Le Pen und Mélenchon nehmen Macron in die Mangel - Die Opposition der Ränder gegen den Präsidenten der Mitte

Schlappe für Emmanuel Macron: Frankreichs Präsident verpasst bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit klar. Linkenchef Jean-Luc Mélenchon und die Rechtspopulistin Marine Le Pen wollen ihn am Durchregieren hindern. Die sich anbahnende politische Instabilität könnte sich auf die gesamte EU auswirken. Wie konnte es dazu kommen, obwohl die Wähler Macron gerade erst als Staatschef bestätigt hatten?

Es wird eng für Macron: Jean-Luc Mélenchons Nupes und Marine Le Pens Rassemblement National haben beide Interesse am Sturz des Präsidenten Macron / dpa
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Friedhofsmienen bei den Macronisten – Jubelrufe bei der Linken und Chanson-Klänge bei den Lepenisten: Die Verlierer und Sieger der französischen Parlamentswahlen waren am Sonntagabend leicht zu identifizieren. Macrons Allianz namens „Ensemble“ wurden in ersten Hochrechnungen rund 230 Sitze in der 577-köpfigen Nationalversammlung gutgeschrieben. Das wäre eindeutig zu wenig für die absolute Mehrheit, mit der die Macronisten in der ersten Amtszeit ab 2017 regiert hatten. 

Anti-Macron-Stimmung ausgenutzt

Die schärfsten Widersacher zur Rechten und zur Linken legten am Sonntag stark zu. Die „neue ökologische und soziale Volksunion“ (Nupes) des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon könnte auf etwa 150 Sitze kommen. Damit würde sie ihren Bestand mehr als verdoppeln. Mélenchon nutzte die Anti-Macron-Stimmung im Land geschickt aus, nachdem er schon das Unmögliche geschafft hatte, nämlich sogar gemäßigte Linke und Grüne hinter sich zu scharen. Die Bäume der Linken wachsen allerdings auch nicht in die Himmel. Die Nupes aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und Mélenchons „Unbeugsamen“ legt gegenüber dem ersten Wahlgang kaum zu. Mélenchon verpasst klar sein Ziel, die Regierungsmehrheit zu erringen und damit Premierminister Macrons zu werden. 
 
Das „Rassemblement National“ von Marine Le Pen erzielt dagegen ein unerwartetes Spitzenergebnis von rund 85 Sitzen – ein absoluter Rekord für eine Bewegung, die bisher nur eine Handvoll Abgeordnete hatte. Ein wichtiger Faktor waren die heftigen Preissteigerungen der letzten Zeit. Die Inflation hat offensichtlich Le Pens ärmere, oft vergessene Wählerschaft mobilisiert. Die Bannerführerin der Rechtsnationalen wurde in ihrem Wahlkreis in Nordfrankreich mit 62 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Sie hat damit bewiesen, dass sie in Not leidenden Gegenden wie Nordfrankreich durchaus 50 Prozent oder mehr Stimmen machen kann. 

Parlamentswahl korrigiert die Präsidentschaftswahl

Dieses Wahlresultat, das zum Kern die Abstrafung Macrons hat, kann auf den ersten Blick paradox scheinen: Vor nicht einmal zwei Monaten hatten die Wähler Macron noch komfortabel als Staatschef bestätigt. In Wahrheit stimmten aber damals viele gegen Le Pen – der Präsident war nur der Nutznießer. Jetzt schicken ihm die Wähler die Retourkutsche: Er soll im Elysée-Palast walten – aber unter starker Kontrolle, bedeuten sie ihm. So läuft die bisweilen chaotische Gewaltenteilung à la française: Die Parlamentswahl korrigiert die Präsidentschaftswahl.
 
Die konservativen Republikaner können mit ungefähr 75 Sitze rechnen. Das wäre ein gewaltiger Rückschlag für die lokal verankerte Bewegung, zu der einst Charles de Gaulle und Jacques Chirac gehörten. Macron wird nun alles daran setzen, sie hinter seine Reformprojekte zu bringen. Der konservative Senator Bruno Retailleau erklärte aber am Sonntag, „Les Républicains“ würden aber auf keinen Fall Steigbügelhalter des Präsidenten spielen. Auf der Linken kommen für Macron nur ganz wenige dissidente Sozialdemokraten in Frage, die sich nicht dem Linkenchef Mélenchon angeschlossen hatte, weil sie ihn für „unrepublikanisch“ halten.

 

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Linke und Rechte ziehen am selben Strick 

In Frankreich werden die drei Blöcke der Macronisten, Mélenchonisten und Lepenisten die Legislaturperiode beherrschen. Die beiden Radikalpopulisten werden den Präsidenten der Mitte dabei von zwei Seiten in die Mangel nehmen – getrennt zwar, aber faktisch am selben Strick ziehend, den sie – weiterhin bildlich gesprochen – so gerne um Macrons Hals legen würden. Ihre Abgeordneten gehören im Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung, zu den lautesten. Zudem bietet Macrons Wahlprogramm etliche Punkte, gegen die Rechts- und Linksaußen de facto gemeinsame Sache machen werden, auch wenn das die Nupes bestreitet. 
 
Vereint sind sie etwa in ihrem Kampf gegen die Sparpolitik der Regierung. Macrons Wirtschaftsminister Bruno Le Maire verspricht den EU-Partnern, dass Frankreich sein Budgetdefizit bis 2017 von derzeit 6,5 Prozent auf die obligaten drei Prozent drücken werde. Le Pen und Mélenchon wollen nicht nur diese Bestimmung, sondern den gesamten Stabilitätspakt offiziell missachten. Damit nähmen sie einen harten Konflikt mit der EU-Kommission in Kauf.

Politische Instabilität könnte auch die EU treffen

Ohne Schonfrist gestartet und schon jetzt in der Defensive, wird sich Macron hüten, die politisch entscheidende Rentenreform sofort zu lancieren. Hochbrisante Vorhaben wie die Senkung der Erbschaftssteuer oder die gemeinnützige Arbeit von Sozialbezügern müssen wohl ebenfalls zuwarten. Um nicht jetzt schon als daumendrehender Präsident im Elysée-Palast dazustehen, könnte Macron als Erstes ein populäreres Projekt in Angriff nehmen, nämlich die Abschaffung der Rundfunkgebühr. Doch auch dagegen formiert sich bereits Widerstand: Nächste Woche ruft die Mediengewerkschaft SNJ zum Streik gegen die wenig durchdachte Reform auf.
 
So dürfte Macron nun bei jedem Vorhaben der Wind ins Gesicht blasen. In der Nationalversammlung hat der Präsident weder Wortführer noch Einpeitscher. Das hat er sich zum Teil selber zuzuschreiben; seine Partei „Renaissance“ konzipierte er als abnickende Exekutorin der präsidialen Wünsche, nicht als Sprungbrett für potenzielle interne Rivalen, die dem Präsidenten vor dem Licht stehen könnten. Hinter Mélenchon, der als 70-Jähriger nicht selber für einen Parlamentssitz kandidierte, setzt sich dagegen eine neue Generation von jüngeren Frauen wie Clémentine Autain oder Danièle Obono in Szene. Auch Le Pen überlässt ihrem familiär verbundenen Interims-Parteichef Jordan Bardella einen Zipfel der Politbühne. 
 
Nur der Staatspräsident genügt sich selber. Sein bester Verbündeter ist die Verfassung: Sie schützt den Staatschef vor Misstrauensvoten und ähnlichen Angriffen. Sein politisches Programm muss er aber aus eigener Kraft durchbringen. Diesbezüglich könnten die nächsten fünf Jahre für ihn und Frankreich mager ausfallen. Die politische Instabilität, vielleicht sogar Blockade in Paris dürfte sich auch auf die EU auswirken. Frankreich, die nach der Merkel-Ära Ton angebende Nation Europas, ist zu sehr mit sich selber beschäftigt, um noch europapolitische Impulse zu geben.

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