Präsidentschaftswahlen in Frankreich - Stabilität in Krisenzeiten

Im April finden in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt. Staatspräsident Emmanuel Macron liegt in der Wählergunst vorn, da den Franzosen angesichts des Krieges in der Ukraine und wirtschaftlicher Verwerfungen eine bewährte Regierungsführung wichtig ist. Die Gefahr von rechts ist dennoch nicht gänzlich gebannt: Marine Le Pen scheint ihre Russlandnähe weniger zu schaden als Éric Zemmour.

Präsident Emmanuel Macron auf Wahlkampftour / dpa
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Autoreninfo

Caroline Kanter ist Politologin und leitet seit August 2020 das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Frankreich.

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Die fünfjährige Amtszeit von Staatspräsident Emmanuel Macron war eindeutig von Krisen gezeichnet: Widerstand gegen Teile seines Reformprogramms und die Covid-Pandemie zwängten Macron in die Rolle des Krisenmanagers. Er wollte als Präsident der Reformen in die französische Geschichte eingehen. Obwohl eine Reihe der Wahlversprechen im wirtschafts-, innen-, arbeits- und bildungspolitischen Bereich eingelöst werden konnte, fielen insbesondere die groß angekündigten Reformen des Rentensystems und der politischen Institutionen dem „täglichen“ Krisenmanagement zum Opfer.

Trotz dieser gemischten Bilanz hat der Staatspräsident gute Aussichten auf Wiederwahl – eine in Frankreich nicht zu unterschätzende politische Auszeichnung, die den beiden Vorgängern im Amt, Nicolas Sarkozy und François Hollande, nicht zuteilwurde. Positive Wirtschaftsdaten und eine Stabilisierung der Pandemie stimmten eine Mehrheit der Franzosen bereits Ende 2021 optimistisch und beförderten Marcon in die Pole-Position für die Präsidentschaftswahlen.

Extreme Rechte – kein Novum

Dennoch kann nicht ignoriert werden, dass circa 30 Prozent der Wähler wenige Wochen vor der Wahl äußern, einem Kandidaten, der extrem rechts auf dem politischen Spektrum einzuordnen ist, ihre Stimme geben zu wollen.

Starke Kandidaten am rechten Rand sind kein neues Phänomen in der französischen Politik. Seit den 1980er-Jahren fährt die extreme Rechte solide Wahlergebnisse ein. Der Le-Pen-Familie kommt hier eine besondere Rolle zu. Sie konnte sich mit dem ehemaligen Front National und dem heutigen Rassemblement National bereits zweimal den Einzug in die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen sichern: Jean Marie Le Pen gegen Jaques Chirac 2002 und Marine Le Pen im Jahr 2017 gegen Emmanuel Macron. Umfragen deuten darauf hin, dass sie es auch bei diesen Wahlen in die Stichwahl schaffen wird. Ihre alleinige Dominanz im extremen rechten Lager wurde allerdings im Herbst 2021 mit dem Emporkommen des parteilosen Rechtspopulisten Éric Zemmour gestört – ihm ist es gelungen, die Wählerschaft zu spalten, die sich grundsätzlich durch eine starke Heterogenität auszeichnet. Zum einen, was ihre sozio-ökonomische Struktur anbelangt: Zemmour kann vor allem bei Wählern der oberen Mittelschicht, in konservativ-katholischen Kreisen und auch in Teilen des bürgerlich-konservativen Lagers mit seinen (geschichtslastigen) Diskursen punkten. Le Pen hingegen spricht die untere Mittelschicht, die sogenannten „Abgehängten“ in der Peripherie, weit weg vom politischen Machtzentrum in Paris, an. Zum anderen unterscheiden sich die Wähler mit Blick auf ihre thematischen Prioritäten: Zemmour kann mit einem Fokus auf Identitätsfragen und Migration punkten. Le Pen hingegen setzt nicht monothematisch auf das Thema „Antiislam“, sondern spricht die für Teile der französischen Bevölkerung sehr virulenten sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen wie das Thema Kaufkraft an.

Marine Le Pen hat in den vergangenen zehn Jahren einen Wandlungsprozess in Gang gesetzt und somit zu einer „Entdämonisierung“ beigetragen. Durch die Neuausrichtung der inhaltlichen, rhetorischen und personellen Aufstellung der Partei ist es ihr gelungen, diese für breitere Bevölkerungsschichten „wählbar“ zu machen; „Enttäuschten“ aus dem bürgerlich-konservativen Lager wird die Tür geöffnet. Während ihr Vater im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2002 klar durch eine „demokratische Mauer“ ausgebremst wurde und die Wähler anderer demokratischer Parteien sich geschlossen hinter den bürgerlich-konservativen Kandidaten Jacques Chirac stellten, ist ein solcher demokratischer Schutzmechanismus für das Wahljahr 2022 nicht mehr unbedingt garantiert. Die russische Invasion der Ukraine stellte das zunehmend selbstbewusste rechtspopulistische Lager jedoch etwa eineinhalb Monate vor den Wahlen vor neue Herausforderungen.

Ukraine-Krieg: wahlentscheidend?

Die russische Invasion mischte die Karten neu und machte einen „echten“ Wahlkampf zunichte. Zum einen gelingt es ernstzunehmenden Kandidaten nicht, mit ihren Vorschlägen zu innerer, sozialer, ökonomischer und ökologischer Sicherheit die Wahlkampfagenda zu besetzen. Zum anderen konnte Macron sich in der Krise bisher als europäischer und internationaler Krisenmanager behaupten. Und er stößt damit auf Zustimmung: Die Wähler wünschen sich angesichts der Rückkehr des Krieges in Europa politische Stabilität im eigenen Land und keine Experimente mit Kandidaten der extremen Ränder. Sie stimmen dem moderierenden Kurs des französischen Präsidenten zu: 90 Prozent der Franzosen zeigen sich angesichts des Ukrainekriegs besorgt; gleichzeitig geben sechs von zehn Franzosen an, dass sie mit Macrons Politik im Rahmen der Krise zufrieden sind.

Während europa- und außenpolitische Themen in französischen Wahlprogrammen bisher eine Randnotiz darstellten, hat sich mit dem Ukrainekrieg ein Novum ergeben. Die Franzosen schauen in diesen Politikfeldern genauer hin: Knapp 40 Prozent der Wähler geben an, der Ukrainekrieg habe Einfluss auf ihre Wahlentscheidung. Macron kann hier mit seiner internationalen Telefondiplomatie punkten und bringt seine Gegenkandidaten in die Bredouille. Die moderaten Kandidaten konnten sich nur schwer absetzen und wenig profilieren. Ihnen mangelt es zunehmend an politischer Angriffsfläche. Die linken und rechten Ränder wiederum kamen aufgrund ihrer Russlandnähe in Erklärungsnot. Insbesondere der Rechtspopulist Eric Zemmour verlor an Zustimmung. Für ihre Wähler glaubwürdiger argumentierte hingegen Marine Le Pen, die weiterhin gute Aussichten auf einen Einzug in den zweiten Wahlgang hat.

Le Pen unterhält seit Jahren enge Bindungen mit Russlands Präsident Putin. Im März 2017 hat dieser Marine Le Pen während des Präsidentschaftswahlkampfs empfangen. Die Kandidatin des RN hatte sich bei dieser Gelegenheit zu den Sanktionen geäußert, die Russland im Rahmen des Ukraine-Konflikts nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 auferlegt wurden, und verurteilte diese scharf. Noch Ende Januar 2021 weigerte sich Marine Le Pen bei einem Treffen mit verbündeten rechtspopulistischen Parteien in Madrid, einen Absatz über die Ukraine in einer gemeinsamen Erklärung aufzunehmen. Der Text verwies darauf, dass „Russlands militärische Aktionen an der Ostgrenze Europa an den Rand eines Krieges gebracht haben“. Die derzeitigen Sanktionen gegen Russland versucht sie wahlpolitisch auszuschlachten: Die europäischen Maßnahmen gegen Russland wirkten sich vor allen Dingen negativ auf die Kaufkraft der Bürger im eigenen Land aus, so Le Pen. Nachdem Umfragen klar darlegten, dass die Franzosen sich mehrheitlich solidarisch mit den ukrainischen Flüchtlingen zeigen wollen, lenkte die Rechtspopulistin ein: So unterscheidet Le Pen die ukrainischen Geflüchteten von den Flüchtlingen, die in den letzten Jahren aus Afghanistan und Syrien Zuflucht in Frankreich suchten und gegen deren Aufnahme sie sich aussprach. Hier handele es sich um Europäer, so Le Pen, und sie verweist darüber hinaus darauf, dass sich vorrangig Frauen und Kinder auf die Flucht begeben haben. Aktuelle Umfragewerte scheinen ihr mit dieser „Kehrtwende“ recht zu geben.

Für den Rechtspopulisten Eric Zemmour zeichnet sich der Ukrainekrieg hingegen als klarer Stolperstein ab. Zemmour verurteilt zwar heute die russische Invasion, kehrt Russland jedoch nicht den Rücken. So forderte er erneut einen „Vertrag“, der das „Ende der Nato-Expansion festschreibt“. Er sieht die Verantwortung auch bei den westlichen Staaten und ruft für Verständnis für Russlands Position auf. In seinem 2016 erschienenen Buch „Un quinquennat pour rien“ (Eine Legislaturperiode für nichts) schreibt er, dass „die Ukraine nicht existiert“ und „die moderne Ukraine ein Land aus Ramsch und Schrott“ sei. Aussagen wie diese, gekoppelt mit seiner Position zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge, die seines Erachtens in der Nähe der ukrainischen Grenze von den osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten aufgenommen werden und dort verbleiben sollten, führen bei Teilen seiner Anhängerschaft aufgrund der aktuellen Entwicklungen des Krieges zu einer Distanzierung.

Rennen bereits entschieden?

Die sich in den vergangenen Jahren abzeichnende sinkende Wahlbeteiligung und zunehmende Wählermobilität sind Faktoren, die alle Kandidaten vor Herausforderungen stellen. Aktuell geben circa ein Drittel der Franzosen an, dass sie sich im April der Stimme enthalten werden. Neben dieser Politikverdrossenheit bestätigt sich auch zunehmend, dass langfristige Parteibindungen aus der Mode gekommen sind. Von den Befragten, die sich sicher sind, wählen zu gehen, haben 65 Prozent ihre Entscheidung bereits endgültig getroffen. 35 Prozent wiederum geben an, dass sich ihre Kandidatenwahl noch ändern könnte.

Dennoch deutet aktuell vieles darauf hin, dass Staatspräsident Macron erneut fünf Jahre die Politik Frankreichs und die Entwicklungen der EU gestalten wird. Spannend wird es im Jahr 2027, wenn er aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht erneut kandidieren kann. Spätestens dann muss sich die politische Mitte neu aufstellen. Moderate Kräfte könnten sich hinter dem ehemaligen Premierminister Edouard Philippe sammeln. Teile der französischen Rechten wiederum erhoffen sich ein geschlossenes Auftreten – das das komplette rechte Lager und die Wähler von Zemmour, Le Pen und des konservativen Teils der Partei Les Républicains umfasst – mit einem starken Kandidaten an der Spitze. Das Schicksal der zersplitterten Linken möchte man in jedem Fall vermeiden. Marine Le Pen wird dann vermutlich keine gewichtige Rolle spielen; vielleicht jedoch ihre Nichte Marion Maréchal, die bereits durch ihr politisches Comeback im Wahlkampfteam von Eric Zemmour die Fühler ausstreckt.

Sollte Staatspräsident Emmanuel Macron in eine zweite Amtszeit starten, kann aus ihm noch der Reformpräsident werden, den er gerne bereits während seines ersten Mandats  dargestellt hätte. Wird er nicht durch weitere Krisen ausgebremst, steht ihm der Weg frei, denn wahltaktische Überlegungen sind im Rahmen eines zweiten Mandats obsolet. Frankreich stehen voraussichtlich fünf reformreiche Jahre bevor, die die Spaltung der französischen Gesellschaft jedoch auch vergrößern und die Gefahr von rechts für das Wahljahr 2027 erneut auf die Agenda setzten könnten.

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