens und Finnlands zur Nato ist und nutzte zunächst sein Veto, um von Washington Zugeständnisse zu erreichen. So sollten ihm die USA modernisierte F-16-Kampfflugzeuge liefern und ihm freie Hand für einen weiteren Feldzug im Norden Syriens lassen. Dort sollen die Reste kurdischer Selbstverwaltung beseitigt und Platz für syrische Flüchtlinge in der Türkei geschaffen werden. Nach dem Motto „Je radikaler ich auftrete, desto mehr erscheint bereits die Rückkehr zur Normalität als Kompromiss“ eskaliert der türkische Präsident immer wieder auch den Streit mit Griechenland.

Wähler bei der Stange halten

Einen Tag vor dem Nato-Gipfel in Madrid Ende Juni war Erdogans Veto gegen den Nato-Beitritt Schwedens und Finnland dann aber passé, nachdem man sich auf ein gemeinsames Memorandum geeinigt hatte. Darin sicherten sich die drei Länder ihre volle Unterstützung gegen die Bedrohung der Sicherheit des jeweils anderen Landes zu, hieß es etwa in einer Mitteilung des finnischen Präsidenten.

Ob ein Veto innerhalb der Nato oder das Säbelrasseln gegen Griechenland: Beides dient dazu, die eigenen Wähler bei Stange zu halten. Spätestens im nächsten Jahr stehen Wahlen an, und angesichts einer galoppierenden Inflation sind Erdogans Umfragewerte tief im Keller. Und anders als Sultan Abdülhamid II. ist Erdogan noch immer auf die Zustimmung seiner Wähler angewiesen.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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