Proteste in Georgien - Die Lage ist längst nicht stabilisiert

Nach Protesten hat Georgiens Regierung angekündigt, das geplante Gesetz über ausländische Agenten zurückzuziehen. Das bedeutet aber nicht, dass sich das Land nun an EU-Vorgaben orientieren will, um zu Beitrittsverhandlungen eingeladen zu werden.

Demonstrationen gegen ein geplantes Agenten-Gesetz der georgischen Regierung / picture alliance
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Nach tagelangen Massenprotesten im Herzen der Hauptstadt Tbilissi hat die Regierung am Donnerstag nachgegeben: Ein Sprecher der Regierungspartei mit dem kuriosen Namen „Georgischer Traum“ teilte mit, dass man sich bedingungslos von dem ursprünglich geplanten „Gesetz über ausländische Agenten“ verabschiede. Laut dem neuen Gesetz, das das Parlament am Dienstag in erster Lesung angenommen hatte, sollten alle Nichtregierungsorganisationen, die mehr als ein Fünftel ihrer Finanzmittel aus dem Ausland bekommen, verpflichtet werden, sich selbst das Agentenetikett zu geben. Ein ähnliches Gesetz gilt in Russland seit elf Jahren, es bildete für das Regime Putins die formale Grundlage für die massive Repression der Opposition.

Die georgischen Demonstranten haben keineswegs nur die Innenpolitik im Blick, sondern auch die außenpolitischen Perspektiven des kleinen Landes im Transkaukasus: Viele von ihnen schwenken das Sternenbanner der Europäischen Union, sie befürchten einen Rückfall ihres Landes in den Orbit Russlands. Seit vielen Jahren erbringen Meinungsumfragen stabil dasselbe Ergebnis: 75 bis 80 Prozent der Georgier träumen von einer Mitgliedschaft in der EU. So steht es auch in der Verfassung, die überdies auch den Beitritt zur Nato als Staatsziel festschreibt.

Der EU-Außenbeauftragte Josel Borrell warnte wiederholt den Georgischen Traum, der seit elf Jahren an der Regierung ist: „Das Gesetz über ausländische Agenten ist in keiner Weise mit unseren demokratischen Grundideen vereinbar.“ Nicht minder scharfe Kritik kam aus Brüssel wegen des brutalen Vorgehens der georgischen Polizei gegen die Demonstranten: Tränengas, Blendgranaten und massiver Einsatz von Gummiknüppeln. Es gab Dutzende Verletzte und auch Dutzende Festnahmen. Die staatsnahen russischen Medien dagegen lobten die georgische Regierung, die gegen aus dem Ausland aufgehetzte Randalierer Recht und Ordnung durchsetzen müsse.

Eine demütigende Niederlage für Tbilissi

Für Tbilissi ist es ein Déjà-Vu: Vor genau zwei Jahrzehnten zwang die sogenannte „Rosenrevolution“ den Staatspräsidenten Eduard Schewardnadse, der zuvor sowjetischer Außenminister gewesen war, zum Rücktritt; sein Regime stand für Menschenrechtsverletzungen, war korrupt und hatte kein Konzept gegen die tiefe Wirtschaftskrise. Immerhin verlief der Machtwechsel unblutig, Schewardnadse gab sogar seinem Nachfolger, dem prowestlichen Oppositionsführer Micheil Saakaschwili, seinen Segen. Dieser leitete umfassende Reformen ein, die auch anschlugen: Das Land modernisierte sich, die Wirtschaft wuchs, allerdings profitierte davon nur ein kleiner Teil der Gesellschaft.
 

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Auch regierte Saakaschwili zunehmend autoritär und namentlich in der Außenpolitik zeigte er sich als Großsprecher. Wegen seiner großspurigen Art eckte er bei Politikern aus den EU-Staaten an und konterkarierte das selbst gesteckte Ziel, sein Land in die westlichen Bündnisse zu führen. Diese Lage nutzte Putin aus.

Aus der russisch besetzten Region Südossetien wurden immer häufiger georgische Dörfer beschossen. Saakaschwili ließ sich provozieren: Er ließ seine Truppen in Südossetien, das völkerrechtlich ja zu seinem Staatsgebiet gehörte, einmarschieren, doch genau darauf warteten bestens präparierte russische Verbände. Sie rückten in das georgische Kernland vor und hinterließen dabei eine Spur der Verwüstung.

Der Krieg im Kaukasus endete nach wenigen Tagen im August 2008 mit einer demütigenden Niederlage für Tbilissi. Der Westen, sowohl die EU, als auch der neue US-Präsident Barack Obama, gingen allerdings danach zur politischen Tagesordnung über, ein fataler Fehler, denn Putin wurde so vermittelt, dass russische Invasionen bei den Nachbarn straffrei bleiben.

Populisten ohne klares Programm

Saakaschwili blieb zwar im Amt, doch wurde er 2012 abgewählt, der neugegründete Georgische Traum, eine populistische Bewegung ohne klares Programm, kam an die Macht. Gegründet wurde sie vom Milliardär Bidsina Iwanischwili, der durch Geschäfte mit Russland zu seinem Reichtum gekommen ist. Iwanischwili gilt seitdem als eigentlicher Machthaber, auch wenn er, von einem kurzen Zwischenspiel als Regierungschef abgesehen, kein politisches Amt innehat.

Die Opposition, die immer wieder administrativen Schikanen ausgesetzt ist, unterstellt ihm, an einer Westbindung Georgiens nicht interessiert zu sein. Westliche Diplomaten verhehlen nicht ihren Verdacht, dass von Iwanischwili kontrollierte Firmen massiv vom russisch-ukrainischen Krieg profitieren: Sie sind Drehscheiben für den Transport technologischer Güter nach Russland, die auf den Sanktionslisten des Westens stehen.

Vertreter der Regierung verweisen hingegen darauf, dass Tbilissi sich in einer fatalen geostrategischen Lage befinde: In zwei georgischen Regionen, neben Südosseten noch Abchasien am Schwarzen Meer, steht russisches Militär, der Spielraum der Regierung sei gering, man wolle Putin nicht provozieren. Auch habe der Westen ja bislang kein sonderliches Interesse daran gezeigt, Georgien in seine Bündnisse aufzunehmen. Verwiesen wird auf die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die 2008 einen Beschluss der Nato blockiert hatten, Georgien Beitrittsgespräche anzubieten. Wenige Monate später sah Putin die Gelegenheit, gegen das aus seiner Sicht gänzlich schutzlos dastehende Land militärisch vorzugehen.

Putin als Bewahrer der Tradition

War der Kremlchef damals, vor anderthalb Jahrzehnten, der am meisten gehasste Mann in Georgien, so hat sich mittlerweile die Stimmung bei einem kleinen Teil der Gesellschaft gewandelt: Wie auch bei Randgruppen in anderen europäischen Ländern wird Putin als Garant für die Bewahrung traditioneller Werte angesehen. Georgische Ultrarechte warnen vor der „westlichen Dekadenz“ und führen als Beispiel die LGBT-Bewegung an. Auch die Orthodoxe Kirche Georgiens liegt auf der Linie. Nicht wenige Vertreter des Georgischen Traums haben sich ebenfalls eine antiwestliche Rhetorik zu eigen gemacht.

Die Ankündigung, das Gesetz über ausländische Agenten zurückzuziehen, bedeutet also keineswegs, dass die Regierung sich nun doch an den Vorgaben der Europäischen Union orientieren will, um zu Beitrittsverhandlungen eingeladen zu werden. Zumal dies bei weitem nicht der einzige Konfliktstoff auf der Linie Tbilissi-Brüssel ist. In den Fokus geraten ist nämlich auch Micheil Saakaschwili. Der wurde 2021 verhaftet, ihm soll der Prozess wegen Amtsmissbrauch gemacht werden. Menschenrechtler berichten, dass der Ex-Präsident im Gefängnis schwer erkrankt sei, möglicherweise sei er vergiftet worden. Für Empörung nicht nur bei den Demonstranten im Zentrum Tbilissis, sondern auch in den westlichen Hauptstädten sorgt, dass ihm der Wunsch abgeschlagen wurde, von Ärzten seines Vertrauens behandelt zu werden.

Zwischenbilanz nach mehrtägigen politischen Unruhen in Tbilissi: Längst ist die Lage nicht stabilisiert. Unklar ist auch, ob ein Teil der nach Zehntausenden zählenden Russen, die sich angesichts der Mobilisierung in Russland nach Georgien abgesetzt haben, nicht daran beteiligt war. Längst nicht alle dürften  Kriegsdienstverweigerer sein. Sicher ist nur, dass die instabile Lage in Georgien einzig und allein Putin freut.

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