Krisenreport Europa - Österreich: Deckel drauf beim Kochen

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens schlagen auf Europa zurück. Inflation, Energieknappheit und Währungsschwäche sind nur einige Folgen, mit denen die EU-Staaten zu kämpfen haben. Doch wie ist die Stimmung in der Bevölkerung, und mit welchen Schwierigkeiten haben die einzelnen Länder konkret zu kämpfen? Eine Sommerserie über einen kriselnden Kontinent. Teil 3: Österreich.

„Wir steuern auf ein massives Teuerungsproblem zu“: Österreich ist, wie Deutschland, in hohem Maße abhängig von russischen Gasimporten / dpa, Hermann
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Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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„Diese Abhängigkeit ist unerträglich, aber es ist auch unerträglich, auch nur mit dem Gedanken zu spielen, sich zum unterwürfigen Verbündeten eines Diktators zu machen“, sagte Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen jüngst in seiner Eröffnungsrede bei den Bregenzer Festspielen. Ein Satz, der genauso gut vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier oder von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte kommen können.

Denn auch Österreich ist, wie Deutschland, in hohem Maße abhängig von russischen Gaslieferungen. Und wie hierzulande lautet auch dort die Kritik, dass sich die vergangenen Regierungen weder ordentlich um den weiteren Ausbau der Erneuerbaren gekümmert hätten, noch ausreichend daran interessiert gewesen seien, sich unabhängig vom Kreml zu machen. Daher weisen folgerichtig auch die Diskussionen über Stromeinsparungen und die Lösungsvorschläge der politisch Verantwortlichen, inklusive Tipps, wie man die Energiekosten im Haushalt reduzieren könne, gewisse Parallelen zu dem auf, was man in Deutschland so hört und diskutiert.

Mit viel Spott konnotierte Appelle

Während etwa Habeck kürzlich dem Spiegel sagte, er habe „noch nie in meinem Leben fünf Minuten lang geduscht“, und wissen ließ, dass er jetzt noch schneller dusche als bisher schon, erklärte die österreichische Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne): Um Strom zu sparen, könne man beim Kochen einen Deckel auf den Topf geben. Hüben wie drüben wurden derlei Appelle wahlweise mit Spott konnotiert oder mit dem Verweis darauf, dass mündige Bürger keine kleinen Kinder seien. Aber wie schlimm ist die Lage in Österreich tatsächlich?

 

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Klar ist, dass sich die Preise für Strom und Gas innerhalb kürzester Zeit in etwa vervierfacht haben, während parallel auch die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl oder Nudeln gestiegen sind, Stichwort: Inflation. Nochmal van der Bellen, dieses Mal während seiner Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen: „Unser schönes, vielgeliebtes, vielgeprüftes Österreich steuert auf ein massives Energieproblem zu. Wir steuern auf ein massives Teuerungsproblem zu. Wir steuern, wenn jetzt nicht gehandelt wird, auf ein massives Entsolidarisierungsproblem zu.“

Kleine bis große Regierungskrisen verunsichern zusätzlich

Ähnlich wie in Deutschland treffen die starken Preissteigerungen in erster Linie jene Bürger Österreichs, die ohnehin schon nah am Existenzminimum leben müssen, aber auch die Furcht im Land geht um, dass die durch die Corona-Maßnahmen des Landes ohnehin gebeutelte Mittelschicht weiter erodieren könnte. Wie der Standard berichtet, erwarten die beiden großen Wirtschaftsinstitute des Landes, das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) und das Institut für Höhere Studien (IHS), dass die Bruttoreallöhne infolge der Inflation um 3,9 Prozent sinken könnten. Sollte dem so sein, wären das die höchsten Reallohnverluste in Österreich seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1955.

Während die Versorgung der Bürger mit Strom und Gas in der kalten Jahreszeit laut Gewessler gesichert sei, wäre bei Energierationierungen vor allem die österreichische Wirtschaft betroffen. Der Gasnotfallplan der türkis-grünen Regierung sieht unter anderem vor, dass sich zuerst 35 große Industrieunternehmen, die besonders viel Gas verbrauchen, einschränken müssten. Sollte das nicht reichen, könnte die Rationierung auf insgesamt 7500 Betriebe im Land ausgeweitet werden. Sollte sich die Lage weiter zuspitzen, rechnet unter anderem Wifo-Chef Gabriel Felbermayr mit Kurzarbeit im Land – und mit Massenprotesten auf den Straßen.

Inflation und Energiekrise könnten die Nervosität im Land nämlich weiter steigen lassen. Schon die kläglich gescheiterte Impfpflicht in Österreich hat einen Teil der Bevölkerung erzürnt. Und derzeit sorgt unter anderem das geplante Aus der Corona-Quarantäne für Corona-Infizierte zusätzlich für hitzige Debatten. Außerdem war es in den vergangenen Monaten immer wieder zu kleinen bis großen Regierungskrisen gekommen, nachdem innerhalb kürzester Zeit erst Bundeskanzler Sebastian Kurz infolge von Korruptionsvorwürfen seinen Hut nahm und nur zwei Monate später auch sein Nachfolger Alexander Schallenberg zurücktrat. Seit 6. Dezember 2021 heißt der österreichische Bundeskanzler deshalb Karl Nehammer (ÖVP), zuvor Innenminister des Landes.

Österreich bei den Erneuerbaren gut dabei

Da Österreich und Deutschland in der aktuellen Energiekrise mehr oder weniger im selben Boot sitzen, ist freilich auch das Interesse beider Länder groß, sich in schwierigen Zeiten gegenseitig den Rücken zu stärken. So unterzeichneten Habeck und Gewessler bereits vor zwei Wochen eine Erklärung, in der sich Deutschland und Österreich gegenseitig Unterstützung zusagten bei der Bewältigung der Energiekrise. Darin geht es etwa um Durchleitungsrechte, die Nutzung von Erdgasspeichern und die Diversifizierung der Erdgasversorgung in Europa.

Laut Klimaschutzministerin Gewessler seien die Gasspeicher im Land derzeit noch zu etwa 50 Prozent gefüllt. Österreichs Regierung will nun unter anderem einen ans deutsche Netz angeschlossenen Gasspeicher anzapfen, der bayerische Haushalte und Unternehmen von Haidach bei Salzburg aus mit Gas versorgt. Das berichtete zuerst die Süddeutsche Zeitung. Ein Vorhaben, für das der Freistaat Bayern in Person des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bereits Verständnis zeigte. Zudem wurde bereits im Juni entschieden, ein eigentlich abgeschaltetes Kohlekraftwerk in Mellach bei Graz wieder in Betrieb zu nehmen.

Österreichs Kanzler Nehammer hofft im Sinne der Energieautonomie von Russland derweil unter anderem auf Gasimporte aus Israel, die wohl ab nächstes Jahr möglich wären. Denn um seinen gesamten Energieverbrauch decken zu können, ist das Land auf den Import von Strom und Gas angewiesen, kann die Nachfrage der Industrie und Haushalte also nicht aus eigener Kraft decken.

100 Prozent Erneuerbare bis 2030

Was die Stromerzeugung aus Erneuerbaren im Land angeht, ist Österreich immerhin schon deutlich weiter als Deutschland, was auch mit seinen topografischen Eigenschaften, sprich: mit den Alpen, zu tun hat. Knapp 80 Prozent der Stromerzeugung in Österreich erfolgt bereits aus erneuerbaren Energiequellen. Der größte Teil wird mithilfe von Wasserkraft erzeugt, dahinter folgen – wenn auch mit weitem Abstand – Windkraft, Biomasse und Solarenergie. Atomkraftwerke gibt es in Österreich keine.

Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromgewinnung im Land soll bis 2030 dann 100 Prozent betragen. Zudem soll Österreich, wenn es nach der türkis-grünen Regierung geht, bis 2040 klimaneutral werden. Die rechte FPÖ warnt in dem Zusammenhang aber bereits vor Belastungspaketen, Teuerungen und Verbote, die sich die politisch Verantwortlichen dafür erdenken könnten.

Laut einer Analyse des Umweltbundesamtes wären allein für die Klimaneutralität ab dem Jahr 2040 zudem Mehrinvestitionen ab jetzt bis zum Jahr 2030 von insgesamt 145 Milliarden Euro nötig. Unterm Strich müsste, das geht aus der Analyse hervor, Österreich seine Volkswirtschaft umbauen, um die Ziele zu erreichen. Ob die Bürger bereit sind, da mitzuziehen, dürfte sich auch daran entscheiden, wie gut und nachhaltig Österreichs Regierung die derzeitigen Krisen meistern kann. Ein richtiger Schritt wäre wahrscheinlich, die Leute im Land erstmal ernstzunehmen – und davon abzusehen, noch mehr banale Stromspar-Tipps zu verbreiten.

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