Neue Seidenstraße - In den Fängen Pekings

Kaum ein Land wurde von Pekings Neuer Seidenstraße so stark verändert wie Laos. Heute steht das kleine asiatische Land am Rande des Staatsbankrotts – und in der Bevölkerung wächst die Wut auf China.

Bahnstrecke über Reisfeldern bei Vientiane, der Hauptstadt von Laos / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Harald Maass ist Journalist und wurde für seine Arbeit im Jahr 2019 mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet.

So erreichen Sie Harald Maass:

Anzeige

Wer in Laos mit dem Zug fährt, begibt sich auf eine Zeitreise. Über eine schlecht geteerte Straße holpert das dreirädrige Tuk-Tuk-Taxi zum Bahnhof außerhalb von Luang Prabang. Alle paar Sekunden muss der Fahrer abbremsen, um ein Schlagloch zu umfahren. Staub wirbelt durch die Luft. Wir fahren vorbei an einfachen Bambushütten auf Stelzen, an abgeernteten Reisfeldern, auf denen Bauern ohne Maschinen den Boden bearbeiten. Kinder spielen am Straßenrand. Wasserbüffel dösen in Schlammlöchern. 

Nicht viel anders mag es hier in den Dörfern und Wäldern am Mekong ausgesehen haben, als Luang Prabang einst Hauptstadt laotischer Könige war. Auch später, als das Gebiet Protektorat der französischen Kolonie Indochina wurde, galt Laos als abgelegener Außenposten. Doch dann, nach einer halben Stunde Fahrt, stehen wir plötzlich in der Neuzeit. Wie ein Raumschiff erhebt sich der riesige, neu gebaute Bahnhof über die Landschaft. Eine Kontrolleurin in akkurat gebügelter Uniform und mit weißem Mundschutz scannt den QR-Code auf unserem Handy, der das Zugticket ist. Sicherheitspersonal durchleuchtet unser Gepäck. Kurz darauf gleiten wir in einem klimatisierten Schnellzug mit 160 Stundenkilometern schnurgerade durch die grüne Landschaft. 

Konkurrenz zu den Ländern des Westens

Kaum ein Land wurde von Chinas Neuer Seidenstraße, dem 2013 von Staats- und Parteichef Xi Jinping ins Leben gerufenen globalen Entwicklungsprogramm, so verändert wie Laos. Seit dem Start der Belt and Road Initiative (BRI) vor elf Jahren, wie das Projekt offiziell heißt, hat China für Milliarden von Dollar Staudämme, Straßen und andere Bauprojekte in dem kleinen, buddhistisch geprägten Nachbarland finanziert. Laos mit seinen nur 7,7 Millionen Einwohnern sollte zum Vorzeigeprojekt für ein Entwicklungsmodell werden, das Peking als Konkurrenz zu den Ländern des Westens propagiert. 

Das sichtbarste Ergebnis ist der Laos-China-­Zug, ein tausend Kilometer langes Meisterwerk chinesischer Ingenieurskunst, für das 75 Tunnel gebohrt und 167 Brücken errichtet wurden. Der Schnellzug hat die Fahrtzeit vom Norden an der chinesischen Grenze bis in die Hauptstadt Vien­tiane im Süden von früher mehr als einem Tag auf drei Stunden verkürzt. Erstmals ist Laos, das einzige Land Südostasiens ohne Meereszugang und einer der ärmsten Staaten der Region, an den internationalen Güter- und Personenverkehr angeschlossen. Doch der Preis dafür ist hoch: Allein der Bau der Zugstrecke hat umgerechnet sechs Milliarden US-Dollar verschlungen. Laos ist heute so verschuldet, dass Experten es am Rande eines Staatsbankrotts sehen. Die Menschen leiden unter Armut und rapide steigenden Preisen.

Sonnenaufgang in Luang Prabang, Laos / dpa

Chinas Neue Seidenstraße ist das größte und vermutlich ehrgeizigste Infrastrukturprogramm der Neuzeit. Von Wasserleitungen in Äthiopien über Häfen in Pakistan bis zu Kraftwerken in Bolivien – mehr als 150 Länder, die 75 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren, sind beteiligt. In Europa ist der Hafen von Piräus Teil der Seidenstraße, ebenso ein geplanter Hochgeschwindigkeitszug zwischen Serbien und Ungarn. Insgesamt hat Peking die gigantische Summe von umgerechnet einer Billion US-Dollar an Krediten für BRI-Projekte bereitgestellt. Die Staatsmedien bejubeln die Initiative als „globalen Weg zum Wohlstand“ (Volkszeitung) und „enormen Beitrag für die globalen Menschenrechte“ (Xinhua). Doch kann das funktionieren, wenn China sein Entwicklungsmodell dem Rest der Welt einfach überstülpt? Welche Folgen hat die Neue Seidenstraße für die beteiligten Länder, die sich für die Großprojekte oft hoch verschulden müssen? Das kleine Laos ist ein Fallbeispiel, wie es bald auch anderen Staaten ergehen könnte. 

Der Zug von Luang Prabang in Richtung Norden ist an diesem Morgen fast bis zum letzten Platz gefüllt. Die meisten Passagiere sind Chinesen: Rentner und Touristengruppen mit bunten Kappen auf dem Kopf, die in Laos Urlaub gemacht haben. Händler und Geschäftsleute, die in den Tausenden chinesischen Firmen im Land geschäftlich zu tun haben. Seit der Eröffnung der Zugverbindung Ende 2021 ist Laos an das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen. 

In fünf Stunden rauschen die Schnellzüge von der Grenze in die Acht-Millionen-Einwohner-Metropole Kunming und von dort weiter über Schanghai bis nach Peking. Tatsächlich hat man in dem Zug das Gefühl, mehr in China als in Laos zu sein: Die Preise für Essen und Getränke in den Bahnhofskiosken sind nur in chinesischen Yuan ausgezeichnet. Über Lautsprecher erklingen Durchsagen auf Chinesisch. Auf den Containern der Frachtzüge, die über die gleichen Gleise wie die Personenzüge fahren, stehen die Schriftzeichen chinesischer Logistikfirmen.

Peking gibt den Ton an

Bei den Projekten der Neuen Seidenstraße ist es stets Peking, das den Ton angibt. Der Zug in Laos wurde von chinesischen Banken finanziert, von chinesischen Ingenieuren geplant und den Bautrupps chinesischer Staatsbetriebe gebaut. Laos selbst ist mit 30 Prozent nur ein Minderheitsgesellschafter, die restlichen Anteile an der Betreibergesellschaft kontrolliert Peking. Nach Ansicht von Jacob Gunter, Experte am Mercator Institute for China Studies (Merics), ist es gerade dieses „One-Stop-Shop“-Modell, das die Neue Seidenstraße für Führer in autoritären oder unterentwickelten Staaten interessant macht: „Chinas Ansatz ist: Hier sind unsere Banken und Unternehmen, und wir machen alles von Anfang bis Ende. Vielleicht wird es ein bisschen dreckig sein, und es kann zu Arbeitsrechtsverletzungen kommen, aber ihre Eisenbahn wird fertig sein.“ 

Auf den ersten Blick scheint dieses Modell zu funktionieren. Die meisten Laoten, mit denen wir sprechen, begrüßen die neue Zugverbindung. „Die Tickets sind nicht teurer als eine Fahrt mit einem Bus“, sagt die Büroangestellte Wantha, die ihre Familie in Vang Vieng besucht hat. Wie die meisten unserer Gesprächspartner möchte sie nur mit Vornamen in der Presse erscheinen. Die Volksrepublik Laos ist bis heute ein kommunistischer Einparteienstaat, Kritik zu äußern ist gefährlich. Die Fahrt mit dem Zug sei bequemer und schneller als früher mit dem Bus, sagt Wantha. Das günstigste Zugticket kostet umgerechnet nur 2,30 Euro. Das ist auch für die Bauern und Familien erschwinglich, die mit Reissäcken und anderen Waren bepackt zusteigen, um in die nächste Kreisstadt zu kommen. 

Wahrscheinlich muss man einmal über die laotischen Landstraßen gefahren sein, die in Wirklichkeit nicht mehr als Schotterpisten sind, um ermessen zu können, wie stark der Zug die Mobilität der Menschen verbessert. Für die Regierung in Laos ist das Projekt deshalb ein „Erfolg“, die Einnahmen durch den Zug seien „höher als erwartet“, teilt die laotische Botschaft in Berlin mit. Doch der Fortschritt hat einen Preis. Viele Menschen in Laos befürchten, dass ihr Land von dem großen China erdrückt wird. 

Baustelle am Mekong in Laos / dpa

Kurz vor der Grenze tauchen Hochhäuser am Horizont auf, die sich wie auf einem Nadelkissen aus der grünen Dschungellandschaft abheben. Links und rechts der Gleise sieht man chinesische Bautrupps, die mit schwerem Gerät die Erde umgraben. Die Grenzstadt Boten, die letzte Zugstation in Laos, ist heute fest in chinesischer Hand. In den Geschäften und Hotels wird in chinesischen Yuan abgerechnet, nur widerwillig akzeptieren Händler die Landeswährung Kip. Die Angestellten in den Hotels, die Taxifahrer und selbst die Gemüsehändler auf den Straßen sind Chinesen, viele stammen aus der angrenzenden Provinz Yunnan. Doch die Stadt wirkt merkwürdig leer, fast wie eine Geisterstadt. Die meisten der Hochhäuser sind unbewohnt, von den Wänden bröckelt die Farbe. Viele der Läden und Restaurants sind geschlossen. „Die Geschäfte laufen nicht gut“, sagt eine Verkäuferin, die an einer Straßenecke Jianbing-Eierfladen verkauft. Nur wenige Zugreisende würden in die Stadt kommen. „Die meisten fahren direkt weiter nach China.“ 

Boten fiel in einen Dornröschenschlaf

Vor 20 Jahren war Boten als Kasinometropole von Hongkonger Geschäftsleuten aus dem Boden gestampft worden. Weil in China Glücksspiel verboten ist, zog die Stadt Tausende Reisende aus dem Nachbarland an. Doch schon bald nahmen Drogenhandel, Prostitution und Bandenkriminalität überhand, sodass Peking das wilde Treiben stoppte. Die Strom- und Internetverbindungen in die Stadt, die über das benachbarte Yunnan liefen, wurden gekappt. Auf Anweisung der laotischen Regierung mussten die Kasinos schließen. Boten fiel in einen Dornröschenschlaf. 

Heute ist „Boten – das schöne Land“, so der offizielle Titel, Teil der Neuen Seidenstraße und soll als Sonderwirtschaftszone wieder zu Glanz kommen. In einer Ausstellungshalle mit Marmorböden und tiefen Sesseln präsentiert China, wie die Zukunft einmal aussehen soll. Eine mehrere Quadratmeter große Modelllandschaft zeigt die Stadt als pulsierende Wirtschaftsmetropole mit Hochhäusern, Industriegebieten, Villensiedlungen und Vergnügungsparks für die Oberschicht. Auch für andere Regionen in Laos gibt es bereits Pläne, die als Poster an den Wänden hängen: Industrieparks, Umschlagplätze für Rohstoffe, Staudämme. 

Die Neue Seidenstraße werde „die Zukunft der Nation Laos als Teil der maritimen Globalisierung komplett verändern“, heißt es unter einer Tafel. Daneben ist eine Weltkarte zu sehen, die Laos inmitten globaler Warenströme zeigt. Für China ist der Frachtverkehr auf der neuen Bahnlinie sehr viel wichtiger als die Personenzüge. Dabei ist Laos nur ein Zwischenstopp zu den größeren und wirtschaftlich attraktiveren Ländern Südostasiens. Die Pläne für die Neue Seidenstraße sehen vor, dass die Hochgeschwindigkeitsbahn eines Tages über Laos nach Thailand, Malaysia bis nach Singapur erweitert wird, sodass China seine Güter günstig in all diese Märkte exportieren kann. Doch bislang scheitert der Ausbau der Zugstrecke am Widerstand Thailands. Die Regierung in Bangkok befürchtet, wirtschaftlich zu abhängig von China zu werden. 

Die Zukunft des Landes

Mühelos gleitet das lange Boot durch das braune Wasser des Mekong. Nur das Knattern des Motors ist zu hören. Zwei Tage dauert die Flussfahrt von der Kleinstadt Huay Xai an der Grenze zu Thailand nach Luang Prabang. Weil der Mekong in diesem Abschnitt noch unberührt ist und der Kapitän immer wieder Sandbänken und Untiefen ausweichen muss, kann der Fluss nur bei Tageslicht befahren werden. Dafür haben es die Passagiere bequem: Auf alten Autositzen hocken Bauernfamilien, die sich Klebereis teilen und auf dem Weg zu ihren Dörfern sind. Dazwischen Rucksacktouristen aus Europa, die das Land erkunden. Bis heute sind Boote ein wichtiges Transportmittel in Laos, dessen Landschaft vom mächtigen Mekong und seinen vielen Nebenflüssen geprägt wird.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Für die Regierung in Vientiane sind die Flüsse die Zukunft des Landes. „Batterie von Südostasien“ heißt die Vision, mit der das heute noch arme Agrarland Laos zu einem der größten Exporteure für erneuerbare Energien der Region werden soll. Mehr als 50 Wasserkraftwerke entlang der großen Flüsse wurden dazu in den vergangenen Jahren gebaut, finanziert vor allem durch China. Schon heute exportiert das Land 80 Prozent seines Stromes an die Nachbarländer und bis nach Singapur. 2022 erwirtschaftete das Land dadurch umgerechnet 2,3 Milliarden Dollar – mehr als ein Viertel der Exporteinnahmen. Weitere riesige Wasserkraftwerke sind in Planung.

Eines der größten entsteht derzeit nur wenige Kilometer flussaufwärts von der UN-Weltkultur­erbe-Stadt Luang Prabang. Es ist eine gigantische Baustelle für ein gigantisches Projekt. Luftaufnahmen zeigen riesige Bagger, die sich durch das Erdreich wühlen. Dazwischen sieht man Dutzende Kräne und Betonbauwerke. Der Luang-Prabang-Staudamm soll ab 2027 eine Produktionskapazität von 1460 Megawatt haben. Das drei Milliarden US-Dollar teure Projekt ist eines von insgesamt neun geplanten Wasserkraftwerken entlang des Mekong – zwei existieren bereits. Doch nicht nur Umweltschützer warnen vor den negativen Folgen der Großprojekte, weil sich der Mekong als Lebensader für das ganze Land verändern könnte. Auch Ökonomen sind zunehmend besorgt. 

Teil der Neuen Seidenstraße

„Es gibt nur sehr wenige Länder auf der Welt, die eine höhere Staatsverschuldung gegenüber China aufweisen als Laos“, sagt Bradley Parks, Leiter des Forschungszentrums AidData an der US-Universität William & Mary. Rechnet man die nicht veröffentlichten Schulden mit ein, könnte Vientiane mit bis zu 17 Milliarden Dollar bei Peking in der Kreide stehen – was etwa 89 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, so eine Studie von AidData. Dem Ergebnis nach wäre Laos wirtschaftlich praktisch von Peking abhängig. Anderen Staaten, die Teil der Neuen Seidenstraße wurden und dafür Kredite in China aufgenommen haben, geht es ähnlich. 

Weil die Projekte oft überdimensioniert waren oder unrealistisch kalkuliert wurden, sind Länder von Kirgistan über Angola bis Venezuela heute hoch verschuldet. Als Reaktion hat China angekündigt, dass die Neue Seidenstraße einen neuen Schwerpunkt bekommen soll: Künftig wolle man vermehrt kleinere und nachhaltigere Projekte unterstützen, heißt es. Doch die Schulden der Partnerländer bleiben bestehen, und noch sei unklar, wie Peking mit diesen Ländern umgehen wird, sagt Parks: „Wir erleben jetzt China als den größten Schuldeneintreiber der Welt.“

Ein Beispiel ist Sri Lanka, das Experten heute in einer von China errichteten „Schuldenfalle“ sehen. Der asiatische Inselstaat war ebenfalls früh der Neuen Seidenstraße beigetreten, baute mit Milliardenkrediten aus Peking Häfen, Autobahnen und andere Infrastrukturprojekte, die sich als wirtschaftlich nicht tragbar erwiesen. Die Folge war eine massive Wirtschaftskrise, die zu Engpässen bei Nahrungsmitteln und Medikamenten führte. 2022 musste die Regierung Staatsbankrott anmelden, viele der Großprojekte fielen an China. Trotzdem investiert Peking weiter Milliardenkredite und vergrößert die Abhängigkeit des Landes; zuletzt wurde im November der Bau einer Erdölraffinerie durch einen chinesischen Staatskonzern bekannt gegeben. Sri Lanka sei ein „Warnsignal“, sagt die Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgiewa: „Länder mit hoher Verschuldung und begrenztem politischen Spielraum werden zusätzlich unter Druck geraten.“

Kampf ums Überleben

In Laos spüren die Menschen die Folgen der wirtschaftlichen Misere beim täglichen Einkaufen. „Die Preise steigen so schnell, dass wir uns immer weniger leisten können“, sagt Som, der in Vientiane als Lehrer arbeitet. Im vergangenen Jahr lag die Inflation staatlichen Angaben zufolge bei über 30 Prozent. Gleichzeitig hat die Landeswährung Kip in zwei Jahren rund die Hälfte ihres Wertes eingebüßt. „Die Geschäfte und Restaurants in der Innenstadt können wir Laoten uns nicht mehr leisten“, sagt Som. Als Lehrer verdient er umgerechnet rund 200 Dollar im Monat. Wie die meisten Staatsangestellten hat er einen Zweitjob, um über die Runden zu kommen. 

Schon vor der Pandemie lebte jede fünfte Familie in Armut. Drei Viertel der Laoten müssen ihre Ausgaben für Essen einschränken, heißt es in einer Studie der Weltbank. An der Nationaluniversität in Vientiane sanken im vergangenen Jahr die Einschreibungszahlen um ein Viertel, weil viele Familien nur noch ums Überleben kämpfen. Das staatlich gesteuerte Wirtschaftssystem stehe an einem „kritischen Punkt“, schreibt Keith Barney von der Australian National University. 

Salutierende Schülerinnen in Laos / dpa

Zwar hat Peking zuletzt Überbrückungskredite gewährt, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Gleichzeitig nutzt es jedoch die Schwäche der Regierung in Vientiane, um seinen Einfluss auf das Nachbarland auszuweiten. China Southern Power Grid Company, der zweitgrößte Stromnetzbetreiber Chinas, übernahm 2021 eine Mehrheit am laotischen Stromnetz und wird dieses für die nächsten 25 Jahre kontrollieren. Berichten zufolge soll China als Teil des Zug-Projekts großzügige Konzessionsgebiete entlang der Strecke zugesprochen bekommen haben, in denen chinesische Firmen ihre Geschäfte ausbauen können. Eine Studie zählt mindestens 800 große, von China finanzierte Wirtschaftsprojekte in Laos. In der Landwirtschaft, beim Abbau von Eisenerz, in der Kautschukproduktion – immer häufiger sind es chinesische Eigner und Firmen, die die Profite einstreichen. 

Das am meisten bombardierte Land der Erde

In der Bevölkerung regt sich Unmut. Als eine chinesische Bergbaufirma im vergangenen Sommer mehr als 50 laotische Dorfbewohner festgehalten hat, weil diese ohne Erlaubnis Gold geschürft hatten, sorgte dies für eine Welle der Empörung im Land. Doch nur sehr wenige trauen sich, öffentlich Kritik zu üben. „Wir kämpfen um Laos’ Überleben, damit wir keine Sklaven von China werden“, schrieb Anousa Luangsuphom auf seiner Facebook-Seite, wie die Washington Post berichtete. Im April vergangenen Jahres wurde der damals 24-Jährige von einem unbekannten Mann in einem Café angeschossen, die Kugeln trafen ihn im Gesicht und in der Brust. „Mir war nicht klar, dass über China zu reden gefährlicher ist, als Kritik an der laotischen Regierung zu üben“, sagt Luangsuphom, der mittlerweile an einem geheimen Ort lebt. Bis heute ist unklar, wer hinter dem Attentat steckte. 

Pekings Einmischungen in Laos nehmen jedenfalls zu. Vergangenes Jahr verschwanden in der Nähe der Hauptstadt Vientiane zwei chinesische Dissidenten, der Aktivist Qiao Xinxin und der Menschenrechtsanwalt Lu Siwei. Menschenrechtsgruppen zufolge wurden die beiden Männer von chinesischen Sicherheitspolizisten festgenommen und außer Landes verschleppt. Qiao tauchte später in einem Arbeitslager in China wieder auf, Lu wurde von Laos trotz internationaler Proteste nach China deportiert. Das US-Außenministerium verurteilte die „Zwangsrückführung“ als Verstoß gegen internationales Recht.

Nachdem China von vielen Laoten lange als natürlicher Partner gesehen wurde, scheint die Stimmung zu kippen. Einer Umfrage des ISEAS-Yusof ­Ishak Instituts zufolge, einem Thinktank in Singapur, sehen fast drei Viertel der Laoten (72 Prozent) den wachsenden wirtschaftlichen Einfluss Chinas in ihrem Land mittlerweile mit Besorgnis. Eine Mehrheit (58 Prozent) wünscht sogar, dass die USA anstelle von China in Südostasien eine stärkere Rolle übernehmen – eine Kehrtwende zu den Ergebnissen der vergangenen Jahre. Der Stimmungsumschwung ist umso überraschender, als die USA lange der Erzfeind waren. Während des Vietnamkriegs warfen US-Bomber 270 Millionen Streubomben über Laos ab, um die Nachschubwege für die viet­namesische Armee abzuschneiden. Pro Einwohner ist Laos das am meisten bombardierte Land der Erde. 

China gibt die Kredite, und die USA gewinnen an Einfluss? Könnte Pekings Strategie, durch Investitionen und Großprojekte seine Soft Power und Ansehen zu stärken, ausgerechnet im kleinen Laos scheitern? „Die Neue Seidenstraße war nie nur eine reine Wirtschafts- oder Handelsinitiative“, sagt Jacob Gunter von Merics. Peking wolle mit der globalen Initiative ebenso „seine diplomatischen und politischen Ziele erreichen“. Auch wenn jetzt Chinas Züge bis nach Laos rollen, scheint die Kluft zum großen Nachbar eher zu wachsen.

 

Die März-Ausgabe von Cicero können Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen.

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige