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US-Außenminister John Kerry - He speaks deutsch

Man hat das Gefühl, John Kerry sei ein alter Bekannter. Doch wofür steht der US-Außenminister? 

Autoreninfo

ist Autor des „Tagesspiegel“ und berichtete acht Jahre lang aus den USA. Er schrieb die Bücher: „Der neue Obama. Was von der zweiten Amtzeit zu erwarten ist“, Orell Füssli Verlag Zürich 2012. Und „Was ist mit den Amis los? Warum sie an Barack Obama hassen, was wir lieben“. Herder Verlag Freiburg 2012.

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Die USA wenden sich vom Atlantik ab und blicken nach Asien. Tatsächlich? Der neue US-Außenminister jedenfalls wirkt wie ein Dementi dieser These. John F. Kerry ist von Europas Kultur und Geschichte geprägt. Als Teenager hat er Berlin mit dem Fahrrad erkundet und die fortschreitende Teilung beobachtet. Sein Vater, ein Ex-Militär, war seit 1954 Rechtsberater der US-Mission dort. Mit elf Jahren schickten die Eltern den Sohn in ein Schweizer Internat. Sein Deutsch klingt auch heute noch passabel. Die Sommerferien verbrachten die Kerrys in der Bretagne, auf einem Anwesen der Familie seiner Mutter Rosemary Forbes. Dort ist ihm Frankreich ans Herz gewachsen.

Im Rückblick mag es scheinen, als habe Kerry sich ein Leben lang auf das Amt vorbereitet, das er nun mit 69 Jahren übernommen hat – in einem Alter, in dem andere ihre Hobbys pflegen.

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Doch was sind die Schwerpunkte seiner späten Passion? Der Biografie nach ist es Europa. Die aktuellen Brennpunkte zwingen ihm eher den Mittleren Osten, Afrika und Asien auf. Er sagt, er wolle Lehren aus Europa auf aktuelle Konflikte anwenden und nennt die Marshall-Plan-Hilfe. Angesichts der aggressiven Töne im Inselstreit zwischen China, Japan und Korea wäre es ihm gewiss eine Beruhigung, wenn es in Asien ein Sicherheitssystem wie die Nato gäbe.

Sein Leben ist reich an Überraschungen. Die Kerrys hatten wegen des Namens und der Treue zur katholischen Kirche lange als irische Amerikaner gegolten. Doch als John Forbes Kerry 2003 als neuer „JFK“ den Wahlkampf um das Weiße Haus aufnahm und Medien Parallelen zu John F. Kennedy untersuchten, der ebenfalls Senator von Massachusetts war und es zum Präsidenten geschafft hatte, förderte der Boston Globe Sensationelles zutage: Kerrys Großeltern väterlicherseits waren Juden aus Schlesien. Fritz Kohn und Ida Löwe hatten 1900 den Namen Kerry angenommen – der irische Ort war angeblich das Zufallsergebnis, als Fritz einen Stift mit verschlossenen Augen über einer Karte fallen ließ. 1901 traten sie zum Katholizismus über, 1905 wanderten sie in die USA aus.

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Zwischen den Kindertagen in Berlin und dieser Enthüllung lagen Jahrzehnte einer typisch amerikanischen Karriere. Manche Etappen wie der Vietnamkrieg haben Kerrys internationale Erfahrung gestärkt, aber nicht absichtsvoll, eher als Nebenprodukt der Laufbahn im Militär einer Weltmacht. Als er 13 Jahre alt war, hatten die Eltern ihn nach Amerika zurückgeschickt, in Internate der weißen Oberschicht in Neuengland. An der Yale University erwarb er den Bachelor in Politologie und war wie George W. Bush, sein Gegner in der Wahl 2004, Mitglied der legendären studentischen Geheimgesellschaft „Skull and Bones“. 1966 trat Kerry in die Navy ein, befehligte 1968/69 in Vietnam ein Schnellboot und erhielt mehrere Orden. Zurück daheim schloss er sich dem Protest gegen den Krieg an und gewann Prominenz durch Auftritte in Kongressausschüssen. Im Kampf um das Weiße Haus wurde dies 2004 zur Last.

Den Einstieg in die Politik fand Kerry nach dem Jurastudium und einigen Jahren als Staatsanwalt. 1982 wurde er Vizegouverneur von Massachusetts, seit 1984 ist er Senator dieses verlässlich progressiven Staates. Im Senat beackerte er viele Themen: Kleinbetriebe, Kommunikation, Frauenrechte, Veteranenversorgung, Luftsicherheit, dazu Außenpolitik, etwa bei der Untersuchung der Iran-Contra-Affäre. Zum Schwerpunkt wurde sie aber erst in jüngerer Zeit. 2009 rückte er an die Spitze des außenpolitischen Ausschusses im Senat, als Nachfolger Joe Bidens, der Vizepräsident wurde. Obama hat Kerry mit heiklen Missionen betraut. Er überredete Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai 2009 zur Wiederholung der Präsidentenwahl, nachdem es im ersten Anlauf Manipulationen gegeben hatte. Kerry flog als Vermittler nach Pakistan, um die Gemüter nach tödlichen Schusswechseln mit US-Truppen im Grenzgebiet und nach dem Zugriff auf Osama bin Laden zu besänftigen.

Auch als Außenminister bleibt Kerry Diener des Präsidenten und kann eigene Ambitionen nur begrenzt ausleben. Militäreinsätze betrachtet er mit Skepsis. „Es ist viel billiger, heute Diplomaten zu senden als morgen Truppen“, sagte er in seiner Antrittsrede. Er soll den Frieden in Asien retten, ein Nahostabkommen vorbereiten, mit dem sich Barack Obama schmücken will, und Irans Atomprogramm sowie Syriens Bürgerkrieg ohne Militäreinsatz stoppen.

Und Europa? Kerry erliegt nicht dem Irrtum vieler Amerikaner, die Asien wegen der Wachstumsdynamik überschätzen und die EU unterschätzen. Er weiß, dass die atlantische Partnerschaft mehr amerikanische Jobs sichert als die pazifische. 

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