Kreml-Propagandistin Margarita Simonjan - Die Scharfmacherin

Als Chefredakteurin des russischen Auslandssenders RT macht Margarita Simonjan Kreml-Propaganda in aller Welt – ihr einstiger Charme ist aggressiver Rhetorik gewichen. Was ist da passiert?

Margarita Simonjan nahm mit gerade einmal 25 Jahren den Chefposten von Russia Today ein / Sören Kunz
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Autoreninfo

Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Die Nachricht ging als Sensation durch die westlichen Medien: Margarita Simonjan, Chefpropa­gandistin des Kreml, distanziert sich von Putins Krieg in der Ukraine. Denn angesichts der schweren Rückschläge für das russische Militär erklärte sie: „Wir müssen aufhören zu lügen, auf allen Ebenen. Bei den Banken, in den Ministerien, in den Streitkräften, in den Betrieben, an den Schulen und Universitäten, in den Medien.“ 

Doch ganz offensichtlich hat die Chefredakteurin des Auslandssenders RT gar nicht sich selbst oder den einsamen Diktator im Kreml gemeint, sondern die Militärführung und die Behörden, die nach ihrer Meinung für den miserablen Zustand der kämpfenden Truppe verantwortlich sind. Die 42-jährige Mutter von drei Kindern gab nun die Parole aus, dass die Kriegshandlungen weiter eskalieren müssten, denn wenn Russland nicht siege, dann würde es untergehen. Nach der Sprachregelung des Kreml redet sie nicht von „Krieg“, sondern von der „militärischen Spezialoperation“, die laut Putin die Ukraine „entnazifizieren“ soll. 

Pluspunkte beim Kreml sammeln

Als Hauptfeind hat Simonjan schon lange den verderbten Westen ausgemacht, in dem Kinder angeblich zu ihren Eltern nicht „Papa“ und „Mama“ sagen dürfen, weil die „LGBT-Seuche“ dies verbiete. Gern verweist sie auf persönliche Erfahrungen: Als 16-Jährige hatte sie im Rahmen des amerikanischen Programms „Future Leaders Exchange“ ein Jahr als Austauschschülerin bei einer Gastfamilie in den USA verbracht. Nach ihrer eigenen Erzählung war sie bis dahin ein Amerika-­Fan gewesen, sie habe sogar die Nationalhymne auswendig gelernt. Doch dann habe sie gemerkt, dass ihr Bild vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten völlig falsch gewesen sei. In Wirklichkeit würden dort die Menschen von den Mächtigen permanent belogen, während in Russland das Volk das Sagen habe. 

Kremlbeobachter sehen noch einen zweiten Grund, warum Simonjan zur radikalen russischen Nationalistin wurde: Wie schon ihr Familienname ausweist, stammt sie aus einer armenischen Familie, ihr Vater war ein kleiner Handwerker, der Kühlschränke reparierte. Ihre Vorfahren waren vor den türkischen Pogromen aus ihrer Heimat in das Zarenreich geflüchtet. Da viele Russen mit einer Mischung aus Arroganz und Misstrauen auf die Kaukasusvölker schauen, strengen sich viele von dort stammende Bürger der Russischen Föderation besonders an, ihre Staatstreue und ihr Russentum unter Beweis zu stellen. 

 

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Überdies hat ihre erste persönliche Begegnung mit Putin sie zu seiner kämpferischen Verehrerin gemacht. Sie war eine junge Lokalreporterin, als der tatkräftige neue Präsident vor 22 Jahren in ihre südrussische Heimatstadt Krasnodar kam. Bei der Pressekonferenz fiel sie ihm durch freche Fragen auf, er reagierte amüsiert. Weitere Punkte im Kreml sammelte sie 2004 mit ihren Berichten über die Geiselnahme von Beslan im Nordkaukasus: Während die internationale Presse die russische Führung nach der Erstürmung einer von islamistischen Terroristen besetzten Schule für die mehr als 300 Opfer verantwortlich machte, lobte Simonjan das harte Vorgehen ohne Rücksicht auf Verluste. 

Nicht einmal den Anschein von Argumenten

Damit hatte sie sich für höhere Aufgaben qualifiziert: Mit gerade einmal 25 Jahren wurde sie auf den Chefposten des neu gegründeten Senders Russia Today berufen, der heute unter dem Kürzel RT firmiert.

Unter ihrer Ägide wurde er zum Organ sowohl des Personenkults um Putin als auch der Verschwörungstheorien um den Westen, der Russland angeblich unterjochen möchte. Die Berichterstattung versucht dabei erst gar nicht, Nachrichten der westlichen Medien durch Argumente zu widerlegen, sondern wartet zu einer Kontroverse stets mit mehreren, oft einander widersprechenden Versionen auf. Das Ziel: die Zuschauer im Ausland zu verwirren. So etwa wurden innerhalb weniger Tage mehrere unterschiedliche Geschichten über den Abschuss einer malaysischen Passagiermaschine über der Ostukraine 2014 als erwiesene Fakten verbreitet: Ein ukrainisches Jagdflugzeug habe sie abgeschossen; der Geheimdienst Kiews habe in ihr eine Bombe platziert; die CIA habe eine Boeing voller Leichen abstürzen lassen, um die Russen zu diskreditieren. 

Auch weiß man bei RT, welche Aussagen bei den Zielgruppen am ehesten Empörung hervorrufen. So wird die Kiewer Führung in den englisch- und deutschsprachigen Programmen als faschistisch bezeichnet, im arabischen Raum aber als jüdisch.

Doch mit der Eskalierung des russisch-ukrainischen Krieges hat sich Simonjan von der schlagfertigen, auch charmanten Kommentatorin, die gern etwas Dekolleté zeigte, zur aggressiven Verteidigerin des Kreml gewandelt. Nun brüstet sie sich damit, dass ihr Name auf den Sanktionslisten des Westens steht.

 

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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