Macron und von der Leyen in China - Der Partner und die Gouvernante

Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen reisen nach Beijing. Schon jetzt lässt sich absehen, dass wir Zeugen eines Lehrstücks in alter und neuer Diplomatie werden. Ein europäischer Kommentar aus China. 

Trafen sich vor ihrer China-Reise zu einem Arbeitsessen: Frankreichs Präsident Macron und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen / dpa
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Ole Döring ist habilitierter Kulturphilosoph und Sinologe. Er vernetzt unterschiedliche Kompetenzen und Denkweisen zu Medizin und Gesundheit, Technologie, Soziales und Ökonomie. Döring beschäftigt sich mit kulturellen und philosophischen Fragen der Medizin und Bioethik und ist Vordenker einer globalen Gesundheits-Ethik. Zuletzt ist von ihm das Buch „Das Luther-Gen - Zur Position der Integrität in der Welt“ erschienen.

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wird bei seinem China-Besuch außer Präsident Xi Jinping, Premierminister Li Qiang und dem Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, Zhao Leji, noch eine Reihe weiterer Spitzen- und Schlüsselpersonen treffen. Sein Name steht in der chinesischen Presse für Teamwork. Von der Leyen steht für Krawall, das sagt aber niemand öffentlich. Wer mit ihr sprechen will, ist weniger wichtig. 

Im Vorfeld wurden die Besuche als Ausdruck großer Erwartungen des Auslands an China als diplomatischer Vermittler gewertet. Nach dem Durchbruch der „unmöglichen“ Verhandlungen mit Saudi Arabien und dem Iran, an deren Ende die Wiederaufnahme der Beziehungen nach sieben langen Krisenjahren stand, sowie einer Vielzahl anderer diplomatischer Erfolge ist China auf der Höhe seiner eigenen diplomatischen Ansprüche angekommen. Viele Beobachter erwarten, dass nun immerhin ein Anfang gemacht ist und Optionen für Szenarien zum nachhaltigen Ende des Krieges in der Ukraine besprochen werden.

Es darf allerdings als ausgeschlossen gelten, dass hiervon chinesischerseits etwas nach außen durchgestochen wird. Aus der Sicht Beijings geht es einfach darum, die EU zu ermutigen, „ihre diplomatische Selbstbestimmung auszuüben. Anstatt China unter Druck zu setzen und sich von den USA kapern zu lassen, sollte sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Das hätte vor nicht allzu langer Zeit auch aus der Feder eines deutschen oder europäischen Realpolitikers stammen können, der Amtseid und verfassungsmäßigem Mandat entsprechen wollte. Selbst für den Fall eines bescheideneren Ergebnisses wird immer wieder betont, dass persönliche Begegnungen und Gespräche ein Selbstzweck sind.   

Von der Leyen hatte Chinas Friedensplan brüsk zurückgewiesen

Die South China Morning Post aus Hongkong findet diesen Tenor: Diese Woche könnte den Anfang für eine Lösung der Ukraine-Krise markieren. „Es ist möglich, dass China, die Europäische Kommission und Frankreich ihr Festhalten an der Souveränität und territorialen Integrität [der Ukraine] als Ausgangspunkt für eine mögliche Lösung des Konflikts bekräftigen werden.“ So steht es in Pekings Positionspapier vom Februar. „Aber weder China noch die Europäische Kommission oder Frankreich sind in der Lage, die Positionen [anderer] zur Ukraine zu ändern.“ Die Kommissionspräsidentin hatte den Friedensplan brüsk zurückgewiesen. 

Innenpolitisch werden die Besuche aus Paris und Brüssel ausführlich kommentiert. Man erwartet, dass Frankreich seinen Einfluss international und in der EU geltend machen wird. Es bestehe „eine dauerhafte umfassende strategische Partnerschaft zwischen den beiden Ländern“. Diese solle genutzt werden, um zwischen China und der EU „einen Beitrag zum Weltfrieden, zur Stabilität und zur Entwicklung“ zu ermöglichen, so Mao Ning, Sprecherin des Außenministeriums. Die Namen Macron, der auf Einladung anreist, und von der Leyen, die „wie zwischen Brüssel und Beijing vereinbart“ einfliegt, und zwar separat, werden nuanciert präsentiert und in die Riege der vielen Häupter eingeordnet, die seit Jahresbeginn die Begegnung mit Xi suchen. Während Macron, der zum dritten Mal als Präsident „eine Reise“ nach China macht, als alter Freund Chinas behandelt wird, erfährt von der Leyen bei ihrem „ersten Besuch in ihrem Amt“ höflichen Respekt. Die Signale, beide Positionen getrennt zu behandeln, könnten kaum klarer sein.   

Das Protokoll trägt die klassische diplomatischen Handschrift. Macron ist der vernünftige Partner, von der Leyen die giftige Gouvernante. Auch das Taiwanthema wird entsprechend balanciert. Einerseits wird der selbsternannt feministische Besuchstourismus von Politikern – aus Deutschland nach Taiwan und aus Taiwan in die USA – mit gereizter Geduld dokumentiert. Andererseits werden Ikonen der Normalisierung und Versöhnung zwischen Taiwan und dem Festland zelebriert. Der erstmalige Besuch des ehemaligen Kuomintang-Chefs und politischen Schwergewichts Ma Ying-jeou, acht Jahre lang Präsident Taiwans, in der Heimatprovinz seiner Vorfahren, Hunan, wird gerade gefeiert wie die Heimkehr des verlorenen Sohnes. Zuvor hatte er unter großer medialer Anteilnahme in Nanjing des japanischen Massakers gedacht und Xi Jinping in Beijing besucht. 

Der Rest der Welt schätzt Chinas Rolle als Makler und Investor

Das Verständnis für Europas Bedürfnis nach Frieden und die Hoffnung auf eine stabilisierende Rolle Chinas ist hier sehr groß. Fraglich ist jedoch, welche diplomatischen Werkzeuge angesetzt werden können. Mit ihrer weit gestreuten, allgemein als aggressiv interpretierten Konfrontationsrede der Zurückweisung von Beijings Versuchsballon hat von der Leyen fast jeglichen Spielraum für Verhandlungen aufgegeben. Damit hat sie Vertrauen verspielt und Europa einen Bärendienst erwiesen. China bedauert ausdrücklich „die Seltenheit des Austausches zwischen China und der EU auf verschiedenen Ebenen als Faktoren, die zu einem Rückgang des politischen Vertrauens zwischen China und der EU geführt haben“.

 

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Unterdessen beschäftigt sich China intensiver mit den anderen Regionen und Staaten der Welt. Brasilien nähert sich immer weiter an, ebenso die Türkei, Spaniens Premierminister wurde jüngst mit großer Aufmerksamkeit empfangen, Staatsbesucher aus Südostasien und afrikanischen Ländern geben sich die Klinke in die Hand. Auch in belasteten Beziehungen wie der zu Japan pflegt China die bewährte Strategie, miteinander zu sprechen und nicht nur über den anderen. Regionale Bündnisse wie ASEAN lassen sich vom amerikanischen Repertoire aus Zuckerbrot und Peitsche weniger beeindrucken, und sogar Australien gibt sich bemüht um ein neues, konstruktives Arrangement. Just gestern wurde angekündigt, dass Premierminister Anthony Albanese im Herbst aus Anlass des 50. Jahrestags der ersten derartigen Reise eines Vorgängers zum Staatsbesuch nach Beijing kommen wird. 

Deutschland hält sich nach dem vielversprechenden Coup des Scholz-Besuches im November 2022 auffallend zurück. Konsequent entwickelt China seine Seidenstraßen-Diplomatie weiter, über Wasser und Land. Dabei gelingt ein Projekt nach dem nächsten, während ein moralisch selbstbesoffener Westen an der Seitenlinie mäkelt. Längst orientieren sich die Verlierer und Gedemütigten der guten alten Zeiten an Chinas transparenter und zuverlässiger Rolle als Makler und Investor. Niemand muss sich belehren lassen, dass China dabei immer zuerst seine eigenen Interessen verfolgt und nicht an moralischen, sondern politischen Maßstäben gemessen werden will. Immerhin lassen sich in einem solchen Rahmen Wirtschaften neu aufbauen, ruinierte regionale Gesellschaften entwickeln und Win-win-Szenarien verfolgen. Dieses Selbstverständnis scheint nicht abzuschrecken, stiftet vielmehr immer größeres Vertrauen, je länger man direkte Erfahrungen miteinander sammelt. Mehr jedenfalls als der verzweifelt um seine Dominanz kämpfende militärisch-industriell-technologisch-mediale Komplex, der Transatlantis beherrscht. 

Macron zeigt, was eine realistische Außenpolitik leisten kann

Einen machtpolitischen Mehrwert der EU sieht derzeit niemand, eher eine verhängnisvolle Schwächung der Wirtschaft und Kultur durch die Unterwerfung unter transatlantische Interessen, die einer Selbstaufgabe eines eigenständigen Weges gleichkomme. 

China hat sich zum Thema Krieg keinen Millimeter von seiner Anerkennung des Völkerrechts entfernt. In der Optik von Konsumenten drittverwerteter Medienmeldungen stellt sich das wohl anders dar. Hier hilft: Selbst denken und kritisch lesen.   

Was eine realistische Außenpolitik leisten kann, zeigt aktuell Macron. Er dient den Interessen Frankreichs und schafft Spielräume für politische Gestaltung. Immerhin lobt ausgerechnet die „Stimme des asiatischen Jahrhunderts“ aus Japan Macron als „Europas beste Chance, um China in der Ukrainefrage zu beeinflussen“. So gewinnt er nicht nur zu Hause eine Atempause und Prestige, zugleich kümmert er sich staatsmännisch um den Einfluss Frankreichs in Ostasien.   

Vielleicht erweist sich Brüssels engherzige Kleingeisterei sogar als Treiber eines Umdenkens. Dafür könnte dieser Frühling der Besuche Signale senden. Mitte April soll Deutschlands weiblicher Außenminister nach China reisen. Viel Zeit zu lernen bleibt bis dahin nicht. 

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