Nahostkonflikt - Das Kreuz mit der Hamas

Die Hamas lehnt die Zweistaatenlösung ab. Allein schon deshalb kann sie keine konstruktive Rolle auf dem Weg zu einer Lösung des Nahostkonflikts spielen. Wie kommen die beteiligten Akteure, inklusive der Zivilbevölkerung, aus diesem Dilemma heraus?

Palästinenser fliehen vor Kämpfen im Gazastreifen / picture alliance
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Das Paradoxon der politischen Lage im Nahostkrieg besteht darin, dass es mit der Terrororganisation Hamas keine politische Entwicklung für die Zweistaatenlösung geben kann, dass es jedoch gleichzeitig unter den gegenwärtigen Bedingungen ohne die Hamas ebenfalls keine Lösung dafür gibt. Und zwar nicht nur, weil Hamas dies mit Gewalt zu verhindern sucht, sondern auch, weil sie dafür große Zustimmung erhält. Nicht mit der Hamas und nicht ohne. Warum ist das so, und gibt es einen Ausweg aus dieser Lage?

Die Hamas lehnt die Zweistaatenlösung ab. Allein schon deshalb kann sie weder für Israel noch für die arabischen Staaten oder die Vereinten Nationen als politische Partei eine konstruktive Rolle auf dem Weg zu einer Lösung des Nahostkonflikts spielen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass sie sich vom Terrorismus abwendet, der vornehmlich ihren Wert für die Anlehnungsmacht Iran ausmacht. Sie verfolgt weiterhin das Ziel, Israel so stark zu bekämpfen und so unsicher zu machen, dass der israelische Staat verschwindet

Entweder weil er besiegt wird, was sehr unwahrscheinlich ist, oder weil die staats- und wirtschaftstragenden Schichten das Land verlassen. Wer will schon sein ganzes Leben im Schatten terroristischer Gefahr verbringen? Immer wieder griff Hamas die israelischen Städte aus Gaza heraus militärisch an. Das wird sich, solange die Terrororganisation besteht, nicht ändern.

Bessere Sachwalterin ihrer Interessen

Israel schlug ebenso zurück. Das nutzt Hamas seit Jahren, um sich als die stärkste antiisraelische Kraft gegenüber anderen palästinensischen Parteien und insbesondere gegenüber der Fatah und der Palästinensischen Autonomiebehörde zu profilieren. Mit ihren Terroranschlägen und den daraus resultierenden zivilen Opfern in Gaza strebt Hamas weiterhin das Ziel an, von den Palästinensern als stärkste Vertreterin ihrer Interessen angesehen zu werden. Während die Palästinensische Autonomiebehörde, die Teile des Westjordanlands regiert, als immer kraftloser angesehen wurde, sahen Palästinenser in der Hamas die bessere Sachwalterin ihrer Interessen.

Mit den Anschlägen vom 7. Oktober hat sich dies erneut manifestiert, und die große internationale Unterstützung, die von Terror und Krieg ausgelöst wurden, zeigt den Palästinensern, dass Hamas ihre Interessen besser vertritt als Präsident Abbas. Denn jahrelang hat sich international niemand für die Sache der Palästinenser interessiert. Mit dem Terroranschlag wurde dies anders. 

Die Demonstrationen für Hamas wurden zwar als pro-palästinensische Demonstrationen etikettiert, ausgelöst hat sie aber die Hamas, die nun die Solidarität einsammelt. Die Bilder des Grauens aus Gaza trugen ebenfalls dazu bei, Sympathie für die Palästinenser zu wecken, womit die zivilen Opfer genau den Zweck erfüllten, den die Terrororganisation für sie vorgesehen hatte.

Innerpalästinensische Gegenspieler der Hamas

Wenn auch nur indirekt über die Regierung von Katar wurde Hamas in Verlauf des Krieges auch zur Verhandlungspartei, um Absprachen über die Lage in Gaza zu treffen, wobei die USA, Ägypten und Israel – neben anderen – beteiligt waren. Präsident Abbas, der innerpalästinensische Gegenspieler der Hamas, konnte trotz der zahlreichen Besuche und Einladungen nicht von dem Krieg profitieren. Auf dem Papier der Zweistaatenlösung soll er zwar eine wichtige Rolle spielen. Doch gelingt es ihm nicht, politische Autorität aus der bestehenden Lage zu schlagen.

Die Zustimmung zur Hamas unter den Palästinensern andererseits ist groß. So gaben Mitte November 95% der Palästinenser in Gaza und dem Westjordanland an, dass sie der aktuellen Lage wegen sehr stolz sind, Palästinenser zu sein. 82% im Westjordanland und 53% in Gaza bekannten, dass sie die Terroranschläge vom 7. Oktober unterstützen. Zwei Drittel in Gaza und drei Viertel im Westjordanland gingen davon aus, dass Hamas diesen Krieg gewinnt. Während Hamas von 88% im Westjordanland und 59% in Gaza positiv beurteilt wird, lauten die Zustimmungswerte für Präsident Abbas 11% in Westjordanland und 8% in Gaza.

Hamas ist es also gelungen, große Zustimmung für sich und ihr Vorgehen unter den Palästinensern zu gewinnen. Deshalb wird eine politische Lösung kaum an der Hamas vorbeikommen. Und gleichzeitig wird es keine Lösung mit ihr geben, denn der Terroranschlag vom 7. Oktober führte nicht nur zur weit gediehenen Zerschlagung der militärischen Organisation von Hamas, sondern zu ihrer politischen Disqualifizierung. Israel kann keine politische Vereinbarung mittragen, die Hamas einbezieht, und niemand von Israels Unterstützern wird die israelische Regierung dazu drängen. 

Ausreichende politische Autorität

Hamas hat mit der Anwendung von terroristischer Gewalt großen Ausmaßes die Zustimmung der Palästinenser erreicht, wie das stets das politische Ziel von Terrororganisationen ist, und Hamas war darin ausgesprochen erfolgreich. Sie hat mit dem Terroranschlag erreicht, dass eine breite internationale Solidarisierung einsetzte und die politischen Anliegen der Palästinenser, die jahrelang wenig Beachtung fanden, mit einem Schlag an der Spitze internationaler Konflikte stehen. Sie hat sich dabei gleichzeitig als politischer Akteur konstituiert und disqualifiziert. 

Wie kommen die beteiligten Akteure aus diesem Dilemma heraus? Die abstrakte Antwort lautet, dass es einen politischen Akteur auf Seiten der Palästinenser geben muss, der sowohl über eine breite Zustimmung als auch über Legitimität verfügt, um eine Zweistaatenlösung durchzusetzen. Nur hilft diese Antwort nicht viel, wenn es konkret wird, denn die beiden Vorschläge, die bisher diskutiert wurden, erfüllen diese Bedingung letztlich nicht. Die erste Initiative lautet, dass die Palästinensische Autonomiebehörde auch Gaza regieren soll. Der zweite Vorschlag bezieht arabische Staaten mit ein, die beispielsweise für Sicherheit in Gaza sorgen könnten.
 

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Wenn die Zweistaatenlösung international hochgehalten wird, geschieht dies mit dem Zusatz, dass die Palästinensische Autonomiebehörde, also Präsident Abbas, die maßgebliche politische Kraft in diesem Staat werden muss. Nur folgt die Wirklichkeit dieser Forderung nicht. Wie oben geschildert, mangelt es Abbas an Zustimmung. 2005 wurde Abbas zum letzten Mal gewählt und sitzt seitdem im Amt. Wahlen hat er immer mal wieder angekündigt, doch fanden sie nicht statt. 

Seine demokratische Legitimität ist dünn, auch deshalb konnte Hamas an Zustimmung gewinnen. Abbas konnte in dieser Zeit die Ausweitung israelischer Siedlungen nicht aufhalten, erwies sich im Umgang mit der israelischen Regierung als schwach. Derzeit steht auch niemand bereit, um mit ausreichender politischer Autorität die Führung der Palästinenser zu übernehmen.

Große Distanz zu Gaza

Deshalb wurde überlegt, dass arabische Staaten Regierungsaufgaben in Gaza übernehmen könnten, sobald Israel seine Streitkräfte abzieht. Daran haben die potentiellen Kandidaten jedoch kein Interesse. Der Nachbarstaat Ägypten hält große Distanz zu Gaza, auch wenn die Sympathien in der ägyptischen Bevölkerung für die Palästinenser groß sind. Die Regierung jedoch will in die weitere Entwicklung nicht eingebunden sein, weil sie hierin Gefahren für die innere Sicherheit sieht. 

Katar, das die Hamas finanziell unterstützt hat und auf dessen Staatsgebiet die Hamas-Führung lebt, und andere Golfstaaten weisen eine direkte Einbeziehung ebenfalls von sich. Sie werden dabei bedenken, dass der Hauptunterstützer der Hamas Iran ist. Deshalb ist jedes Engagement in Gaza mit der Gefahr verbunden, in Gewaltauseinandersetzungen gezogen zu werden. 

Auch wenn die Chancen für diese beiden Initiativen derzeit ausgesprochen klein sind, bleiben sie die besten Optionen, aus der verfahrenen Kriegslage in eine politische Lösung durch die Stärkung der Palästinensischen Autonomiebehörde und die Einbeziehung arabischer Staaten zu kommen. Wahrscheinlicher jedoch ist, dass die derzeitige prekäre Lage weiter besteht. Darauf werden sich die europäischen Staaten einstellen müssen. 
 

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