Manifest „Philosophy for Palestine“ - Intellektuelle Bankrotterklärung

Anfang der Woche wurde das Manifest „Philosophy for Palestine“ veröffentlicht, unterzeichnet unter anderem von den Ikonen der akademischen Linken und der Gendertheorie Judith Butler und Nancy Fraser. Es ist ein Offenbarungseid eines intellektuell bankrotten Milieus.

Die Philosophie liefert den ideologischen Überbau für den Antisemitismus der (linken) Straße / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Aufgewühlte Zeiten sind Zeiten der offenen Briefe, der Manifeste und Stellungnahmen. Und wir leben in aufgewühlten Zeiten. So verwundert es nicht, dass seit geraumer Zeit immer neue Stellungnahmen und Papiere mehr oder minder prominenter Personen in den Medienzirkus eingespeist werden. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel hat der Bekenntniszwang unter den Künstlern, Dichtern und Denkern noch einmal zugenommen. Nicht alle machen eine glückliche Figur dabei, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

Den Gipfel der Peinlichkeit stellt jedoch das Manifest „Philosophy for Palestine“ einer Gruppe von Philosophen aus Nordamerika, Lateinamerika und Europa dar. Schon der Titel ist verräterisch. Schließlich heißt das Elaborat nicht „Philosophy for Humanity“, „for Peace“ oder „for Charity“ oder dergleichen. Man versucht also gar nicht erst, scheinheilig eine sinnfreie Neutralität in einem Konflikt vorzutäuschen. Sondern man ist ehrlich und offen – immerhin – für Palästina. Und das ist nur die vornehmere Formel für: gegen Israel.

Dass das keine Fehlinterpretation ist, wird schon im ersten Absatz klar. Man wolle „das andauernde und rasch eskalierende Massaker anprangern, das in Gaza von Israel mit der vollen finanziellen, materiellen und ideologischen Unterstützung unserer eigenen Regierungen verübt wird“.

Von einem Genozid zu sprechen, ist infam

Niemand bezweifelt, dass die israelische Armee den Tod von Zivilisten in Gaza in Kauf nimmt und nach Lage der Dinge in Kauf nehmen muss. Das ist tragisch genug, und man kann darüber diskutieren. Aber von einem Massaker zu sprechen oder gar von einem Genozid, also von Völkermord, wie im dritten Absatz des Pamphlets, ist infam. Und übersieht bewusst und bösartig, dass die israelische Armee hohe Risiken und Opfer in Kauf nimmt, um in diesem schwierigen Operationsgebiet Zivilisten nach Möglichkeit zu schonen.

Um zu verstehen, wer hier bereit ist, Massaker zu verüben, genügt ein Blick in allgemein zugängliche Schriftstücke: In den ethischen Grundlinien der israelischen Streitkräfte heißt es etwa: „ZAHAL und seine Soldaten sind verpflichtet, die Menschenwürde zu schützen. Jedes menschliche Wesen ist gleich wertvoll, unabhängig von seiner Herkunft, Religion, Nationalität, Gender, Status oder Position.“

 

Mehr aus der Grauzone:

 

In der Charta des Hamas findet sich hingegen Artikel 7: „Der Gesandte Gottes ... sagt: ‚Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: Muslim, o Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn‘“.

Doch das interessiert die philosophierenden Unterzeichner des Schreibens natürlich nicht. Sie sind sich sicher: „Unsere Disziplin hat jedoch in letzter Zeit bewundernswerte Fortschritte bei der Auseinandersetzung mit den historisch ausgrenzenden Praktiken der Philosophie und bei der direkten Auseinandersetzung mit drängenden und dringenden Ungerechtigkeiten gemacht.“ Worin dieser Fortschritte genau bestehen soll, was Fortschritt in der Philosophie meinen könnte und erst recht in der Ethik – all das bleibt unklar. Deutlich wird jedoch: Die Unterzeichner sehen sich als Speerspitze der intellektuellen Avantgarde.

Aus Sicht der Unterzeichner steht Israel für weiße, heteronormative Kolonialherrschaft

Wie es um die derzeitige intellektuelle Avantgarde bestellt ist, wird deutlich, wenn die Verfasser schreiben, dass „Israels Kontrolle über das Land vom Jordan bis zum Mittelmeer heute ... ein System der Apartheid“ ist. Nun ist der Vorwurf der Apartheid eine der am meisten wiederholten Dümmlichkeiten der antisemitischen Linken. Richtiger wird er dadurch nicht. Zur Erinnerung: In Israel gibt es arabische Parteien, die regelmäßig an der Regierung beteiligt sind, Araber bekleiden hohe Posten in Staatsdienst, ein Viertel aller Studenten an israelischen Universitäten ist palästinensischer Herkunft, und 2003 wurde mit Salim Joubran ein arabischer Israeli oberster Richter. Wer behauptet, Israel sei ein Apartheidregime, weiß nicht, wovon er spricht.

Dass die unterzeichnenden Philosophen dieses fragwürdigen Manifestes die gesamte Faktenlage ignorieren, liegt auch daran, dass es ihnen eigentlich nicht um Israel, den Nahostkonflikt und auch nicht um die Palästinenser geht. Das eigentliche Thema ist ein ganz anderes.

Aus Sicht der Unterzeichner – darunter die linken Ikonen Judith Butler und Nancy Fraser (nein, nicht Faeser ...) – steht Israel für weiße, heteronormative Kolonialherrschaft und die Palästinenser stellvertretend für alle Unterdrückten dieser Welt, für Transgender, Farbige und Menschen mit was für sexuellen Orientierungen auch immer. Eigentlicher Inhalt des Papers ist daher auch nicht der Nahe Osten oder die Menschen dort. Es geht um einen ideologischen und politischen Machtkampf innerhalb der westlichen Gesellschaften.

Um diesen Kulturkampf zu gewinnen, ist den Vordenkern der neuen Linken offensichtlich jedes Mittel Recht – Fake News und Geschichtsfälschung inklusive. Dass man sich dabei nicht einmal zu schade ist, eine von den Mullahs in Teheran unterstützte Bewegung zur Vorkämpferin von Transgenderrechten zu machen, gehört zu den unfreiwillig komischen Seiten dieser intellektuellen Bankrotterklärung. 

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