Joe Biden in Kiew und Warschau - Der Partner, dem die Ostmitteleuropäer vertrauen

Nach seinem heutigen Besuch in Kiew reist US-Präsident Joe Biden weiter nach Warschau. Es ist eine Reise, die die Bedeutung der USA als Sicherheitsgarant für die Region unterstreicht.

Symbolträchtig: Selenskyj und Biden in Kiew / dpa
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Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Absperrungen wichtiger Straßen und Sicherheitsvorkehrungen, wie es sie in Kiew bisher bei keinem Besuch eines ausländischen Staatsgastes während des Krieges gab. AWACS-Flugzeuge, die von Polen aus den Luftraum in der Ukraine überwachen. Eine Erklärung des ukrainischen Außenministeriums, das den Besuch eines Staatschefs eines der wichtigsten Unterstützer der Ukraine ankündigt, ohne jedoch einen Namen zu nennen.

Es gab am heutigen Montagmorgen viele Informationen, die das Gerücht nährten, US-Präsident Joe Biden könnte nicht nur Polen besuchen, wo er am morgigen Dienstag eine Rede zum 1. Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine halten wird, sondern überraschend auch die ukrainische Hauptstadt. Gerüchte, die sich am Ende als wahr herausstellten. Die Bilder von Joe Biden, der zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj während eines Luftalarms durch Kiew spaziert, werden am Dienstag die Nachrichten beherrschen. Von der Symbolkraft her sind sie jedenfalls genauso wichtig wie Bidens heutige Ankündigung eines weiteren US-Hilfspakets für die Ukraine. „Putin rechnete nicht damit, dass wir zusammenhalten“, erklärte Joe Biden in Kiew.

Der überraschende Besuch in der ukrainischen Hauptstadt ist für Joe Biden der Auftakt eines mehrtätigen Europaaufenthalts, bei dem auch Deutschland zu spüren bekommt, wie sich seit dem 24. Februar vergangenen Jahres die Machtstrukturen innerhalb der Nato und auch der Europäischen Union verschoben haben. Denn für den US-Präsidenten wird es mittlerweile der zweite Besuch in Polen innerhalb der letzten zwölf Monate sein. Zuletzt besuchte Biden Warschau im März 2022. In der polnischen Hauptstadt wird er sich am Mittwoch auch mit den Staatschefs weiterer osteuropäischer Nato-Staaten treffen.

Neues außenpolitisches Selbstbewusstsein

Überraschend ist diese Verschiebung jedoch nicht. Allein schon durch den Krieg in der Ukraine rückten Polen, Tschechien, die Slowakei und die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland wegen ihrer Nähe beziehungsweise gar direkten Nachbarschaft zur Ukraine und zu Russland innerhalb des transatlantischen Verteidigungsbündnisses noch mehr in den Fokus. Ja, man kann diese Länder durchaus als Frontstaaten der Nato bezeichnen.

 

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Dass dies auch zu einem neuen außenpolitischen Selbstbewusstsein dieser Staaten geführt hat, zeigt besonders eindrucksvoll Polen. Die Regierung in Warschau preschte nicht nur bei der Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine vor, was das bei dem Thema lange zurückhaltende Bundeskanzleramt international unter Druck setzte. Von Beginn des Krieges an war sie innerhalb der EU auch eine der treibenden Kräfte, was die Sanktionen gegen Russland betrifft. Nicht unterschlagen sollte man auch Polens wichtige Rolle bei der Aufnahme und Verteilung ukrainischer Flüchtlinge sowie als wichtiger Knotenpunkt für die militärischen und humanitären Hilfen des Westens für die Ukraine. Einem bedrängten Nachbarn, zu dessen wichtigsten Unterstützern Polen selbst gehört, wie der „Ukraine Support Tracker“ des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zeigt. Gemessen am Bruttosozialprodukt, sind das Land an der Weichsel und die drei baltischen Staaten gar die vier wichtigsten Unterstützer der Ukraine.

Sicherheitspolitisch kein Verlass auf Deutschland oder Frankreich

Nicht unbedeutend für Polens Rolle innerhalb der Nato ist auch die Modernisierung der polnischen Armee. Das Fundament dafür wurde zwar schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine geschaffen, so hat Polen schon im Januar 2020 mit den USA einen Deal über den Kauf von 32 F-35-Jets im Wert von 4,2 Milliarden Euro abgeschlossen, doch in den letzten zwölf Monaten wurde die dringend notwendige Modernisierung der Streitkräfte noch beschleunigt. Für dieses Jahr hat Ministerpräsident Mateusz Morawiecki eine Erhöhung des Wehretats auf vier Prozent des Bruttosozialprodukts angekündigt. Schon der ursprüngliche Verteidigungshaushalt für 2023 lag mit drei Prozent des BIP über dem der Bundesrepublik.

Es sind Verteidigungsausgaben, die auch viel sagen über das Verhältnis der östlichen Nato- und EU-Partner zu Deutschland. Dass Deutschland, aber auch andere westliche Staaten in den vergangenen Jahren ihre Verteidigung vernachlässigten, hat in Ostmitteleuropa für Unmut gesorgt. Dass die von Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigte Zeitenwende, die zwischen Warschau und Tallinn durchaus begrüßt wurde, nun ebenfalls eher schleppend verläuft, sorgt ebenfalls für Enttäuschung. Und das nicht nur bei Kräften wie den in Polen regierenden Nationalkonservativen, zu deren politischer Folklore antideutsche Töne gehören. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, als Deutschland beispielsweise trotz aller Mahnungen aus Ostmitteleuropa an Nord Stream 2 festhielt, ist dies nur ein weiteres Beispiel dafür, dass sie sich sicherheitspolitisch auf Deutschland oder Frankreich nicht verlassen können. Der einzige Staat, der ihrer Meinung nach ihre Sicherheit garantiert, sind die USA. Und dies symbolisiert auch die jetzige Reise des US-Präsidenten Joe Biden nach Warschau und Kiew.

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