Krieg in der Ukraine - Ist eine Verhandlungslösung überhaupt noch denkbar?

Derzeit gibt es keine konkreten Anzeichen für ein baldiges Ende des Krieges. Putins bisheriges Verhalten legt jedenfalls nahe, dass für ihn eine Niederlage keine Option ist. Es besteht die Gefahr einer weiteren Eskalation bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen. Umso dringender ist es jetzt geboten, einen kühlen Kopf zu bewahren und nüchterne Realpolitik zu betreiben.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besucht am Montag die von Kriegsverbrechen heimgesuchte Ortschaft Butscha / picture alliance
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Autoreninfo

Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

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Der brutale russische Angriffskrieg in der Ukraine, die von russischen Soldaten verübten Gräueltaten und Kriegsverbrechen, die Bilder der Leichen von Zivilisten in den Straßen des von der russischen Armee geräumten Ortes Butscha nahe Kiew lassen niemanden unberührt. Sie lösen Entsetzen und Fassungslosigkeit aus.

Und dennoch: Trotz großer moralischer Empörung und Wut gilt es, einen kühlen Kopf und realpolitisches Augenmaß zu bewahren. Die ukrainische Schriftstellerin Mariana Sadovska hat in der vorigen Woche bei einer Veranstaltung im Bundeskanzleramt aus einem an sie gerichteten Brief einer deutschen Familie zitiert: „Wenn die Welt untergeht, weil wir der Ukraine helfen, dann soll es halt so sein.“ Ein fatalistische Haltung, wie sie in diesem Satz zum Ausdruck kommt, kann nicht Maßstab verantwortungsvollen politischen Handelns sein; vielmehr muss dieses auf eine schnellstmögliche Beendigung des Kriegs und die Erreichung einer diplomatischen Lösung ausgerichtet sein.

Aktuell gibt es keine konkreten Anzeichen für ein baldiges Ende des Kriegs. Zwar gibt es Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, die die Hoffnung auf eine Verhandlungslösung genährt haben; bisher zeichnet sich jedoch keine Einigung ab – und nach den Gräueltaten in Butscha ist der weitere Fortgang fraglich. Die angekündigte Umgruppierung russischer Kräfte lässt vielmehr erwarten, dass Russland unverändert auf die militärische Karte setzt und jetzt stärker die Gebiete im Osten und Süden der Ukraine im Mittelpunkt militärischer Operationen stehen werden. Trotz hoher Verluste und der völligen Fehleinschätzung des ukrainischen Verteidigungswillens ist nicht sicher, ob Putin die russischen Kriegsziele revidiert hat, oder ob er nicht letztlich doch die Demilitarisierung der Ukraine und die Ersetzung der gegenwärtig gewählten Regierung durch ein Marionettenregime bzw. die Einverleibung der gesamten Ukraine in den russischen Staat erreichen will.

Verlustreicher Häuserkampf

Klar dürfte nur sein: Nachdem das russische militärische Vorgehen ins Stocken geraten ist, scheint die Einsicht gewachsen zu sein, dass das parallele militärische Vorgehen Russlands an unterschiedlichen Fronten nicht durchhaltbar ist. Zudem sind die russischen Truppen – es dürften schon heute mehr als die Hälfte der Landstreitkräfte in der Ukraine im Einsatz sein – offenbar aktuell nicht in der Lage, die großen Städte wie Kiew oder Charkiw einzunehmen. Selbst das eingekesselte Mariupol, das in den vergangenen Tagen im Mittelpunkt der militärischen Auseinandersetzungen stand, wird noch von ukrainischen Kräften gehalten. Um einen verlustreichen Häuserkampf zu vermeiden, setzt Russland auf Belagerung und massiven Artilleriebeschuss und Bombardierungen von Städten. Damit wird bewusst eine hohe Zahl von Opfern unter der ukrainischen Zivilbevölkerung in Kauf genommen.

Und schließlich: Putin dürfte zwar weitgehend allein und vermutlich gegen den Rat der militärischen und politischen Elite in seinem Land den Krieg (zumal in der nicht erwartbaren weitreichenden Form mit einem Vorgehen an mehreren Fronten) befohlen haben; dennoch  gibt es keinerlei Anzeichen, dass ihm angesichts der offensichtlichen militärischen Schwierigkeiten und Opfer oder aufgrund der verhängten Sanktionen jemand in den Arm fallen könnte. Will man russischen Umfragen glauben, so steht eine solide Mehrheit der Bevölkerung Russlands hinter ihrem Präsidenten. Dies ist sicher auch der systematisch von russischen Politikern und Medien betriebenen Geschichtsklitterung und Fehlinformation zuzuschreiben.

Auf ukrainischer Seite ist die Entschlossenheit zur Vaterlandsverteidigung groß, die Moral der Soldaten ist durch die errungenen militärischen Erfolge gestiegen. Zudem dürften die Waffenlieferungen aus dem Westen die Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte nicht unerheblich gestärkt haben. Und dennoch bleibt die extreme militärische Überlegenheit Russlands ein unübersehbares Faktum.  

Der Ausgang des Krieges lässt sich gegenwärtig kaum vorhersagen. Sicher ist nur, dass sich Russland eines nach vermutlich langen verlustreichen Kämpfen möglicherweise errungenen Sieges nicht wird erfreuen können. Nicht nur wird es als Paria einen hohen wirtschaftlichen und politischen Preis zahlen; es wird zudem mit anhaltendem starken Widerstand der ukrainischen Bevölkerung und einem Guerillakrieg zu rechnen haben. Die Ukraine wird wohl angesichts der russischen Kriegsführung bei anhaltenden Kämpfen eine große Zahl von Opfern gerade auch unter der Zivilbevölkerung sowie massive Zerstörung ihrer Städte und Infrastruktur in Kauf nehmen müssen. Trotz aller militärischer Erfolge der Ukraine in den zurückliegenden Wochen ist angesichts der unveränderten Entschlossenheit von Putin ein nachhaltiger Sieg der Ukraine und ein Herausdrängen der russischen Invasoren kaum vorstellbar.

Vieles deutet darauf hin, dass sich beide Seiten aktuell auf eine Pattsituation zubewegen, aus der eine diplomatische Kompromisslösung einen Ausweg weisen könnte. Allerdings ist auf der Grundlage der heute bekannten Positionen und Forderungen der Seiten eine Kompromisslösung nur schwerlich vorstellbar.

Sicherheitsgarantien durch die USA

Zwar kann der ukrainische Präsident Selenskyj sich inzwischen einen Verzicht auf einen Nato-Beitritt und eine von Russland geforderte Neutralisierung seines Landes vorstellen. Allerdings beharrt er – nach dem Bruch der Sicherheitsgarantien, die die Ukraine im Budapester Memorandum 1994 für die Aufgabe ihrer Nuklearwaffen erhalten hat, nur zu verständlich – auf Sicherheitsgarantien durch die USA und andere westliche Staaten. In letzter Konsequenz müssten diese auch den militärischen Schutz vor einem erneuten russischen Angriff umfassen. Die Ukraine könnte damit zu einem de facto unter Nato-Schutz stehenden Land werden, was den Interessen Putins zuwiderliefe.

Auch die territorialen Forderungen Russlands nach Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk und die Anerkennung der Krim als Teil Russlands ist Selenskyj nicht bereit, ohne weiteres zu konzedieren. Er verweist vielmehr auf die Notwendigkeit, dass alle territorialen Veränderungen einer Zustimmung durch Referenden bedürfen; diese sind in der jetzigen Kriegssituation nicht durchführbar.

Und schließlich fordert Moskau (noch?) die Demilitarisierung der Ukraine. Es ist nicht ganz klar, was sich dahinter verbirgt. Diese Forderung kann die Ukraine – selbst wenn damit nicht der vollständige ukrainische Verzicht auf bewaffnete Streitkräfte gemeint wäre (Moskau hatte vor einigen Wochen von einer Personalobergrenze von 50.000 Mann gesprochen) – nicht erfüllen, da die Fähigkeit zur Selbstverteidigung schon nach dem Haager Abkommen von 1907 zu den Pflichten neutraler Staaten zählt. Und ohnehin gilt, dass nach den Kriegserfahrungen sich eine Wehrlosigkeit  gegenüber Russland keinem Ukrainer vermitteln lassen dürfte. Allenfalls lassen sich unter Demilitarisierung rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen fassen, die den Prinzipien der Ausgewogenheit, Gegenseitigkeit, Verifizierbarkeit und der unverminderten Sicherheit Rechnung tragen müssen. 

Denkbar wären danach beispielsweise Stationierungsbeschränkungen für Streitkräfte oder Hauptwaffensysteme in einem Streifen beiderseits der russisch-ukrainischen Grenze. Oder auch über den engeren geographischen Rahmen hinausgehende Maßnahmen wie beispielsweise das von Russland vorgeschlagene Stationierungsverbot für Raketen mittlerer und kurzer Reichweite in Europa; nach dem Ende des INF-Vertrags könnte dies angesichts des bestehenden russischen Potentials im gesamteuropäischen Sicherheitsinteresse liegen.

Gesichtswahrung für Putin

Damit stellt sich die Frage, was ein realistisches Kompromisspaket ausmachen könnte – eines, das vielleicht auch Putin eine Gesichtswahrung ermöglicht. Letzteres würde vermutlich bittere, da nach der russischen Aggression und dem heroischen Abwehrkampf der Ukraine als ungerecht empfundene ukrainische Konzessionen erforderlich machen. Die Nichtaufnahme der Ukraine in die Nato und mögliche territoriale Zugeständnisse an Russland könnten Teil eines solchen Pakets werden. Darüber sollte jedoch nicht über die Medien, sondern hinter verschlossenen Türen gesprochen und verhandelt werden.

Die Aushandlung einer  diplomatischen Lösung kann nicht Russland und der Ukraine allein überlassen werden. Hier müssen gerade auch die USA und die Nato-Staaten flankierend auf das Schnüren eines schwierigen Kompromisspaketes hinwirken. Auch ein Treffen der Präsidenten Russlands und der USA sollte nicht ausgeschlossen werden. In jedem Fall sollte zum aktuellen Zeitpunkt westlicherseits vermieden werden, verfrühte, präjudizierende Festlegungen zu treffen und öffentlich eskalationsverschärfende Stellungnahmen abzugeben. So war es zumindest ungeschickt, dass die Nato in ihrem Gipfelkommuniqué am 24. März erneut die Offenheit für weitere Erweiterungsschritte bekräftigt hat.

Ebenfalls ist es unklug, wenn jetzt darüber schwadroniert wird, dass die Ukraine sich durch ihren heroischen Kampf einen Platz als Mitglied der EU verdient habe. Auch die öffentliche Brandmarkung von Putin als Schlächter und Kriegsverbrecher und die Forderung nach einem Regimewechsel im Kreml sind – bei aller Nachvollziehbarkeit – nicht dazu angetan, Russland zu einem Einlenken zu bewegen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Putin muss mit aller Klarheit und Härte in möglichen Verhandlungen gegenübergetreten werden; und der Westen kann dies aus einer Position der Stärke tun. Es wäre jedoch kontraproduktiv, ihn auf öffentlicher Bühne „vorzuführen“ und zu demütigen.

Das Vorstehende mag als nicht realistisches Gedankenspiel abgetan werden. Dennoch muss es unser Interesse sein, alles zu versuchen, um den immer brutaler werdenden Krieg schnellstmöglich zu beenden. Dieses Ziel rechtfertigt ein nachhaltiges Einwirken auf die Kriegsparteien und auch als ungerecht empfundene Kompromisse. Aber wir wissen nicht, ob Putin überhaupt bereit ist, einen Kompromiss einzugehen, oder ob er nicht bis zu einem Sieg weiterkämpfen will. Sein bisheriges Verhalten legt nahe, dass für ihn eine Niederlage keine Option ist und er sich keinesfalls demütigen lassen will.

Nuklearmacht Russland

Ohnehin kann Russland den Krieg nur deshalb (weiter)führen, weil es neben den USA die weltweit größte Nuklearmacht ist. Dies mag vielen als Widersinn erscheinen, soll doch in westlichen Augen die nukleare Abschreckung gerade dazu dienen, Krieg zu verhindern und nicht unter ihrem „Schutz“ Angriffskriege zu führen. Insofern wäre der russische Angriffskrieg ein verhängnisvoller Präzedenzfall, der durch ein bloßes „Kuschen“ und Gewährenlassen keine Bestätigung erfahren darf. Von daher ist es richtig, entschiedene Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Allerdings gilt trotz aller moralischer Empörung über die russische Invasion der Ukraine: Putins Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen ist ernst zu nehmen. Es wäre unverantwortlich, sie als Bluff einfach zu verwerfen. Die von Russland gestreuten Anschuldigungen, die Ukraine verfüge über biologische oder chemische Waffen, müssen aufhorchen lassen; soll damit schon ein Vorwand für einen möglichen russischen Einsatz von Massenvernichtungswaffen konstruiert werden?

Die Nato ist deshalb gut beraten, alles zu unterlassen, was sie oder einzelne ihrer Mitgliedstaaten zur Kriegspartei macht. Es gilt – dies ist das von Biden immer wieder verkündete zentrale Interesse –,  einen „Dritten Weltkrieg“ zu verhindern. Man darf sich deshalb – so schwer es fallen mag – nicht von ukrainischen Forderungen, die unweigerlich die Nato in den Krieg hineinziehen würden, vor sich hertreiben lassen. Es bedarf einer Politik des Augenmaßes, weshalb es auch richtig ist, dass die Nato die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine ablehnt und sich auch weiterhin bei der militärischen Unterstützung Grenzen auferlegt und beispielsweise die Lieferung von Panzern und Kampfflugzeugen ablehnt.

Die Gefahr einer weiteren Eskalation bis zum Einsatz von Nuklearwaffen ist auch deshalb nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, da Putin jetzt nicht nur aufgrund der einschneidenden westlichen Sanktionen und aufgrund der fehlenden Erfolge der in der Ukraine eingesetzten Streitkräfte mit dem Rücken zur Wand steht. Das macht ihn besonders gefährlich. Es ist nicht auszuschließen, dass er nun über eine weitere Verschärfung des Konfliktes und auch über den Einsatz von Massenvernichtungswaffen nachsinnt, um das militärische Blatt zu wenden. Vor diesem Hintergrund ist auch zu überlegen, ob man jetzt – auch nach den Bildern von Butscha – schon die vielleicht schärfste Sanktionsmaßnahme, den Stopp von Gas-, Öl- und Kohleimporten aus Russland, verhängt und damit dann nichts mehr in der Hinterhand hält. Es geht wiederum auch um das situationsangemessene Augenmaß.

Ein neuer Kalter Krieg

Wir steuern auf einen neuen Kalten Krieg zu. Die europäische Sicherheitsordnung, die in den westlichen Werten verpflichteten Grundlagendokumenten der OSZE wie der Charta von Paris 1990 niedergelegt ist, besteht nicht mehr. Dennoch sollte der in diesen definierte Anspruch aufrechterhalten bleiben. Der Nato-Gipfel am 24. März hat bereits erste Folgerungen gezogen und eine deutliche Verstärkung der Kräfte in den östlichen Mitgliedstaaten der Allianz beschlossen. Eine Unvereinbarkeit mit der Nato-Russland-Grundakte von 1997 ist nicht gegeben, da der in deren Rahmen von der Nato erklärte Verzicht auf die dauerhafte Stationierung „substantieller Kampftruppen“ in den neuen, durch den Erweiterungsprozess hinzugekommenen Mitgliedstaaten sich auf das damals geltende und absehbare Sicherheitsumfeld bezog.

Selbst wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass die baltischen und mittelosteuropäischen absehbar in der Gefahr eines russischen Angriffs stehen, so könnte anknüpfend auch an die Praxis während des Kalten Kriegs der Aufbau einer integrierten Vorneverteidigung des Bündnisses sich als sinnvoll erweisen. (Allerdings ist fraglich, ob diese – wie von Polen gewünscht – mit der Vornestationierung von Nuklearwaffen verbunden werden sollte.) Ohnehin gilt, dass sich Deutschland und Europa auf ein zunehmend schwieriges geopolitisches Umfeld einstellen müssen. Die schnellstmögliche Beseitigung der Ausrüstungs- und Fähigkeitsdefizite der Bundeswehr und das verteidigungspolitische Zusammenwachsen der EU sind überfällig.

Der neue Kalte Krieg könnte lange dauern. Besonders die Anfangsphase dürfte aufgrund fehlenden Vertrauens, fehlender militärischer Kontakte und Transparenz sowie des inzwischen eingetretenen Wegfalls der wesentlichen für die Sicherheit und Stabilität in Europa zentralen Rüstungskontrollvereinbarungen relativ gefährlich sein. Es ist schon deshalb notwendig, den Gesprächsfaden mit Russland nicht völlig abreißen zu lassen. Russland darf nicht dauerhaft als Feind oder auf Revanche sinnender Gegner ausgegrenzt bleiben. Es darf nicht nur mit Strafmaßnahmen belegt werden; vielmehr müssen neue, gerade auch wirtschaftliche Anreize geschaffen werden, um das Land wieder in Europa einzubetten.

Dies mag aus heutiger Sicht als eine weit in der Zukunft liegende Aufgabe erscheinen. Aber es gilt, sie schon heute angesichts einer möglichen neuen geopolitischen Frontstellung zwischen dem demokratischen Westen und autoritären Staaten im Blick zu halten. Letztlich wollen wir Russland nicht einfach in die Arme Chinas treiben.

Fehleinschätzungen in der Russlandpolitik

Viele Politiker (wie soeben auch Frank-Walter Steinmeier) gestehen jetzt ein, Fehleinschätzungen in ihrer Russlandpolitik erlegen zu sein. Dabei greifen sie vielfach zu kurz und beziehen sich lediglich auf die Annexion der Krim und Nord Stream 2. Es war vielmehr ein großer Fehler, über mehr als zwei Jahrzehnte die Interessen Russlands und seine Einwände gegen eine Erweiterung der Nato mit Überheblichkeit zu übergehen und den Anspruch Russlands, als Großmacht wahrgenommen zu werden, zu ignorieren. Die Marginalisierung Russlands besonders nach dem Amtsantritt von Präsident Bush jr. im Jahre 2001 hat Präsident Putin erzürnt.

Der Historiker Michael Stürmer spricht deshalb davon, dass der Westen bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 eine Kriegserklärung aus Moskau erhielt. Er bezeichnet es als „Debakel der westlichen Diplomatie“, dies nicht zur Kenntnis genommen und nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen zu haben. Auch dies gehört zu einer ehrlichen Aufarbeitung der Russlandpolitik, die der ukrainische Botschafter in Deutschland jetzt fordert. Dies sollte auch den Heißspornen, die jetzt kategorisch eine Niederlage und Ausgrenzung Russlands fordern, zu denken geben. In dem aktuellen Empörungsüberschwang sollte nicht vergessen werden, den Ukrainekonflikt und die Gestaltung der Beziehungen zu Russland nüchtern vom Ende her zu denken. Dies ist ein Gebot kluger Realpolitik.

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